Politik-Posse in Schleswig-Holstein: Wie Darsteller einer Dokusoap
Erst Lügen, dann persönliche Verunglimpfungen und nun eine parlamentarische Posse: Donnerstag stimmt Schleswig-Holsteins Parlament über die Vertrauensfrage ab.
Schleswig-Holstein bleibt sich treu. Seit vielen Jahren wird in dem nördlichsten Bundesland das immer gleiche Stück gegeben: Politik zum Abgewöhnen. Der jüngste Akt, das Ende der großen Koalition in Kiel, setzt die Tradition fort. Auf Lügen und persönliche Verunglimpfungen folgt eine parlamentarische Posse. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass beide Regierungsparteien genau das Gegenteil von dem erreichen möchten, was sie offiziell fordern.
Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat den Landtag gebeten, ihm das Vertrauen auszusprechen - in der Erwartung, dass die Parlamentarier diese Bitte nicht erfüllen und somit den Weg für Neuwahlen frei machen. Er kann zwar trotz günstiger Umfragewerte nicht sicher sein, danach wie gewünscht mit der FDP regieren zu können, aber die Chancen stehen für ihn allemal besser, wenn Land und Bund gleichzeitig wählen. Denn Carstensen ist zwar einerseits sehr viel beliebter als sein Gegenspieler Ralf Stegner von der SPD, gerät jedoch andererseits unter Druck, seit er einräumen musste, im Zusammenhang mit Millionenzahlungen an den Chef der HSH Nordbank gelogen zu haben. Unter diesen Umständen gilt: Je kürzer ein Wahlkampf ist, desto besser für ihn.
Das weiß auch die SPD. Weswegen deren Fraktionschef Stegner den Ministerpräsidenten zum Rücktritt aufgefordert hat. Nette Idee - die paradoxerweise dazu geführt hätte, dass der Regierungschef einige Monate länger im Amt bliebe, wäre er der Forderung nachgekommen. Neuwahlen würde es nämlich nicht geben.
Wenn sich der Landtag nach einem Rücktritt nicht auf einen neuen Ministerpräsidenten einigen kann - wer sollte das sein? -, dann bleibt der alte geschäftsführend bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Mai 2010 im Amt. Ohne die Vertrauensfrage stellen zu können. Die Folge: zehn Monate Wahlkampf. Zehn Monate Zeit, über die HSH Nordbank und über die Störfälle im Kernkraftwerk Krümmel zu reden. Zehn Monate Zeit für weitere Enthüllungen. Kein Wunder, dass Carstensen unter keinen Umständen zurücktreten wollte.
Man mag darüber streiten, wer am Ende die Schuld am endgültigen Bruch der zerrütteten Koalition trug. Fest steht: Gemeinsam regieren wollen die einstigen Partner nicht mehr. Das liegt nicht nur an der wechselseitigen Abneigung von Stegner und Carstensen, die sich beide aufführen wie Darsteller einer Dokusoap. Das hat vor allem politische Gründe. Ob in Fragen der Haushaltspolitik, der Sozialpolitik oder der Energiepolitik: Immer schwerer fiel es allen Beteiligten, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu einigen.
Die stellvertretende SPD-Ministerpräsidentin Ute Erdsiek-Rave begründete ihre ablehnende Haltung zur Parlamentsauflösung damit, dass sie die große Koalition immer auch als Chance verstanden habe, "Gräben zuzuschütten und dieses Freund-Feind-Denken zu überwinden". Sie wolle nicht akzeptieren, "dass dies gänzlich gescheitert ist". Vielleicht waren das ganz ehrliche Sätze. Viele Abgeordnete haben das Intrigenspiel und die wiederkehrenden Skandale in der Landespolitik längst satt. Redlich mögen die Äußerungen also gewesen sein. Realistisch sind sie nicht.
Dass auch die SPD niemals glaubte, sich der Entwicklung in den Weg stellen zu können, zeigt ein Blick in den Terminkalender: Für den 31. Juli und den 1. August ist ein Parteitag geplant, auf dem der Spitzenkandidat gewählt und die Landesliste aufgestellt werden soll. Warum hat sie also nicht gleich der Selbstauflösung des Parlaments zugestimmt, sondern mit ihrer Sperrminorität die notwendige Zweidrittelmehrheit verhindert?
Zum einen aus taktischen Gründen. Die SPD will die Schuld für den Bruch der Koalition allein Peter Harry Carstensen angelastet sehen. Eine - gescheiterte - Vertrauensfrage lässt sich dafür als Symbol nutzen. Die Selbstauflösung des Parlaments nicht.
Aber es gibt auch noch ein ernstes, demokratietheoretisches Argument für den Widerstand der SPD. Es ist ein Missbrauch des Instruments der Selbstauflösung, wenn es nur genutzt wird, um einen günstigen Wahltermin abzupassen. Um genau das zu verhindern, ist dem Bundestag das Recht zur Selbstauflösung gar nicht erst eingeräumt worden. Dieses ehrenwerte Ziel hat mittlerweile allerdings dazu geführt, dass nun erst recht getrickst wird - mit "unechten" Vertrauensfragen nämlich. Gerhard Schröder hat damit 2005 beinahe eine Verfassungskrise ausgelöst. In Schleswig-Holstein forderte Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) die Abgeordneten auf, das "Heft des Handelns" nicht aus der Hand zu geben. Der Appell, der eigentlich nicht vereinbar ist mit dem Amt eines Parlamentspräsidenten, verhallte ungehört. Donnerstag wird über die Vertrauensfrage abgestimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen