piwik no script img

die wahrheit350 Millionen im Plus

Gesetzt den Fall, es würden einem per Zufall 350 Millionen Euro auf das Konto überwiesen werden, und solche Zufälle passieren ja.

Gesetzt den Fall, es würden einem per Zufall 350 Millionen Euro auf das Konto überwiesen werden, und solche Zufälle passieren ja. Die blass gedruckten Sparkassenauszüge mit dem kaum erkennbaren kleinen "+" vor den wenigen und dem "-" vor den vielen Zahlen zeigten also plötzlich einen Betrag von +350.000.082,56 Euro an, wobei ich nicht weiß, ob bei normalen Deppen-Sparkassen überhaupt so viele Ziffern in die Reihe passen - was würde man tun?

Einen Tipp gab mir jüngst ein Kollege, dem vor Jahrzehnten unglaubliche 3.000 Mark unrechtmäßig überwiesen wurden: Man müsste sich auf dem schnellsten Wege entreichern, damit man nix zurückzahlen muss. "Entreichern" ist ein euphemistischer Ausdruck für "jeden Scheiß kaufen" beziehungsweise "Geld verbrennen". Ich habe mich, ohne es zu bemerken, schon ziemlich oft entreichert, was man allerdings nicht mit "verarmen" verwechseln darf. Zum Beispiel bezahlte ich anderthalb Jahre lang die monatliche Miete für eine Garage, obwohl mein altes Auto warm und trocken bei einem Autofummler in Lichterfelde stand, der das Ersatzteil nicht auftreiben konnte. Wenn man das unbedingt ausrechnen möchte, wären das 18 mal 60 Euro gleich 1.080 Euro, da bliebe bei 350 Mille eine Menge.

Aber ich brauche gerade einen neuen Staubsauger, denn ich habe das gesamte abgezogene Drecksparkett meiner Wohnung mit schönem, unterschiedlich farbigem Teppich beklebt und mein alter Privileg pustet nur noch schwach die Kekskrümel an, anstatt sie unter markerzitterndem Geröhre wegzuputzen. Man könnte sich einfach mal einen kaufen, der da saugt, wo Mutti sonst nur blasen kann. Ich werde also mit einem Gerät namens "T2 Twin mit Aquafilter" liebäugeln, der, wenn ich das richtig verstanden habe, über eine "Hochleistungs-Bypass-Turbine" verfügt, mit der sich dann vielleicht auch Herzinfarktopfer schnell retten lassen. Außerdem bietet er den "Hartboden-Klappadapter", so etwas wollte ich schon immer mal haben, gern auch für entreichernde 389 Euro.

Aber mir schwant, es ist noch Zaster übrig. Vielleicht schenke ich mir am besten ein paar Nebukadnezar-Flaschen dieser merkwürdigen Markengesichtskosmetika aus Austern, Perlen, Gold und der Vorhaut von ungeborenen Seidenraupenzwittern, um sie neben dem Spülbecken zu deponieren, und die vom Pril-Plagiat verschrumpelten Fingerkuppen dekadent zu pflegen. Oder ich reibe bei jedem Windelwechseln den Babypo damit ein, dann ist so eine Flasche jedenfalls schnell entsorgt.

Lieber kaufe ich mir eine kleine, unbekannte und unbegabte Frauenfußballmannschaft, stelle neue Trainer und -innen ein, gründe ein paar kinderpsychologisch herrlich bedenkliche Sportinternate, in denen die Mädels im Kleinkindalter aus der Familie gerissen und auf Leistung getrimmt werden, und schaue mal, ob wir nicht in vier Jahren Meisterinnen werden könnten, nur so aus reinem Vergnügen. Hey, das macht richtig Spaß! Ein Großteil der 350 Mille ist bestimmt schon weg! Muss den Lehmans gleich Bescheid sagen! Laufe mal eben runter zur Tankstelle an der Ecke und hole mir ein Bier und eine Packung Milch. Selbstverständlich obwohl Edeka noch aufhat.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!