Zweiter Wahlgang in Afghanistan: Überstürzte Wahlen ohne Kontrolle
Bei dem angesetzten zweiten Wahlgang wird es noch weniger Beobachter geben als bei der ersten Runde. Viele Afghanen werden ihre Stimme gar nicht abgeben können.
Afghanistans Unabhängige Wahlkommission (IEC) ist nicht die schnellste: Selbst auf ihrer afghanischsprachigen Webseite stand gestern noch das veraltete vorläufige Endergebnis der Präsidentenwahl, das Amtsinhaber Hamid Karsai über der 50-Prozent-Marke sah. Dafür hat sie bisher immer noch nicht mitgeteilt, wie viel Stimmen eigentlich Abdullah Abdullah am 20. August auf sich vereinigen konnte, der nun noch einmal gegen Karsai antreten wird.
Der größte Fehltritt der IEC war aber, dass sie massenhaft gefälschte Stimmen in das Resultat der ersten Runde einfließen ließ, obwohl die Wahlbeschwerdekommission (ECC) sie zuvor gestrichen hatte. Erst das ließ Karsai wie einen Sieger aussehen. Deshalb verlangte der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gestern, 200 IEC-Mitarbeiter zu feuern, die nachweislich an Manipulationen beteiligt waren.
Mangelnde Unparteilichkeit der IEC ist auch der Hauptgrund für Befürchtungen, dass im zweiten Wahlgang – sehr kurzfristig auf den 7. November gelegt - kaum ein legitimeres Ergebnis herauskommen wird als beim ersten Mal. Aber Ban scheute vor der letzten Konsequenz zurück: Er verlangte nicht die Ablösung des IEC-Vorsitzenden Asisullah Ludin, der die politische Verantwortung für das Desaster von Runde eins trägt.
Verwunderlich ist, dass Herausforderer Abdullah sich diese Forderung bisher nicht zu eigen gemacht hat. Immerhin kündigte er am Dienstag in Kabul ein ganzes "Paket von Vorschlägen" an, damit diesmal "Transparenz gewährleistet und Betrug ausgeschlossen" werden kann.
Der Exaußenminister sorgt sich auch nicht um Hürde Nummer zwei für die zweite Wahlrunde, das hereinbrechende Winterwetter. Die Kinder würden "überall" noch zur Schule gehen, sagte er, also könne auch überall gewählt werden. Das ist nicht ganz uneigennützig. Vor allem in Zentralafghanistan, auf durchschnittlich 3.000 Meter Höhe, wo viele Angehörige der Hazara-Volksgruppe im August für Karsai votierten, schneit es bereit stark. Auch Seyyed Faslullah Wahidi, Gouverneur des östlichen, von Paschtunen bewohnten Kunar, warnt, dass viele Einwohner seiner Provinz am 7. November im Schnee stecken bleiben könnten.
Schließlich wird sich bis zur Stichwahl auch die Sicherheitslage nicht entspannen. In den Paschtunengebieten muss erneut mit Drohungen und Übergriffen der Aufständischen gegen Wähler gerechnet werden. Die Taliban meldeten sich bereits über das Internet zu Wort, nannten die Wahlen einen "Witz" und sprachen von einer "falschen Demokratie".
Der kurzfristige Termin und die fehlende Sicherheit werden sich auch auf die Wahlbeobachtung auswirken. Schon am 20. August ging diese kaum über die Städte hinaus. Die EU ließ schon verlauten, man könne diesmal noch weniger als die damals 117 Beobachter schicken. Der Dachverband der unabhängigen afghanischen Beobachter FEFA kann nach eigenen Angaben diesmal auch nur 5.000 Aktivisten mobilisieren, 2.000 weniger als zur ersten Runde. Es steht zu befürchten, dass der überstürzte zweite Wahlgang dem durchgerosteten Apparat nur einen pseudodemokratischen Anstrich bringt - und sich der Westen damit zufrieden gibt.
Ausschließen kann man – trotz gegenteiliger Beteuerungen beider Seiten – auch nicht, dass sich Karsai und Abdullah doch noch auf eine Koalition einigen und der Wahlgang entfällt. Allerdings wäre dies alles andere als eine "Regierung der nationalen Einheit", sondern ein Bündnis zweier gescheiterter Politiker. Karsai hat sein Reformprogramm von 2004 ins Gegenteil verkehrt, und Abdullah war führendes Mitglied der Mudschaheddinallianz, deren Herrschaft in den 1990er-Jahren den ersten Aufstieg der Taliban begünstigte.
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