Kommentar Ergenekon-Prozess: Prekärer Freiheitsgewinn

Der Prozess gegen zwei Ex-Genräle zeigt: Die Gesellschaft emanzipiert sich von ihrer Bevormundung durch die Armee. Demokratischer wird die Türkei deshalb noch lange nicht.

Der am Montag begonnene Prozess gegen zwei hohe Ex-Generäle in der Türkei zeigt, dass das Land dabei ist, sich grundlegend zu verändern: Männer aus dem militärisch-bürokratischen Komplex stehen plötzlich vor Gericht; Leute, die vor wenigen Jahren noch als unantastbar galten, sitzen in Untersuchungshaft; seit kurzem dürfen auch aktive Militärs vor Zivilgerichten angeklagt werden - und der Generalstabschef schweigt oder wird nicht mehr ernst genommen. Die türkische Gesellschaft emanzipiert sich von der Bevormundung durch die Generäle.

Damit geht ein jahrzehntelanger demokratischer Kampf seiner Erfüllung entgegen - allerdings nicht unbedingt im Sinne der demokratischen Kräfte des Landes. Die Art und Weise nämlich, wie die Entmachtung des Militärs vorangetrieben wurde, wirft Fragen auf. Träger dieses Prozesses ist die islamisch-konservative AKP von Ministerpräsident Erdogan und Präsident Gül.

In den ersten Jahren ihrer Regierungszeit war die AKP zweifellos ein Katalysator für Demokratisierung und Öffnung der türkischen Gesellschaft. Doch das hat sich geändert. Je länger Erdogan an der Macht ist, umso autokratischer regiert er. Die Militärs verlieren ihre Macht, aber die undemokratischen Herrschaftsinstrumente, die sie nach dem Putsch 1980 eingeführt haben, werden nicht abgeschafft, sondern für die eigenen Zwecke umfunktioniert. Die Presse wird gegängelt und die Religion benutzt, um Gegner einzuschüchtern.

Momentan erlebt die Türkei einen Freiheitsgewinn, aber der wird nur bleiben, wenn jetzt eine zivile Opposition entsteht und die Rolle, die das Militär in den bisherigen Jahren der AKP-Regierung gespielt hat, auf neue, demokratische Weise übernimmt. Noch ist diese zivile Opposition so schwach, dass Erdogan seinen Hang, sich als neuer Sultan zu gebärden, nahezu ungestört ausleben kann.

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