Der Mann, der statt Bushido schreibt: "Scheiße, bin ich geil"
"Bushido", die "Autobiografie" des gleichnamigen Unterhaltungskünstlers, stürmt die Bestseller-Listen - für den richtigen Ton sorgte Lars Amend, ein Musikjournalist aus der Provinz.
Bushido mit Lars Amend" prangt in golden gestanzter Schrift auf dem Buch. Edel und in Grossbuchstaben. Es ist der aktuelle Platz zwei der Spiegel-Bestsellerliste. Überraschend war die Autobiografie des Berliner Gangster-Rappers und Geschäftsmanns Anis Mohamed Ferchichi alias Bushido vor zwei Wochen kurzzeitig an die Spitze der Sachbuch-Liste gesprungen. Das 430-Seiten-Werk mit allerlei Geschichten aus dem Leben des Skandalrappers hatte in der ersten Woche sogar die Biografie von Altkanzler Helmut Schmidt hinter sich gelassen. "Ein Werk, von dem sich das Genre der Autobiografie nicht so schnell wieder erholen wird", ätzte Spiegel-Online über "Bushido".
Die Biografie ist seiner Mutter gewidmet: "Für Mama", und endet auch mit den Worten: "Danke, Mama!". Bushidos Frauenbild ist dabei durchaus ambivalent: "Ganz ehrlich: Würde die Fickerei nicht so viel Laune machen, gäbe es keinen Grund, überhaupt mit einem Mädchen zusammen zu sein. Mit Kumpels kann man chillen, Fussball gucken, Jackie saufen, einfach sinnlos im Café abhängen, aber Mädchen wollen immer irgendwie unterhalten und beachtet werden", schreibt Bushido im Kapitel "Die üblichen Frauengeschichten". Und: "Politiker, Frauenrechtler und all diese komischen Menschenrechtsorganisationen kapieren einfach nicht, dass sie meine Reputation bei den Jugendlichen nur noch stärken, indem sie mich (...) verbieten wollen". TAZ
Es ist zunächst einmal ein genial geplanter Marketingcoup: diese Woche erscheint das neue, mittlerweile achte Album von Bushido. Und nach den Kino-Vorbildern "8 Mile" des US-Gangsterrappers Eminem sowie "Get Rich Or Die Tryin'" mit Curtis "50 Cent" Jackson soll demnächst ein Bushido-Film folgen. Das Audiobook ist ebenfalls in der Produktion, dafür wurde die geplante Bushido-Tournee erstmal abgesagt.
In Deutschland kennen mittlerweile also fast alle den Berliner Rapper Bushido, der vorvergangenen Sonntag seinen 30. Geburtstag feierte. Aber wer ist der Co-Autor dieser Biografie, Lars Amend (ebenfalls 30)? Und wie wurde er zum Autobiografiker (so nennt man mittlerweile Autoren, die im Auftrag Prominenter Biografien verfassen)? Als "Buchautor" sei Bushido "richtig gut", lobte die Welt.
Nur dem ARD-Bücherwurm Denis Scheck schwante: "Das Buch wäre ein Blindband geworden, wenn Bushido es wirklich selbst geschrieben hätte". Die Meriten gebühren also Lars Amend, der es geschafft hat, ein boulevardeskes Pamphlet abzuliefern, das nun von Teenies, Eltern und Lehrern gleichermassen verschlungen wird. Teenager ergötzen sich an Sätzen wie "Scheiße, bin ich geil", ihre Eltern wollen wissen, was in den Köpfen ihres Nachwuchses vorgeht. Sex, Crime und eine gute Prise Moral - so verkauft sich das Markenprodukt "Bushido" ungeachtet aller Kritik.
Der Autor Amend besitzt eine fette Rap-Plattensammlung, kam aber erst durch Zufall an den Biografen-Job - durch eine Reportage über Bushido. Vor zwei Jahren begleitete Amend den Rapper zwei Tage während eines Videodrehs. Textauszug aus Amends Reportage: ,"Eigentlich höre ich meine eigene Musik nicht", sagt Bushido geschäftsmännisch. "Ich kann auch nicht verstehen, warum andere mich so krass feiern. Ich bin kein Fan von mir. Ich höre lieber Depeche Mode!".' Ironische Sätze wie diese dürften Bushido gefallen haben - und er fragte beim Journalisten Amend an, ob man nicht noch mehr davon bekommen könnte. Am besten gleich eine fette und lustige Autobiografie, in der viele Geschichten mit dem Satz enden: "Hehe, drauf geschissen!".
Lars Amend hatte seine Lektion in Sachen Jugendkultur zuvor gelernt. Der 30-Jährige stammt aus dem hessischen Provinzort Langgöns bei Giessen und lebt mittlerweile in Berlin. Dort arbeitete er für MTV und den Jugendsender "Fritz"; sein Bruder Christoph Amend ist Leiter des Zeit-Magazins Leben.
Nach dem Abitur jobbte Lars Amend zunächst für den Schallplattenvertrieb Discomania, bevor er für ein Jahr nach London ging und bei "Tower Records" in der Abteilung "Soul & Dance" jobbte. Seine Vorliebe für schwarze Musik, Hiphop und Soul brachte ihn danach zurück nach Frankfurt, zum Jugendradio des Hessischen Rundfunks, hr XXL (heute YouFM). Parallel dazu führte er zahlreiche Musikerinterviews für das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung und den Berliner Tagesspiegel.
Die Frage ist: wieviel Amend steckt im Bushido-Text? In einem MTV-Interview hat Bushido eingeräumt, das Buch sei nach zahlreichen und langen gemeinsamen Interviews entstanden. Ein Knochenjob für Amend, der aus seitenlangen Transkripten einen locker-flockigen Fließtext formen musste.
Eine erste Kostprobe lieferte das Autorenduo Bushido/Amend in der allerersten deutschen Ausgabe der Zeitschrift Vanity Fair: In einem "Essay" wetterte der Rapper über das deutsche Sozialsystem, gab sich als echter Patriot und plädierte - ganz im Sinne des damaligen Chefredakteurs Ulf Poschardt - für knallharten Neoliberalismus. Dem "sozialliberalen Zeitgeist mal so richtig in die Fresse hauen", das sieht die Süddeutsche Zeitung denn auch als Subtext der aktuellen Biografie. Bushidos Credo: Ich habe mich hochgearbeitet, ihr könnt das auch. "Ich habe es vom vorbestraften Drogendealer und Schulabbrecher zum Millionär geschafft", sagte Bushido dem Magazin Stern, "ich habe mich nie aufgegeben und immer an mich selbst geglaubt. Das beeindruckt meine Fans". Dazu passt auch die Tatsache, dass Bushido rigoros gegen Raubkopierer seiner Tracks vorgeht, notfalls auch vor Gericht. Davon liest man in der Biografie allerdings nichts.
Die Geschichte der Popmusik ist undenkbar ohne diverse moralische Grenzüberschreitungen. Aber der Sozialdarwinismus Marke Bushido war bisher in Deutschland so noch nicht formuliert worden. Hoffähig war das bisher nur unter US-Rappern wie 50 Cent und Co. Amerikanische Verhältnisse in deutschen Vorstädten? Gangsterraptexte als Vorboten für den sozialen Abstieg der Mittelschicht? Abschied von der linken Popkultur, rechter Backlash: Das alles wurde bereits prognostiziert, unter anderem von Diedrich Diedrichsen ("The kids are not alright").
Während die meisten bürgerlichen Feuilletons das Phänomen entweder ignorieren oder nur belustigt zur Kenntnis nehmen, prescht medial der Videoclipsender MTV vor und bringt am Freitag einen ganzen Tag lang nichts als Bushido-Specials. Perfekter kann eine Promo-Plattform heutzutage nicht sein: In Berlin jammert die versammelte Musikindustrie bei der Popkomm, nur einer sorgt noch für satte Gewinne und übernimmt MTV im Alleingang: Bushido, flankiert von seinem PR-Mann Amend.
Um den Erfolg des Konzepts "Bushido" zu verstehen, muss man wissen, dass die Medienfigur Bushido stets janusköpfig auftritt: In Talkshows wie jüngst bei Johannes B. Kerner gibt sich Anis Ferchichi alias Bushido smart und nachdenklich. Auf der Bühne markiert er den harten Gangsterrapper mit den politisch unkorrekten Texten. Deutschlands erfolgreichster, aber auch umstrittenster Rapper ist in erster Linie Geschäftsmann mit eigener Plattenfirma ("ersguterjunge") und mittlerweile auch Immobilienmakler. Über die musikalische Qualität der Bushido-Produkte schweigt sich Hiphop-Kenner und Co-Autor Lars Amend bewusst aus. Man stellt sich einfach mal dreist auf eine Qualitätsstufe mit US-Rapstars wie Snoop Dog.
Politisch unkorrekt und frauenverachtend sind auch die meisten Passagen des Buchs über Bushido. Das verlangen die Fans, darunter viele Teenager, die Bushido aus der Bravo kennen: Sie wollen Sexgeprotze, Halbwelt-Mafia-Stories und dicke Hose. Und sie kriegen all das. Sie kriegen aber auch die Wahrheit über Bushidos Eltern, die beide krebskrank sind. Mit seinem tunesischen Vater hat er sich dann doch noch versöhnt, man wartet bereits auf die entsprechende Szene im angekündigten Bushido-Film. Auch diverse Mitarbeiter der Musikindustrie werden das Buch mit Interesse gelesen haben, werden doch einige Interna erzählt. Zum Beispiel die Passage, in der Neffi Temur von Universal Music "die Hände über dem Kopf zusammenschlug", als er die Bushido-Textzeile "Ihr Tunten werdet vergast" las. Im Buch folgt eine seitenlange Reinwaschung von den Vorwürfen, Bushido sei schwulenfeindlich und ein Rassist. Das Werk liefert jetzt zumindest genügend Stoff für Sozialarbeiter und Psychologen. Aber eines kann man zwischen den Zeilen lesen: Bushido, der seinen Künstlernamen aus dem Verhaltenskodex des japanischen Militäradels abgeleitet hat, bewegt sich auf einem dünnen Seil, vermutlich ohne Netz und doppelten Boden.
Vor einem Jahr wäre beinahe alles zuende gewesen: Der Rapper verunglückt mit seinem Mercedes auf der Fahrt nach Köln - aber die Airbags verhindern das Schlimmste. "Für einen kurzen Moment dachte ich, ich wäre tot", heisst es in dem Kapitel "Mein zweiter Geburtstag". Auch Lars Amend war an jenem Septembertag vor einem Jahr mit im Wagen. Auch er redet von einer ganzen Armee von Schutzengeln, die mit im Auto sassen. Auf der letzten Seite der Biografie gibt sich der harte Rapper Bushido wieder ganz weich, und als edler Ritter für die Familienwerte: "Danke, Mama!". Ödipus lässt grüssen.
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