Jobcenter 1: Hauptsache, man ist nicht allein
Wenn der Termin beim Jobcenter ansteht, haben Arbeitslose oft Angst davor. Manche begleiten sich deshalb gegenseitig aufs Amt.
Je kürzer die Schlange vor ihr wird, desto öfter kratzt sie sich am Kopf. Fredericke Mollinger braucht Bargeld, ihr Konto ist leer. Das Arbeitslosengeld wurde nicht überwiesen, jetzt wartet sie im Jobcenter Neukölln, um einen Termin beim Sachbearbeiter zu bekommen. Der Gang zum Amt belastet sie. Damit sie sich etwas stärker fühlt, lässt sie sich seit einiger Zeit begleiten. Wer zu zweit beim Jobcenter auftauche, werde schneller und besser behandelt, sagt Mollinger, die tatsächlich anders heißt. Diesmal hat sie einen taz-Journalisten als Beistand dabei.
Das Jobcenter Neukölln, morgens um zehn. Es ist voll. Mollinger kommt, weil ihr Bewilligungsantrag bisher offenbar nicht bearbeitet wurde. Den muss sie stellen, damit sie weiterhin Arbeitslosengeld II bekommt. Sie hat den Kontoauszug dabei, der keine neuen Eingänge ausweist. Es werden eineinhalb Stunden vergehen, bis sie zum ersten Schalter kommt, wo sie ein Gespräch mit einem Sachbearbeiter vermittelt bekommt. Zeit, die sie lieber in ihren Minijob investiert hätte.
Mollinger arbeitet für einen Weinhandel, von zu Hause aus. Sie designt Weinkarten, schiebt virtuell Weinkisten hin und her. Ihren Schreibtischstuhl hat sie auf der Straße gefunden, den Drucker auch. Die 160 Euro Lohn decken gerade mal die Miete. Deswegen bekommt sie Arbeitslosengeld II, also Hartz IV. Sie ist stolz, dass sie das Geld vom Staat, genau 351 Euro im Monat, aufstockt: "Ich bin keine von den faulen Arbeitslosen, die immer im Fernsehen gezeigt werden."
Mollinger, 41, hat eine Erwerbsbiografie wie eine Käseplatte: voller unterschiedlicher Sorten. Und immer wieder Löcher. Sie lernte Lackiererin bei Audi in Süddeutschland, doch die Fließbandarbeit schlug ihr auf den Rücken. Sie schulte um zur Werbetechnikerin, ließ sich mitreißen vom Medienstrudel, arbeitete für verschiedenste Werbeagenturen, stets befristet. Vor 15 Jahren zog sie nach Berlin für einen Job, der auch nicht lange hielt. War Mollinger mal wieder arbeitslos, jobbte sie weiter als Selbstständige. "Ich hatte immer das Gefühl, dass es irgendwie vorwärtsging", sagt sie.
Dann kam Hartz IV. "Seitdem haben sich die Arbeitsbedingungen total verschlechtert, die Löhne sind viel zu niedrig." Ihren Tiefpunkt erlebte sie vor zwei Jahren, nachdem sie sich als Kundenwerberin hatte fortbilden lassen: Sie arbeitete scheinselbstständig für einen Unternehmensberater, der wollte sie dann fest übernehmen - als Praktikantin. "Mir mit 39 einen Praktikumsvertrag vorzulegen fand ich eine Frechheit. Mein Chef hat auch noch gesagt, er wolle mich nicht bezahlen, ich würde doch Geld von der Arbeitsagentur bekommen." Das Angebot schlug sie aus.
In ihrem ersten Hatz-IV-Winter, Ende 2007, hat sie einen Antrag auf Kohleförderung gestellt. Sie heizt mit einem Kachelofen. Das Jobcenter sagt, der Antrag kam nie an. Mollinger sagt, sie hat ihn losgeschickt. Auch ein ärztliches Attest ist einmal verloren gegangen, daraufhin sollte Mollinger sich für Jobs bewerben, die sie aus gesundheitlichen Gründen nicht annehmen konnte. Sie vermutet Absicht: "Das ist Schikane. Die müssen Arbeitslose sanktionieren, damit sie weniger Geld ausgeben."
Mollinger schätzt, dass sie vier Stunden pro Woche mit Jobcenter-Dingen beschäftigt ist. "Das hält einen vom Arbeiten ab." Damit es etwas schneller geht, geht sie nur noch zu zweit zum Amt. "Seitdem ich das mache, läuft alles besser. Sogar am Telefon bekomme ich mehr Auskünfte."
Das Verhältnis zwischen Arbeitslosen und Jobcenter ist per se angespannt. Die einen haben Angst vor Sanktionen und sind auf die anderen angewiesen. Die Sachbearbeiter wiederum haben tausende Fälle auf dem Tisch, stehen selbst unter Druck. Aus ihrer Ohnmacht heraus reagieren manche Arbeitslose offensiv, anklagend und vergessen die gute Kinderstube. Ein Begleiter könne diese Menschen stärken und so die Hitze aus der Situation nehmen, erklärt Mollinger. Außerdem kann er notfalls auch als Zeuge im Rechtsstreit die Darstellung der Arbeitslosen unterstützen - und die werden immer mehr (siehe Kasten). Begleitungen können aber auch negativ wirken. Der Sachbearbeiter fühlt sich eventuell unter Druck gesetzt, wenn ein Dritter beim Gespräch dabei ist und ihm das Gefühl gibt, ihn zu kontrollieren. Ob er das Begleiten gut oder schlecht finden soll, da will sich Uwe Mählmann, Sprecher der Berliner Agenturen für Arbeit, nicht festlegen. "Es kommt ab und zu vor, dass sich Jobcenter-Kunden begleiten lassen, hieraus lassen sich aber keine relevanten Schlussfolgerungen ziehen."
Mollingers Sachbearbeiter sagt ihr zu, dass das Geld am Vorabend überwiesen worden sei. Es erscheine nur noch nicht auf dem Kontoauszug. Mollinger glaubt ihm, für die Aussage habe sie ja außerdem einen Zeugen. "Ich bitte Sie", antwortet der Sachbearbeiter, als seien Zweifel völlig abwegig. Dabei muss Mollinger dem Bescheid für die nächsten Monate sofort widersprechen. Denn der berücksichtigt noch nicht, dass sie ihren Minjob gekündigt hat, weil sie demnächst ins Krankenhaus muss. Die Kündigung sei dem Jobcenter vor sechs Wochen zugegangen, sagt sie. Ist nicht in der Akte, sagt der Sachbearbeiter.
Draußen dreht sich Mollinger erstmal eine Zigarette. Es ist halb zwei. Wieder einen halben Tag im Jobcenter verbracht. Wenigstens nicht allein.
ARBEITSLOSE ÜBERS JOBCENTER
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