Nach der Entscheidung zum Schulgebet: Unglaubliche Koalitionen

Grüne und CDU kritisieren die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, einem muslimischen Schüler das Beten in Unterrichtspausen zu erlauben, Linke und Kirchen begrüßen sie. Auswirkungen des Urteils bisher unklar

Wo darf denn gebetet werden? Bild: dpa

Das Urteil des Verwaltungsgerichtes, das einem muslimischen Schüler das Beten in den Unterrichtspausen erlaubt, führt zu heftigen Reaktionen. Die Berliner Frauenrechtlerin und Anwältin Seyran Ates ist empört: "Wir können doch nicht in den Schulen das Kreuz abhängen, aber muslimische Jungen dort beten lassen", sagte sie am Mittwoch. Kurt Wansner, Integrationspolitiker der CDU, erklärte, das Urteil schade der Integration mehr, als damit gewonnen wäre. Damit steht Wansner in Opposition zur Bundes-CDU, die auch Muslimen das "Recht des Einzelnen, seinen Glauben zu bekunden", zusprach. Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, bezeichnete das Urteil als "integrationspolitisch falsches Signal". Und der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) warnte: "Das ist ein weiterer Schritt zur Verfestigung der Parallelgesellschaften und zur Spaltung der Gesellschaft."

Das Verwaltungsgericht hatte am Dienstag entschieden, dass das Diesterweg-Gymnasium im Wedding einem 16-jährigen Schüler nicht verbieten darf, in den Pausen gen Mekka zu beten. Dies hatte er zunächst in einem Flur gemacht - bis die Schulleiterin Brigitte Burchardt es ihm untersagen wollte. Das Gericht sprach ihm nun in erster Instanz das Recht zum Gebet zu. Dazu darf er auch einen Raum nutzen.

Für den Linkspartei-Bildungspolitiker Steffen Zillich ist das Urteil nur eine "verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit": Religionsfreiheit als Grundrecht gelte auch in der Schule. In der Debatte wird das Urteil oft so verstanden, als müsste nun jede Schule eigene Gebetsräume für Muslime einrichten. Aber das ist falsch: Der Kläger betet inzwischen in einem kleinen Computerraum im zweiten Stock, in dem sonst Gruppen von bis zu zwölf Schülern lernen.

Die Schulleiterin findet das Urteil dennoch falsch. Sie hält es für eine unzulässige finanzielle Unterstützung einer Religion, dem Schüler den Raum zur Verfügung zu stellen, sagte Brigitte Burchardt am Mittwoch der taz. Sie wünscht sich "eine friedfertige Umgebung, in der die Schüler sich richtig frei fühlen können". Diese Atmosphäre werde jedoch durch "demonstratives Beten" gestört.

Bei den Schülern des Diesterweg-Gymnasiums gab es am Mittwoch unterschiedliche Ansichten über das Urteil. "Beten ist ein Menschenrecht", sagte eine Elftklässlerin, die selbst Kopftuch trägt. Ihre Mitschülerinnen meinten, der Kläger sei eine Ausnahme, weil er in der Schule beten wolle. "Er schadet aber niemandem", ergänzte eine Elftklässlerin.

"Mich stört das", widersprach ihr ein Mitschüler, der auch Muslim ist, aber zu Hause betet. Er ist für die strikte Trennung von Schule und Religion: "Du willst doch auch nicht, dass hier ein Kreuz aufgehängt wird." Er hofft, dass die Schulverwaltung dem Urteil widerspricht und in der nächsten Instanz Erfolg haben wird.

Die Entscheidung über einen weiteren Rechtsweg ist allerdings noch nicht gefallen. Die Bildungsverwaltung will erst die Urteilsbegründung prüfen. Bis diese vorliegt, wird es nach Auskunft von Gerichtssprecher Stephan Groscurth allerdings noch zwei bis drei Wochen dauern.

Der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening mahnte dagegen zu Gelassenheit. "Jetzt wird so getan, als ob da eine Riesenwelle auf die Schulen zurollt. Dabei gibt es dafür nicht die geringsten Anhaltspunkte." Auch das Gericht weist darauf hin, dass es das Gebet in der Schule in diesem Fall auch deshalb erlaubt hat, weil "keine konkreten und unzumutbaren Beeinträchtigungen des Schulbetriebes" eintreten.

Das Erzbistum Berlin und die Evangelische Landeskirche begrüßten die Entscheidung. Sie stärke die Religionsfreiheit, erklärten Vertreter beider Konfessionen. Der Deutsche Philologenverband forderte die Schulbehörden auf, aus dem Urteil keine generellen Vorschriften abzuleiten. Bei gutem Willen würden sich in jeder Schule praktikable Regelungen finden lassen.

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