Michael Buback über Verena Becker: "Es gab eine schützende Hand"

Michael Buback, Sohn des von der RAF erschossenen Generalbundesanwalts, über Verena Becker - und warum sie nach der Tat von einflussreichen Personen im Staatsapparat geschützt wurde.

War unter dringendem Tatverdacht festgenommen worden: Die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker, hier mit Kapuze überm Kopf. Bild: dpa

taz: Herr Buback, mehr als zwei Jahre lang haben Sie darauf hingewiesen, dass Verena Becker ihren Vater erschossen haben könnte. Jetzt wurde Becker verhaftet, sie gilt aber immer noch nicht als Todesschützin. Sind Sie enttäuscht?

Michael Buback: Nein. Ich bin sehr erleichtert, dass jetzt auch die Bundesanwaltschaft einen dringenden Tatverdacht bei Verena Becker sieht. Nun hoffe ich, dass es zu einem Prozess kommt, in dem geklärt wird, wie Verena Becker in den Karlsruher Anschlag verwickelt war. Als sie gemeinsam mit Günter Sonnenberg festgenommen wurde, hatten sie ja immerhin die Tatwaffe im Gepäck und einen Suzuki-Schraubendreher, wie er im Tatmotorrad, einer Suzuki, fehlte. Und in einem Motorradhelm, den die Mörder benutzten, wurde ein Haar gefunden, das identisch ist mit Haaren in der Haarbürste von Verena Becker.

Die Bundesanwaltschaft sagt, sie habe keine Beweise, dass Becker Ihren Vater erschossen hat.

Michael Buback, 64, ist Chemie-Professor an der Universität Göttingen. Seit Anfang 2007 versucht er herauszufinden, wer 1977 seinen Vater, den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback, erschossen hat. Seine Erkenntnisse hat er 2008 in dem Buch "Der Zweite Tod meines Vaters" zusammengefasst. Es erscheit diese Woche als Taschenbuch mit einer rund 80-seitigen Ergänzung, die neue Zeugenaussagen und neue Vorwürfe an die Ermittlungsbehörden enthält.

Es geht ja vor allem und zunächst um Mittäterschaft. Darauf, dass Verena Becker geschossen haben könnte, weisen aber die Aussagen mehrerer Augenzeugen hin, die eine zierliche Frau auf dem Soziussitz des Tatmotorrads erkannt haben.

Die Bundesanwaltschaft hält viele Indizien gegen Becker nicht für überzeugend. Sie ordnet zum Beispiel die Tatwaffe Günter Sonnenberg zu, weil sie in dessen Rucksack gefunden wurde.

Es war das gemeinsame Gepäck von Becker und Sonnenberg. Und es ist für mich naheliegend, dass der Mann den einzigen mitgeführten, vermutlich schweren Rücksack getragen hat und nicht die zierliche Frau.

Und woher wissen Sie, dass ein Haar Beckers im Motorradhelm der Täter gefunden wurde?

Dies ergibt sich aus einer mir vorliegenden BKA-Dokumentation. Die Bundesanwaltschaft sagt nun, es gebe kein entsprechendes Gutachten und das Haar aus dem Helm sei seit 1979 "verbraucht", so dass man es heute nicht mehr untersuchen könne.

Wie sollen Zeugen, die vor 30 Jahren eine zierliche Person gesehen haben, heute Verena Becker als Schützin identifizieren?

Das können sie wohl nicht, aber es geht um etwas anderes: Das BKA hat am Tag nach der Tat Christian Klar, Günter Sonnenberg und Knut Folkerts als mutmaßliche Täter bezeichnet. Alle drei sind groß. Und auch auf Stefan Wisniewski, gegen den seit 2007 ermittelt wird, passt die Beschreibung der Augenzeugen nicht, wonach eine zierliche Person hinten auf dem Motorrad gesessen hat.

Aber warum soll diese zierliche Person gerade Verena Becker gewesen sein?

Günter Sonnenberg war schnell als Mieter des Motorrads identifiziert und der damalige BKA-Einsatzleiter berichtete, dass noch am Tattag Verena Becker und Christian Klar als dessen Kontaktpersonen feststanden. Am Tag des Anschlags wurde auch nach Becker gefahndet. Dann aber bald nicht mehr, und Knut Folkerts wurde neben Klar und Sonnenberg zum dritten Tatverdächtigen. Diese drei Männer gelten noch heute als das offizielle Tätertrio.

Sie sprechen von mehreren Augenzeugen, die eine zierliche Person erkannt haben. Gibt es neue Aussagen?

Ja, vor einigen Monaten meldete sich bei mir eine Frau, die nach den ersten Schüssen das gesamte Attentat von ihrem Dienstzimmer aus mit uneingeschränktem Blick und ohne eigenes Risiko beobachtet hat. Sie sagte, von der Silhouette her habe eine Frau auf dem Soziussitz gesessen, deutlich - etwa um eine Kopflänge - kleiner als der Fahrer. Die Zeugin war entsetzt über die Brutalität dieser zierlichen Person, die auch geschossen habe.

Warum hat die Aussage dieser Frau bei den Prozessen gegen Folkerts 1980 und Klar 1985 keine Rolle gespielt?

Das wüsste ich auch gern. Die Aussage wurde am Tag des Anschlags von einem Ermittler aufgenommen, aber die Frau wurde nicht als Zeugin vor Gericht geladen. Die Zeugin kann sich im Übrigen nicht mit der ihr zugeordneten, damals in die Akten gelangten Aussage identifizieren. Diese enthält auch nichts von der Brisanz dessen, was die Zeugin mir, aber auch der Bundesanwaltschaft jetzt berichtet hat. Das Protokoll der Aussage wurde ihr damals nicht vorgelegt. Es ist somit auch nicht von ihr unterschrieben. Ähnliche Merkwürdigkeiten gab es auch bei der Aussage eines anderen Zeugen, der eine zierliche Frau auf dem Motorrad gesehen hatte.

Was schließen Sie daraus?

Es fällt auf, dass sich die vielen Merkwürdigkeiten, Fehler und Versäumnisse, die ich in meinem Buch im Detail beschreibe, bei den damaligen Ermittlungen jeweils zugunsten einer zierlichen Frau auswirkten. Das kann sich in dieser Fülle kaum zufällig ereignet haben, da es zu unwahrscheinlich wäre. Somit definiert dieser geradezu systematische Trend bei den Ermittlungen in meinen Augen, dass es eine schützende Hand für eine mutmaßliche Täterin gegeben hat.

Welche Schutzmaßnahmen sehen Sie noch?

Fünf Tage nach dem Karlsruher Attentat auf meinen Vater wurde in Köln von zwei Personen eine Bank überfallen. Eine Zeitung titelte damals "Bubacks Mörder überfielen Bank". Im Verdacht standen Günter Sonnenberg, der das Fahrzeug beschafft hatte, aber bald auch Verena Becker. Doch nach deren Festnahme einen Monat später wurde Becker nicht sofort den Zeugen in der Bank gegenübergestellt, sondern - mit Erfolg - erst 20 Monate später, im Februar 1979. Ihr Prozess wegen der versuchten Morde in Singen war da längst vorüber.

Noch ein Beispiel?

Bei der Verhaftung Beckers und Sonnenbergs wurde ein Notizbuch gefunden, in dem mit Beckers Handschrift der Eintrag "Strauß F.J." stand. Becker hatte auch Franz-Josef Strauß im Visier. Dessen Frau hatte bereits zuvor eine Ausspähung beobachtet und gemeldet. Der Fund des Notizbuchs wurde nicht publik gemacht. Man hätte Verena Becker wohl kaum eine Anklage wegen des Karlsruher Attentats ersparen können, wenn bekannt geworden wäre, dass sie auch in eine Ausspähung von Franz Josef Strauß involviert war.

Sie glauben also, Verena Becker wurde vom Staat gedeckt?

Nicht vom Staat und das Wort "Deckung" möchte ich durch "Schutz" ersetzen. Es gab wohl einige wenige Personen, die eine schützende Hand über sie hielten.

Glauben Sie nicht, dass man viel zu viele Personen hätte einweihen müssen, um so umfassende Ermittlungen wie nach dem Karlsruher Attentat zu manipulieren?

Vermutlich genügen sehr wenige Personen, um eine solche Maßnahme zu planen und durchzuführen. Es bleibt auch noch die Frage, worin Verena Beckers Gegenleistung für einen Schutz im Jahr 1977 bestanden haben könnte. Die bekannt gewordenen Aussagen vor dem Verfassungsschutz wurden erst 1981/1982 gemacht.

Kann es wirklich sein, dass die Bundesanwaltschaft damals den Mord an ihrem ehemaligen Chef nicht richtig aufklären wollte?

Es erscheint mir durchaus möglich, sogar wahrscheinlich, dass Beamte der Bundesanwaltschaft nicht umfassend informiert, vielleicht sogar getäuscht wurden und sie von Schutzmaßnahmen nichts wussten und derartiges wohl auch nicht für möglich gehalten hätten. Allerdings müsste Generalbundesanwalt Kurt Rebmann mehr gewusst haben.

Welche Rolle spielte Gerhard Boeden, der damalige Abteilungsleiter Terrorismus im Bundeskriminalamt?

Am Tag nach dem Attentat präsentierte er in der Tagesschau die drei männlichen Tatverdächtigen. Das war die entscheidende Weichenstellung, bei der Verena Becker aus dem unmittelbaren Täterkreis herausfiel.

Und warum sollte Verena Becker gedeckt werden?

Es könnte sein, dass sie bereits 1977 oder sogar noch früher eine Kooperation mit Geheimdiensten hatte. Dann wäre es unangenehm gewesen, wenn herausgekommen wäre, dass sie am Attentat auf den Generalbundesanwalt beteiligt gewesen sei.

Glauben Sie, dass es auf Staatsseite Mitwisser gab, die das geplante Attentat sogar bewusst geschehen ließen?

Ich will hier nicht spekulieren. Zunächst muss Verena Beckers Tatbeitrag sicher geklärt werden.

Erfordert die Annahme einer schützenden Hand nicht eine Klärung des Motivs?

Nein. Über Motive ist nachzudenken, sobald gesicherte Erkenntnisse über Schutzmaßnahmen bekannt sind. Ich habe weder die Möglichkeit noch die Absicht, solche Hintergründe auszuforschen.

Werden die angesprochenen Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen in einem möglichen Prozess gegen Verena Becker zur Sprache kommen?

Ich gehe fest davon aus, dass die Zeugen, die eine zierliche Person auf dem Motorrad gesehen haben, nun endlich auch vor Gericht gehört werden.

Bisher hält die Bundesanwaltschaft diese Zeugen - unter Verweis auf abweichende Aussagen in den alten Protokollen - für ungeeignet. Werden Sie als Nebenkläger die Vernehmung dieser Zeugen fordern?

Meine Familie ist in den bisherigen Prozessen nicht als Nebenkläger aufgetreten. Dabei wird es vermutlich bleiben. Es sei denn, eine solche Maßnahme wird dringend erforderlich, aber ich hoffe, das wird nicht der Fall sein.

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