Kommentar Bundestagswahl: Sie haben die Wahl

Der Handlungsspielraum der Regierung, die am Sonntag gewählt wird, wird massiv eingeschränkt sein. Mit Schwarz-Gelb würde die Unterschicht in Deutschland massiv wachsen.

Nein, es ist noch nichts ausgemacht. Weder dass es wieder eine große Koalition gibt noch dass es seit 1998 zum ersten Mal wieder für eine konservativ-liberale Regierung reicht.

Was wir aber wissen: Der Staat wird in den kommenden vier Jahren 320 Milliarden weniger Steuern einnehmen. Das ist die knallharte Realität, mit der jede künftige Regierung konfrontiert sein wird. Man kann sie weder wegmoderieren noch totignorieren noch wegträumen.

Entsprechend gilt: Der Handlungsspielraum der Regierung, die am morgigen Sonntag gewählt wird, wird aus genau diesem Grund massiv eingeschränkt sein. Grundlegend falsch aber ist es, zu behaupten, es wäre deshalb egal, in welcher Konstellation die Parteien in den kommenden vier Jahren mit diesem Staatsdefizit umgehen werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es gelungen, auch beim Thema Steuerpolitik so viel Nebel zu verbreiten, dass bei ihr kein wirklicher Kurs zu erkennen ist. Anders verhält es sich beim Juniorpartner einer konservativ-liberalen Regierung. Die FDP kann hier von ihrem Wahlkampfversprechen, Steuern zu senken, fast nicht mehr zurück.

Diese Wahl ist sehr wohl eine Richtungswahl, weil durch sie entschieden wird, welchen weiteren Weg unsere Gesellschaft beschreitet. Bei den explodierenden Staatsschulden ist eines ganz klar: Eine Steuersenkung kann nur zulasten der Sozialleistungen des Staates erfolgen. Die Transferleistungen werden dadurch unter noch größeren Druck geraten und ihre Kosten in die Versichertengemeinschaft verschoben. Im öffentlichen Dienst werden die Löhne nicht mehr angehoben, und der Staat wird versuchen, weitere Aufgaben outzusourcen.

Zwar mag es theoretisch spannende und vielleicht sogar richtige Überlegungen geben, warum die SPD nur dann eine Chance hat, sich wieder zu berappeln, wenn sie in die Opposition geht. Demokratietheoretisch ist es auch bedenklich, wenn es viele Jahre hintereinander eine große Koalition gibt. Dadurch kann das demokratische Gleichgewicht aus dem Lot geraten, weil es eben keine wirkliche Opposition gibt. Das mag in der Theorie alles richtig sein. Praktisch aber ist klar: Mit Schwarz-Gelb wird die Unterschicht in Deutschland massiv wachsen, die Kluft zwischen Arm und Reich größer werden. Der Wahlkampf mag langweilig gewesen sein. Diese Wahl ist es nicht.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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