Doping-Analytiker über Radsport: „Mir ist die Lust vergangen“

Ein Gespräch mit dem Doping-Analytiker Wilhelm Schänzer über bekannte und neue Substanzen zur künstlichen Leistungssteigerung.

Am Samstag startet die Tour de France 2009. Bild: reuters

taz: Herr Schänzer, wird diese Tour de France sauberer sein als ihre Vorgängerinnen?

Wilhelm Schänzer: Ich hege die Hoffnung, dass sie sauberer wird.

Der Biochemiker leitet das Wada-akkreditierte Dopingkontrollabor an der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Das dachte man 2008 auch, und dann gab es eine Reihe von positiven Fällen, Radprofis fielen vor allem mit dem Blutdopingpräparat Cera auf.

Ich denke, dass Cera bei dieser Tour keine Rolle mehr spielen wird, weil man sehr gut darauf kontrollieren kann. Epo ist sicherlich immer noch von hohem Interesse für Radprofis, aber diese entdeckten Cera-Manipulationen haben eine hohe Abschreckung gehabt.

Was ist mit Eigenblut-Doping?

Blutdoping ist nach wie vor ein großes Problem. Hier versucht man allerdings, über Blutpässe und Blutprofile die Athleten zu verunsichern.

Wie geht das konkret?

Wenn man beispielsweise mit Cera arbeitet, kommt es zum Anstieg der Hämaglobinwerte (roter Blutfarbstoff; d. Red.), der Hämatokritwert (Anteil fester und flüssiger Bestandteile im Blut; d. Red.) steigt an, am Anfang geht auch der Wert der Retikulozyten (Vorstufe der roten Blutkörperchen; d. Red.) hoch, nachher fällt er wieder ab. Cera wurde aber ganz klar genommen, weil die Athleten und ihre Betreuer dachten, es wäre nicht nachweisbar.

Besonders interessant in den Blutprofilen scheint der „Reti“-Wert zu sein, also die prozentuale Menge der Retikulozyten im Blut?

Ja, der Wert fällt auf, wenn man zu viel Blut zuführt oder viel Blut abgibt. Das Blut wird ja in einer Zeit genommen, in der es der Sportler verkraften kann, im Winter. Dann wird bis zum Wettkampfhöhepunkt immer wieder ausgetauscht und gespendet, um frisch zu bleiben.

Ist das Erstellen der Blutprofile zurzeit das wirksamste Mittel gegen Doping?

Eigenblutdoping nachzuweisen, ist nur über diese indirekten Parameter möglich. Der direkte Nachweis ist noch nicht möglich, auch wenn man versucht, über die Veränderung der Blutzellen bei der Lagerung etwas hinzubekommen.

Der Österreicher Bernhard Kohl, bei der letztjährigen Tour positiv getestet, hat behauptet, die ersten Zehn der Frankreich-Rundfahrt 2008 seien gedopt gewesen, außerdem habe er zig Dopingtests in Dopingphasen gehabt, sei aber stets negativ gewesen.

Das wird immer groß behauptet. Aber Fakt ist: Wenn man etwa mit niedrigen Dosierungen von Testosteron arbeitet, dann fällt man nicht so schnell auf. Es gibt nach wie vor Möglichkeiten, sofern man die Applikationsmengen und den Zeitpunkt richtig wählt, nicht erwischt zu werden. Dieses Problem kann man nur durch gute und intelligente Kontrollen in den Griff kriegen, zumindest teilweise.

Welche Mittel der Wahl sind denn gerade im Umlauf?

(lacht) Für die Leute, die sich dopen wollen?

Vor allem für die Kontrolleure.

Es sind tatsächlich neue pharmazeutische Mittel im Augeblick in der Pipeline. Es gibt demnächst neue Präparate, die ähnlich wie Epo wirken. Da sehe ich eine große Gefahr. Eine dieser Substanzen steht bereits auf der Liste der verbotenen Stoffe, sie heißt Hematide. Die Analytik arbeitet daran, entsprechende Tests zu entwickeln. Hematide wird wahrscheinlich 2010, 2011 auf den Markt kommen und dann für alle Sportler sehr gut verfügbar sein. Ob es jetzt schon zum Einsatz kommt, weiß ich nicht.

Worauf müssen Sie noch achten?

Es sind Epo-Präparate in der Entwicklung, die auf die körpereigene Produktion von Epo hinarbeiten, zum Beispiel HIF-Stabilisatoren.

Entschuldigung, was für Stabilisatoren?

Das ist ein Faktor, genau: Hypoxia-Inducible Factor. Wenn man zu wenig Sauerstoff im Blut hat, dann wird dieser Faktor stabilisiert und aktiviert damit das Epo-Gen. Pharmafirmen versuchen, entsprechende Stabilisatoren zu entwickeln. Das könnte im Sport auch zu einem Problem werden.

Was hat es mit jener ominösen und angeblich Wunder wirkenden Substanz S107 auf sich?

Das ist auch eine Substanz, die noch in der Entwicklung ist. Sie soll Kalziumkanäle im Herzmuskel stabilisieren. Bei der Behandlung von Herzrhythmusstörungen erhofft man sich einiges davon. Bei Tierversuchen hat sich gezeigt, dass es zu Verbesserungen im Ausdauerbereich kommt. Die Wada (Welt-Antidoping-Agentur; d. Red.) hat die Substanz im Moment noch nicht als dopingrelevant eingestuft, weil sie noch am Anfang der klinischen Erprobung ist. Ob S107 wirklich beim Menschen leistungssteigernd wirkt, muss man erst noch sehen. Bei einer anderen Substanz war die Wada freilich aktiver.

Welche meinen Sie?

Aicar (Aminoimidazol-Carboxamid-Ribonukleosid; d. Red.) und GW1516. Hier waren die Leistungsgewinne im Tierversuch deutlich größer. Um bis zu 70 Prozent mehr Leistung als unbehandelte Mäuse zeigten mit GW1516 gefütterte Tiere auf dem Laufband. Aicar lässt angeblich die Muskeln denken, sie hätten täglich trainiert.

Mit einer Pille ließen sich also dieselben Effekte erzielen wie mit Konditionstraining?

Möglicherweise. Vorsichtshalber wurden die Substanzen von der Wada in die Verbotsliste aufgenommen – als Gendopingsubstanzen.

Wie wirken diese Stoffe?

Es werden Gene aktiviert, die daraufhin vermehrt Enzyme produzieren, die zu einer verbesserten Verbrennung von Fett führen. Die Stoffe sind in der Entwicklung. Langfristig will man damit Krankheiten wie Diabetes und Fettsucht (Adipositas) behandeln.

Sind diese Stoffe erhältlich?

GW1516 kann man als Referenzsubstanz von der Firma kaufen, Aicar kann man auch kaufen, das ist aber tierisch teuer.

Um zu den Klassikern des Dopings zurückzukommen. Wird bei der Tour auf Insulin und Wachstumshormon getestet?

Ja. Auch auf synthetisches Insulin.

Werden Sie sich diese möglicherweise wieder dopingverseuchte Tour überhaupt anschauen?

Nein. (lacht)

Gar nicht?

Seit drei Jahren halte ich es so. Mir ist die Lust an der Tour vergangen. Sie hat mir die Laune nachhaltig verdorben.

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