piwik no script img

Podiumsdiskussion zum WM-BoykottSchäublisierung der Leichtathletik

Nicht alle Journalisten, die an der Podiumsdiskussion im taz-Café teilnahmen, waren einverstanden mit dem taz-Boykott der Leichtathletik-WM.

Fast alle haben unterschrieben: Journalisten bei Vorbereitungen für Leichtathletik-WM in Berlin. Bild: dpa

Zum Schluss wurde der Blick nach vorne gerichtet. Taz-Medienredakteur Steffen Grimberg hatte zur "Konzertierten Aktion" vor der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland aufgerufen- und niemand widersprach.

Dabei waren nicht alle Journalisten, die an der Podiumsdiskussion am Donnerstag im taz-Café teilnahmen, einverstanden mit dem von der taz gewählten Mittel des Boykotts. Diesen hatte die taz zehn Tage vor Beginn der Leichtathletik-Weltmeisterschaft, die noch bis Sonntag in Berlin stattfindet, bekannt gegeben. Keine Berichte über die Wettkämpfe, aus Protest gegen das Akkreditierungsprozedere des Berlin Organising Committee (BOC). Die Sportredakteure der taz, Andreas Rüttenauer und Markus Völker, wollten die vom BOC geforderte "Einverständniserklärung zur Zuverlässigkeitsprüfung" nicht unterschreiben beziehungsweise strichen entscheidende Passagen. Allen voran Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, bezeichnete die Berichterstattung als "erste Aufgabe der Journalisten". Erst dann kämen die Umstände der eigenen Arbeit. "Die beiden Bereiche muss man strikt voneinander trennen", sagte Maroldt.

Kritik erntete er dafür von Michael Konken, dem Vorsitzenden des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV). Für ihn ist das Akkreditierungsprozedere des BOC "ein klarer Eingriff in die Pressefreiheit". Im Zuge dieses Prozederes mussten die Journalisten nicht nur einem Abgleich ihrer Daten mit der Datei "Gewalttäter Sport" und anderen Informationssammlungen zustimmen, sondern auch eine Überprüfung durch die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes sowie den Bundesnachrichtendienst zulassen. "Keiner findet das Papier, welches wir unterschreiben mussten, in Ordnung", gibt Claudio Catuogno die Meinung aller Podiumsteilnehmer wieder. "Warum wir uns dennoch akkreditiert haben? Wir haben mit der Leichtathletik-WM das größte Sportereignis der Welt. Und dieses Ereignis hat einen Kern, zu dem wollen wir vordringen. Das können wir nur, wenn wir nah dran sind", sagte der Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung, "wir wollen die Marketinghülle knacken".

Haben sich die Journalisten denn vorher über die Sicherheitsüberprüfung Gedanken gemacht? "Wir sahen, dass die Überprüfungen krasser schienen als bei der WM 2006, aber haben das dennoch als Routine genommen", erläutert Jörg Winterfeldt von der Welt. "Erst wenn es zu Konsequenzen für Kollegen gekommen wäre, hätten wir das groß thematisiert." Doch alle 3.200 überprüften Journalisten waren zur Veranstaltung zugelassen worden.

Unterschiedliche Meinungen herrschten auch unter den beiden ehemaligen SportlerInnen auf dem Podium. Heidi Schüller, die Hürdensprinterin, begrüßte den Boykott und betonte hingegen: "Wenn ich kriminelle Bedrohung vermute, dann auf der Ehren-, nicht auf der Pressetribüne." Dieter Baumann, der 5.000-Meter-Olympiasieger von 1992, denkt vorneweg an die Sportler: "Die meisten sind keine Profis, die brauchen diese Aufmerksamkeit einer WM."

Allerdings beschränkte sich jeder Dissens auf den Weg, über das Ziel war man sich einig. Die "Schäublisierung", wie sie Catuogno nannte, könne niemand hinnehmen: "Der Boykott hat insofern etwas Gutes, dass wir uns beim nächsten Mal viel früher um das Problem kümmern." Paradox ist die "laxe" (Maroldt) Sicherheitsüberprüfung an den Stadiontoren. Ein kurzes Zeigen der Akkreditierung genügt.

Für DJV-Chef Konken ein Indiz dafür, dass es bei den Vorabüberprüfungen nicht nur um die Sicherheit bei dieser WM geht: "Die Daten werden doch beim BND nicht gelöscht. Die bleiben da! Und bei der nächsten WM in Rom oder Moskau werden die ausgetauscht", zürnte und befürchtete er - und nahm dem Moderator Grimberg das Schlusswort voraus: "Wir Journalisten müssen Schulter an Schulter gehen."

Es sind noch 22 Monate bis zur Frauenfußball-WM in Deutschland.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • M
    mthemba

    es ist auch bei journalistInnen das grundproblem: ihre hausaufgaben machen oder sich - hin und wieder nach eigenem gusto - die persönliche ethik als massstab zu nehmen und jeder davon auch noch erzählen--- ich erwarte vom journalismus - daß er sich nicht zum einen von staatswillkür und überwachungswahn beeindrucken lässt und auch - vielleicht mehr noch als andere - darauf hinweist, aber auch über das berichtet,was "innen drin" geschieht --- nun ist eine nicht erfolgte berichterstattung über ein sportereignis ungefähr so interessant wie die 100ste liebelei von z.b. berlusconi usw. ---- aber die frage wäre, was passiert, wenn es um grössere lebendswichtigere ereignisse geht und eine ähnliche akrreditierung verlangt wird --- was dann? boykott grundsätzlich ist eine zweifelhafte angelegenheit, für journalistInnen im speziellen ---

  • V
    vic

    "Nicht alle Journalisten, die an der Podiumsdiskussion im taz-Café teilnahmen, waren einverstanden mit dem taz-Boykott"

     

    Kein Problem, sie müssen ja nicht.

  • OO
    Oliver O.

    ZITAT: "Allen voran Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, bezeichnete die Berichterstattung als "erste Aufgabe der Journalisten". Erst dann kämen die Umstände der eigenen Arbeit."

     

    Jobprotection nennt man das in Neudeutsch.

     

    Die erste Aufgabe eines Journalisten ist nicht allein die Berichterstattung ohne die äußeren Umstände, sondern auch immer Authentität seiner Arbeit und damit die Unabhängigkeit.

     

    Letzters ist auf Dauer nicht gewährleistet bei dem Verfahren. Es muss eine Art der Immunität der Presse geben, für Politiker funktioniert das ganz gut.

     

    Normalerweise nennt man das Pressefreiheit, die Ironie ist doch, dass die Presse selbst auf die Pressefreiheit pfeifft und im Anschluss feststellt: Ops, da hätte wir zusammen halten sollen...

     

    Ein wenig mehr Weitsicht hätte ich von der Runde schon erwartet.