Konflikt im Ostkongo: Niemand blickt durch
Die Lage im Kongo bleibt unübersichtlich. Erst ist Ruandas Armee eingerückt, dann Kongos Armee, und jetzt wurde der Rebellenführer Nkunda verhaftet.
GOMA/RUTSHURU taz Der Hotelmanager hat das Radio an seinen Disco-Lautsprecher angeschlossen, die Frühstücksgäste sind sprachlos. Ein Sprecher des kongolesischen Generalstabs verliest die Meldung von der Verhaftung Laurent Nkundas. Der gefürchtete Führer der Tutsi-Rebellen im Osten der Demokratischen Republik Kongo, dessen militärische Erfolge das Land seit Jahren in Atem halten und der sich zuletzt als ebenbürtiger Gegenspieler des Präsidenten Joseph Kabila verstand, wurde um halb elf in der Nacht zu Freitag festgenommen - ausgerechnet in Ruanda, das als Nkundas Schutzmacht galt.
2006: Tutsi-General Laurent Nkunda rebelliert im Ostkongo gegen Kongos Regierung, weil diese mit Hutu-Milizen aus Ruanda zusammenarbeitet
29. Oktober 2008: In ihrer dritten Kriegsrunde erobert Nkundas Rebellenarmee CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) fast die Provinzhauptstadt Goma
5. Dezember 2008: Kongos bedrängte Regierung erlaubt Ruanda Eingreifen gegen Hutu-Milizen
16. Januar 2009: CNDP-Militärführung erklärt auf Druck Ruandas gegen Nkundas Willen Ende des Krieges
20. Januar 2009: Ruandas Armee beginnt Einsatz im Kongo
"Unglaublich!", entfährt es einem Zuhörer, während ein anderer den Kopf schüttelt: "Wir verstehen überhaupt nichts mehr. Wir erleben historische Augenblicke, aber wohin der Lauf der Geschichte führt, wissen wir nicht." Die offizielle Mitteilung lautet, Nkunda sei nach "Widerstand" gegen vorrückende kongolesische Regierungssoldaten bei Bunagana über die nahe Grenze nach Ruanda geflohen und verhaftet worden. Tatsächlich, so lokale Quellen, wurde in Bunagana gar nicht gekämpft, und Nkunda wäre wohl auch kaum vor Soldaten geflohen, die er regelmäßig selbst in die Flucht schlägt. Ein Mitarbeiter Nkundas behauptet, der Rebellenchef sei zu Konsultationen nach Ruanda gerufen und dort festgenommen worden. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt: Er soll sich in Militärgewahrsam in Ruanda befinden, aber es werden unterschiedliche Orte genannt. Kongo hat seine Auslieferung beantragt.
Innerhalb weniger Tage wurden somit die Verhältnisse im Ostkongo, einem der schlimmsten Kriegsgebiete der Welt, komplett durcheinandergewirbelt. Am Freitag vergangener Woche verkündeten die Generäle von Nkundas Rebellenorganisation CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes), die große Teile der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu beherrschen, das Ende ihres Kampfes. Am Dienstag rückte Ruandas Soldaten zu tausenden ins Rebellengebiet ein, zum gemeinsamen Kampf mit Kongos Armee und CNDP gegen die ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Ostkongo. Und nun haben sie als Erstes CNDP-Führer Nkunda, der sich gegen seine Generäle gestellt hatte, außer Gefecht gesetzt.
Nichts ist mehr so, wie es scheint. Vordergründig sieht es in den grünen Hügeln des Distrikts Rutshuru, wo die Vulkane Ruandas blau am Horizont schimmern und man in die andere Richtung durch die Bananenhaine zuweilen auf blaue Seen und idyllische Landschaften blickt, nach Frieden aus: Soldaten in grünen Uniformen, bepackt mit Plastikcontainern, Kartoffelsäcken, Sturmgewehren und was man sonst so im Kongo zum Überleben braucht, marschieren in einer endlosen Kolonne in der Sonne eine zerfallene Teerstraße entlang. Auf der Straßenseite gegenüber, im Schatten, stehen einige wenige Rebellen in scheckigen Tarnuniformen und gucken. Es fällt kein Schuss, es fällt kein Wort.
Genauso könnte allerdings auch Krieg aussehen: Denn je weiter sich die Straße von der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma Richtung Norden in die 70 Kilometer entfernte Distrikthauptstadt Rutshuru durch den Busch schlängelt, desto zahlreicher werden auch die Soldaten. Sie beugen sich von überladenen Lastwagen herunter, sie liegen im Gras, sie drängeln sich vor einem Transporter mit Lebensmitteln, sie häufen ihr Gepäck in riesigen Bündeln. Die kongolesischen Regierungstruppen denken nicht daran, zusammen mit ihren Kameraden aus Ruanda weiterzuziehen. Sie tun so, als eroberten sie einfach kampflos Nkundas Rebellengebiet zurück. Und vielleicht stimmt das sogar.
Im kleinen Dorf Kibumba dominieren die Regierungssoldaten den Gemüsemarkt. Mehr Soldaten stehen da herum als Kohlköpfe. Die zum Truppentransport requirierten Lastwagen blockieren die Straße.
In den Dörfern am Südrand von Rutshuru fläzen sie sich breitbeinig und arrogant in den Vorgärten von Lehmhütten, deren Bewohnerinnen verschreckt auf den schmalen Holzbänken an den Türen hocken. In der 100.000 Einwohner zählenden Distrikthauptstadt selbst richten sie sich im Sportstadion ein und bummeln durch die Gassen, immer beäugt von CNDP-Soldaten.
In seinem gepflegten, einfachen Haus in Rutshuru zwischen unbefestigten, zerfurchten Wegen feiert Territorialverwalter Jules Simpense, von den CNDP-Rebellen eingesetzt, gerade die Taufe seiner jüngsten Tochter. Herausgeputzte kleine Mädchen in weißen Kleidern und kleine Jungs in schwarzen Anzügen rennen aufgeregt ein und aus, während drinnen Musik spielt und Bierkästen angeschleppt werden. Beim Gespräch auf der Veranda stellt der junge Mann mit dem CNDP-Anstecker "Rebels For Christ" am Anzugrevers klar, dass das alles so nicht vorgesehen war: "Die Soldaten sollen nicht die Stadt besetzen, sie sollen in Richtung der FDLR-Gebiete weiterziehen, aber sie neigen dazu, das nicht zu tun", erklärt er diplomatisch. Seit Donnerstag rücke Ruandas Armee wie vereinbart in zwei Richtungen gegen die FDLR-Milizen vor - einmal Richtung Ishasha an der Grenze zu Uganda, einmal Richtung Nyanzale ins Landesinnere. Aber die Regierungssoldaten des Kongo gehen nicht mit. "Sie haben nichts zu essen und keine Unterkunft", warnt ein Mitarbeiter Simpenses. "Nach zwei Tagen werden wir sehen, was das ergibt, und das wird Konsequenzen haben." Das ist eine kaum verhüllte Warnung, dass Nkundas Rebellen notfalls wieder zu den Waffen greifen. Ob mit oder ohne Nkunda.
"Inquiétude" - Beunruhigung - ist die häufigste Antwort im kleinen Dorf Rugari weiter südlich, wenn man nach der Stimmung fragt. "Wir haben keine Ahnung, was hier los ist", sagt ein verhärmter alter Mann, der an der Hauptstraße neben einer CNDP-Patrouille das Treiben beobachtet. Am Dienstag spazierten an den verblüfften Dorfbewohnern lange Kolonnen ruandischer Truppen vorbei. Am Mittwoch folgten ebenso lange Kolonnen kongolesischer Truppen. Am Donnerstag laufen kongolesische Regierungsverbände und CNDP-Rebellen durcheinander die Straße auf und ab. Haben die Leute denn nicht die Soldaten gefragt, was sie hier machen? "Das sind Soldaten", lautet die Antwort. "Denen stellt man keine Fragen."
Einer, der Fragen stellen darf, ist der traditionelle König der Region, Mwami Paul Ndeze. Er regiert über die kongolesischen Hutu, die im Distrikt Rutshuru die Bevölkerungsmehrheit stellen. Der gedrungene Mann mit ergrautem Haar kann sich kaum gegen die vielen Obstverkäuferinnen behaupten, die das Auto umringen, als er südlich von Rutshuru auf der Hauptstraße anhält. "Ich habe keine Ahnung, was hier los ist", eröffnet er die Diskussion. Kann ihm mal bitte jemand erklären, warum hier jetzt jeden Tag eine andere Armee durchläuft? Er weiß nicht einmal, wen er anrufen soll, falls etwas passiert. "Es braucht nur ein hungriger Soldat einen Laden zu plündern und ein CNDP-Soldat geht dazwischen, und dann wird wieder geschossen", fürchtet er. Kongos Hutu haben unter Kongos Kriegen viel gelitten. Sie wurden immer wieder als mutmaßliche Kollaborateure der ruandischen Hutu-Milizen verdächtigt, die sich nach dem von ihnen begangenen Völkermord in Ruanda 1994 im Kongo versteckten. Sie haben seit sechzehn Jahren keinen Frieden mehr erlebt. Ihre Märkte sind ärmlich, die Dorfhütten elendig, obwohl es in dieser Region nicht an Nahrung mangelt: Der Boden ist sehr fruchtbar, auf der Hauptstraße donnern Lastwagen mit fünf Meter hohen Ladungen Gemüse Richtung Goma. Zu essen gibt es viel, aber Geld hat hier kaum jemand. Die Frauen mit Schüsseln voller Orangen, Avocados und Bananen auf dem Kopf werden ihre Ware nicht los, obwohl viele der staubigen und zerlumpten Kinder hungrig aussehen.
So manche Hutu haben jetzt die Rückkehr der Regierungsarmee begrüßt. Das Gebiet fiel erst im Oktober 2008 an die Tutsi-Rebellen der CNDP, die in Rutshurus Vorstadt Kiwandja prompt ein Massaker anrichteten. Für die Regierungssoldaten gab es jetzt dort sowie in manchen anderen Orten Freudenfeste, erzählt der König. "Manche Frauen haben vor den Soldaten ihre besten Tücher auf der Straße ausgebreitet, als Zeichen der Huldigung, so als hätte es einen militärischen Sieg gegeben." Ist es nicht gut, wenn sich die Leute freuen? "Ich kann mich darüber nicht freuen. Da kommt vieles hoch, was ungut ist: Stammestum und Hass: dass die einen gut sind und die anderen schlecht." Er meint die Feindschaft von Hutu und Tutsi und die anderen abgrundtiefen ethnischen Konflikte Ostkongos, die seit 1993 hunderttausende Tote gefordert haben und deren Beendigung eines der erklärten Ziele der CNDP ist.
Militärische Feldzüge gegen die FDLR haben nie funktioniert, sagt der König. "Alle sagen: Die Soldaten aus Ruanda werden die Milizen auf den Straßen suchen, während die sich im Busch verstecken. Es ist ganz anders. Die Soldaten suchen die Milizen im Busch, aber tatsächlich sind sie hier, mitten auf der Straße, während wir reden, oder sie sitzen in den Häusern und gucken zu. Sie sind überall." Viele FDLR-Kämpfer haben sich längst bei kongolesischen Hutu eingeheiratet, im Kongo Kinder gezeugt, kongolesische Ausweise erworben. Sie sind Teil der Bevölkerung geworden.
Die Regierungssoldaten haben andere Sorgen. Sie ziehen im Kongo mit ihren Familien durch das Land, meist erschöpft und geschunden wirkende Frauen, die zur Rast irgendwie eine Unterkunft improvisieren müssen. Die Frauen schleppen Unmengen gelber Plastik-Wassercontainer, das wichtigste Haushaltsgut unter der kriegsbedingt sehr mobilen Bevölkerung Ostkongos, während ihre Männer mit Koffern und Waffen herumlaufen. Ist das der neue Krieg? Ist das der neue Frieden?
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