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Sondierungsgespräche in BrandenburgLinke macht den Weg frei

Um Rot-Rot nicht im Weg zu stehen, verzichtet die Fraktionschefin der Linkspartei, Kerstin Kaiser, wegen ihrer IM-Vergangenheit auf ein Ministeramt.

Rot-rot wird in Brandenburg wahrscheinlicher. Bild: AP, Sven Kaestner

Die Zeichen für Rot-Rot in Brandenburg stehen offenbar gut - so gut, dass die Fraktionschefin der Linkspartei, Kerstin Kaiser, eigene Ambitionen hinten an stellt und am Sonntag auf ein mögliches Ministeramt verzichtet hat. Zuvor waren in der SPD Stimmen laut geworden, die Kaiser als frühere Stasi-Mitarbeiterin nicht in der Regierung dulden wollen. Daran drohten die Sondierungsgespräche trotz inhaltlicher Nähe zwischen der beiden Parteien zu scheitern. Nach abschließenden Treffen mit Linkspartei und CDU will die SPD-Spitze am Montagabend entscheiden, mit wem sie Koalitionsgespräche führt.

Das Wiederaufleben der Debatte um ihre Stasivergangenheit sei eine "Kampagne" mit dem Ziel, eine rot-rote Landesregierung zu verhindern, sagte Kaiser auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Sonntag im Potsdamer Landtag. Dies sei zwar eine "destruktive Debatte zur Unzeit". Sie sehe ihre Pflicht nun darin, mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen Linken und SPD nicht zu gefährden. Kaiser hatte sich 1979 von der Stasi anwerben lassen, um während ihres Studiums in Leningrad über ihre DDR-Kommilitonen zu berichten.

"Uns geht es um Rot-Rot", sagte Kaiser. Ihre Konsequenz daraus formuliert sie so: "Ich habe nie darauf bestanden, in einer rot-roten Regierung Ministerin zu werden und tue das auch jetzt nicht." Am Kabinettstisch einer möglichen Koalition würde die 49-Jährige, die ihre Partei bei der Landtagswahl vor zwei Wochen zu 27,2 Prozent führte, auch ohne Ministeramt sitzen: in ihrer Funktion als Fraktionschefin.

Wie schwer ihr der Verzicht, den sie nicht so nennen will, tatsächlich fällt, ist ihr kaum anzusehen. Ihr Lächeln wirkt gemeißelt und wird dennoch noch einen Tick freundlicher bei der Frage, wie weit die Linke der SPD in Personalfragen künftig entgegenzukommen gedenke: "Wir sind nicht bereit, uns von der SPD Personal diktieren zu lassen."

Es ist das zweite Mal nach 1994, dass Kaiser auf einen prominenten Posten verzichtet. Damals nahm sie ein Bundestagsmandat nicht an, "um die politische Arbeit der damaligen PDS-Bundestagsfraktion nicht zu belasten und zu blockieren", wie sie auf ihrer Internetseite www.kerstin-Kaiser.eu schreibt. Dort rückt Kaiser anders als andere Ex-Mitarbeiter der Stasi von ihrer IM-Tätigkeit ab. "Die Tatsache, dass ich erst achtzehn Jahre alt war, relativiert nicht, dass es ein Fehler war", so Kaiser.

Ministerpräsident und SPD-Landeschef Matthias Platzeck schien die Aufarbeitung zu akzeptieren. "Er hatte mit mir und meiner Personalie nie ein Problem", so Kaiser. Bei Fragen zu Platzecks Haltung verwies SPD-Generalsekretär Klaus Ness direkt auf Kaisers Hompepage und ein dortiges Platzeck-Zitat: "Wer offen zu seiner Vergangenheit steht und sich seit fast zwei Jahrzehnten in das demokratische Gemeinwesen eingebracht hat, darf nicht ausgegrenzt werden". Nun aber musste selbst Platzeck offenbar jenen nachgeben, für die eine IM-Tätigkeit unverzeihlich ist. Bereits in der vergangenen Woche hatte Hubertus Knabe, der Chef der Berliner Stasi-Opfer-Gedenkstätte, vor einem "massiven Tabubruch in Deutschland" gewarnt.

Mit dem erneuten Verzicht bewahrheitet sich ein weiterer Satz von Kaiser: "Was ich gemacht habe, wird mich mein Leben lang beschäftigen und quälen."

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9 Kommentare

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  • H
    heartwise_ch

    @ Klaus Negro

     

    Menschenverachtend sind die Kommentare für mich, weil sie für mich nur ungenügend in den Menschen einzudringen scheinen, der sich gegen die moralischen Grundsätze entscheidet, die ich für mein Verhalten anlege.

    Ich war nicht nur einmal in der Gefahr, in der DDR aus politischen Gründen hinter Gitter zu wandern und habe aus Gewissensgründen jede Menge anderer Nachteile eingesteckt, bis ich Jahre vor dem Mauerfall gegangen bin.

    Aber das war meine Entscheidung und deshalb noch einmal die Frage: Wie hätten Sie selbst damals gehandelt? Bitte tief und in Ruhe darüber nachdenken, keine Antwort aus dem Handgelenk. Wenn Sie jemand waren, der damals Nachteile für sich in Kauf genommen hat, dann kennen Sie die damalige Situation. Können Sie dann wirklich jemand verübeln, nicht wie sie gehandelt zu haben?

    Hier und heute ist es soviel leichter, sich menschlich zu verhalten.

    Die, die damals auf der anderen Seite standen, sind nicht die einzigen Menschen, die Schicksale zerstört haben oder es noch tun. Und mir geht es immer nur um heute, nicht um damals. Mir geht es darum, Chancen zu ergreifen, was nur in der Gemeinschaft geht und nicht, indem man Risse in der Gesellschaft auf ewig zementiert. Ich gestehe Menschen Entwicklung zu. Wenn jemand sich inzwischen zum Paulus entwickelt hat, wie lange soll ich noch einen versteckten Saulus in ihm sehen?

    Mein Leben würde mir dann zu wenig Spaß machen.

  • KN
    Klaus Negro

    @ heartwise_ch

     

    Für mich gibt es KEINE Entschuldigung für Bespitzelung, Lug und Betrug! Weder Karriere noch die Überzeugung selber die richtige Ideologie zu verfolgen, nichts davon entschuldigt die Ausnutzung von Vertrauen und Freundschaft.

     

    Zum Schluß noch eine Bemwerkung: nicht die Kommentare sind menschenverachtend, das o. g. Verhalten war es. Aber die Spitzel haben sich ja nicht wie Schweine benommen......

     

    Honni soit qui mal y pense!

  • AD
    Axel Dörken

    Sich in der Kunst des Nachgebens zu üben und darin zum Meister zu werden, dass ist auch bei der Kampfkunst wichtig.

     

    Die eine Wange hinhalten, obwohl auf die andere gerade geschakgen wurde, ist nur für stumpfsinnige Menschen, für jene, die gerade den empahtischen Gang lernen oder sich dem Lernen weigern, dumm.

     

    Meister erkennen die Klasse und Größe eines solchen Tuns.

     

    Liebe Grüße und Namesté

    Axel

  • A
    agathe

    @Sozialer Demokrat

    "Man stelle sich nur vor, im Jahre 1965 (also auch 20 Jahre nach der Stunde Null) hätte die damalige West-CDU ehemalige Gestapo-Mitarbeiter und langjährige Vertreter der NS-Diktatur in ihre Regierung und damit in staatspolitische Verantwortung geholt."

     

    Hat sie getan, siehe z.B.:

     

    http://www.gavagai.de/tb/HHD02HF.htm

     

    http://projekte.free.de/schwarze-katze/texte/brd03.html

  • DN
    Dr. No

    @Sozialer Demokrat

     

    "Man stelle sich einmal vor, im Jahre 1965 hätte die damalige West-CDU ehemalige Gestapo-Mitarbeiter und langjährige Vertreter der NS-Diktator in ihre Regierung geholt."

     

    Kleine Nachhilfe in Geschichte:

    Adenauer hat bereits in den 50er Jahren den Kommentator der Nünberger Rassegesetze, Herrn Globke in seinen innersten Führungzirkel geholt. Da war die Nazi-Diktatur keine 10 Jahre vorbei. Der alte Adenauer hat keine einzige Personalentscheidung ohne Globke getroffen. Globke war Adenauers wichtigster Berater. Der Kommentar des Juristen Globke zu den Nürnberger Rassegesetzen war die juristische Absicherung für die Ausgrenzung der Juden. Ein bekannter jüdischer Historiker hat einmal gesagt: "In Auschwitz findet man nicht die Schlüssel auf dem Weg dorthin". Diese Schlüssel lagen u.a. auf Globkes Schreibtisch. Er war der Schreibtischäter par excellence. Der von den Nazis verfolgte Willy Brandt war unter Kanzler Kiesinger Außenminister. Und Kiesinger war von 1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP und war Stv. Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung im NS-Außenministerium. Das waren keine 18 jährigen Nobodies des Regimes wie Frau Kaiser, das waren alles Volljuristen - oder besser "furchtbare Juristen" (Rolf Hochhuth), die sowohl im Nazi-Deutschland als auch unter Adenauer an ganz herausgehobenen Positionen des Staates gearbeitet haben. Es wäre höchste Zeit, dass diese geschichtsvergessenen SPDler einmal Willy Brandts Worte: "Versöhnen statt spalten" einmal neu interpretierten.

  • H
    heartwise_ch

    Wer sich heute aus mangelnder Herzenswärme und Bequemlichkeit im Beruf oder in Meinungsäußerungen anderen gegenüber wie ein Schwein verhält, bekommt all meine Abneigung entgegengeworfen.

     

    Denjenigen, die mich im Osten “verraten” hatten, um ihre Zukunft nicht zu gefährden oder aus Überzeugung von der Richtigkeit des Weges ihres Staates, habe ich dagegen nichts vorzuwerfen. Menschen in besonderen Situationen. Wie hätten Sie sich in der damaligen Situation verhalten?

     

    Dies ist wie viele andere ein Land der Heuchler, Neider, Dauerstrafer, Halbdenker, Dummschwätzer und Mitläufer.

     

    Ich habe Hochachtung vor Frau Kaiser und Herrn Ramelow, die ihren Wählern die Ergebnisse zugestehen wollen, für die sie gewählt wurden.

     

    Zum Schluss noch ein letztes “Pfui” an die Verfasser der für mich menschenverachtenden Kommentare.

  • KN
    Klaus Negro

    Leider wird immer wieder von Mitgliedern der LINKEN behauptet, Debatten um ihre Stasivergangenheit seien "Kampagnen" mit dem Ziel, sie zu dikreditieren, irgendwelche Koalitionsverhandlungen zu stören oder die Partei DIE LINKE mal wieder mit der SED in Verbindung zu bringen.

     

    Dabei sollten diese Personen endlich verstehen, daß eine Stasivergangenheit - ebenso wie eine Nazivergangenheit (ohne dies jetzt gleichsetzten zu wollen) - keine Lapalie ist, die man 20 Jahre nch der Wende einfach vergessen kann, und daß im Gegenteil SIE die Verbindung mit der SED durch ihre Vergangenheit immer wieder wachrütteln! Sie täten der Demokratie und ihrer Partei einen großen Gefallen, wenn sie sämtliche Ämter niederlegen und sich aus der aktiven Parteiarbeit verabschieden würden. Denn inzwischen wächst auch im Osten der Republik die Ablehnung für solche Politiker; im Westen hat es diese immer gegeben.

  • V
    vic

    Den peinlichen Rückzug von Kerstin Kaiser (oder Bodo Ramelow) halte ich für einen großen Fehler.

    Die Linke darf sich nicht von anderen diktieren lassen, wer welche Position besetzt. Sie dürfen sich nicht unter Wert verkaufen, es gibt keinen Grund vor anderen zu kriechen. Besser aufrecht in die Opposition als gebeugt an Regierungspöstchen. Die Auswahl an derartigen Parteien ist groß genug.

    Wenn ich auch Linke nicht mehr wählen kann, gibt es für mich keinen Grund mehr an der Wahlfarce teilzunehmen.

  • SD
    Sozialer Demokrat

    Stoppt Platzeck, ehe es zu spät ist! Wenn man aktuellen Nachrichten glauben kann, tendiert unser Vorsitzender Matthias Platzeck momentan wohl zu einer Koalition mit den SED-PDS-Linken! Das bedeutet, er will ohne Grund und Not der von Altkommunisten und Stasi-Spitzeln tief durchdrungenen Kaderpartei eine weitere Stufe des gesellschaftlichen Einflusses eröffnen. Dass dies ausgerechnet durch den ehemaligen Bürgerrechtler Platzeck geschehen soll, ist ein Skandal! Man stelle sich nur vor, im Jahre 1965 (also auch 20 Jahre nach der Stunde Null) hätte die damalige West-CDU ehemalige Gestapo-Mitarbeiter und langjährige Vertreter der NS-Diktatur in ihre Regierung und damit in staatspolitische Verantwortung geholt. Es ist also dringendst an der Zeit, Platzeck auf seinem Kamikaze-Kurs nach links noch rechtzeitig zu stoppen, bevor er weiter die Geister ruft, die nun 19 Jahre lang mühsam in der Flasche sprich noch relativ einfluß los gehalten wurden. Ich hoffe auf einen schnellen Aufstand der Anständigen in der gesamten SPD, der diese Pläne noch rechtzeitig stoppen kann sonst gilt bald: Herr Platzeck, werden Sie die Geister, die Sie da rufen, am Ende wirklich wieder loswerden- und vor allem, werden wir sie als freiheitsliebende Bürger Brandenburgs wieder loswerden? Eins ist klar: Wenn Platzeck diese Koalition eingeht, dann ist er jedenfalls mich als SPD-Mitglied los!