Krise in der palästinensischen Regierung: Abbas will Autonomiebehörde auflösen
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will angeblich seinen gesamten Regierungsapparat lahmlegen, um Druck auf die USA auszuüben. Folgen unabsehbar.
Die USA haben sich selbst die Schuld zuzuschreiben, heißt es in den Reihen der Fatah, wenn Mahmud Abbas bei den Wahlen im kommenden Januar nicht mehr antreten will. Es sei die "unfaire und parteiische Politik der USA in der palästinensischen Frage" gewesen, so Fatah-Sprecher Fayez Abu Aita, die den Palästinenserpräsidenten dazu bewegte, seinen Ruhestand anzukündigen.
Doch so wenig sich US-Präsident Barack Obama einen Stillstand im Nahen Osten wünschen mag, so trifft es doch zunächst Israel und die Palästinenser, wenn Abbas sein Amt aufgeben will. In Jerusalem wird gemunkelt, er plane nicht nur seinen eigenen Rücktritt, sondern er werde möglicherweise den Friedensprozess als gescheitert erklären und die Palästinensische Autonomiebehörde aufzulösen. Das Übergangsgebilde funktioniert seit 14 Jahren als Quasiregierung bis zur Staatsgründung, die laut verschiedener Abkommen längst hätte stattfinden sollen.
Über den Stillstand im Friedensprozess frustriert, arbeitet Premierminister Salam Fajad alternativ an seiner unilateralen Staatsgründung. Schon im August stellte der unabhängige Politiker sein 50 Seiten umfassendes Programm zur "Beendigung der Besatzung" und der "Errichtung des Staates Palästina" vor. Darin geht es in erster Linie um den Aufbau staatlicher Strukturen und Institutionen, die einzig aufgrund professioneller Erwägungen zusammengestellt werden sollen.
Fajad kann sich schon jetzt breiter europäischer Rückendeckung erfreuen. In Israel unterstützt ihn Staatspräsident Schimon Peres, wobei die Regierung in Jerusalem eher Abstand nimmt und beunruhigt ist angesichts der Möglichkeit, dass der künftige neue Nachbarstaat von der UN anerkannt und in der Folge als Mitglied aufgenommen wird. Die liberale israelische Haaretz bezog sich am Sonntag auf Quellen, nach denen es bereits ein Übereinkommen zwischen Fajad und Obama in dieser Frage gibt.
Der palästinensische Premier hatte sein Staatsbildungsprogramm zunächst auf zwei Jahre angelegt. Dann sollte in Absprache mit der Arabischen Liga die Forderung der Anerkennung eines souveränen Staates in den Grenzen von 1967 vor den UN-Sicherheitsrat gebracht werden. Bei entsprechender Anerkennung geriete Israel in Bedrängnis und müsste schnelle Lösungen für die Soldaten und Siedler anbieten, die sich fortan auf fremdem Staatsgebiet aufhielten.
Saeb Erikat, palästinensischer Chefunterhändler bei früheren Friedensverhandlungen, sieht die Zwei-Staaten-Lösung wiederum in immer weitere Ferne rücke. Die fortgesetzte Expansion der israelischen Siedlungen könnte "die Palästinenser dazu zwingen, von der Idee eines eigenen Staates allein in den besetzten Gebieten abzulassen", meinte Erikat vergangene Woche vor Korrespondenten. Der Zeitpunkt rücke näher, dass Abbas seinem Volk die Wahrheit sagen müsse, dass "die Zwei-Staaten-Lösung keine Option mehr ist".
In den Reihen der Fatah überwiegt noch immer die Hoffnung, dass der Konflikt mit der Hamas den geplanten Urnengang im Januar vereiteln wird und deshalb Abbas doch weiter im Amt bleibt. Voraussetzung wäre, dass die USA ihre Nahostpolitik ändern. Eine erste Geste erreichte Abbas von Obama in Bezug auf Ostjerusalem, das das Weiße Haus als besetztes Land betrachtet und nicht als Teil Israels.
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