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FlüchtlingeDas Erbe des Herrn Schill

In der Ausländerbehörde gelten auch unter Schwarz-Grün die fragwürdigen Direktiven für Flüchtlinge der früheren Innensenatoren Ronald Schill und Udo Nagel.

Sein Wort sollte in der Innenbehörde nur noch wenig gelten: Ex-Senator Ronald Schill. Bild: dpa

Die Linkspartei will aufräumen mit den Dienstanweisungen, die vom früheren rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill und seinem CDU-Nachfolger Udo Nagel für die Ausländerbehörde erlassen worden sind. In einem Bürgerschaftsantrag fordert die Linksfraktion, den Umgang mit ärztlichen Attesten bei Abschiebungen von kranken Flüchtlingen sofort zu ändern.

Anlass für die Initiative war eine Debatte in der Bürgerschaft, in der die Abschiebung psychisch kranker Flüchtlinge zur Sprache kam. Dabei forderte die Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller die Linke auf, die Dienstanweisung durch einen Antrag in der Bürgerschaft zu kippen. Die Dienstanweisung aus der Ära Schill, die nach wie vor Gültigkeit hat, sieht vor, alle privat-fachärztlichen Atteste grundsätzlich in Frage zu stellen.

In der Anweisung wurde vorgegeben, dass eine "Reisefähigkeit" von Flüchtlingen bei Abschiebungen ins Heimatland "fast immer hergestellt werden kann". Bei psychisch Erkrankten sollte dieses dadurch gewährleistet werden, dass die Abschiebung per Flieger "lückenlos" ärztlicher Überwachung unterliege. "Erforderlich ist in diesen Fällen, dass die frühmorgendliche Begleitung ohne vorherige Ankündigung des konkreten Reisetermins erfolgt", heißt es. Eine Methode, die laut Fachärzten gerade bei psychisch Erkrankten eine nochmalige Traumatisierung hervorrufen kann.

Die Linkspartei hat festgestellt, dass fast alle Dienstanweisungen aus der Ära Schill / Nagel noch heute in Kraft sind. So Schills Vorgaben zur "Altersfestsetzung" aus dem Jahre 2002. Darin wurde die Altersabschätzung bei jugendlichen Flüchtlingen durch Röntgen der Handwurzelknochen eingeführt, die durch das Institut für Rechtsmedizin am Uniklinikum Eppendorf erfolgen sollte.

Eine Methode, die vom Deutschen Ärztetag 2007 geächtet wurde, da sie "wissenschaftlich höchst umstritten" sei. Die Beteiligung von Ärzten sei mit dem Berufsrecht nicht vereinbar. "Auf dieser Grundlage wurden allein im vorigen Jahr 226 von 402 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen älter als 18 Jahre gemacht", sagte die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Christiane Schneider.

Auch Udo Nagels restriktive Vorgaben für "Verlassenserlaubnisse" sind unverändert in Kraft. Die sogenannte "Residenzpflicht" in Deutschland ist eine europaweit einmalige Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen. Wer Hamburg ohne behördliche Erlaubnis verlässt, kann sogar strafrechtlich sanktioniert werden. Andererseits hat die Ausländerbehörde 2008 einen Flüchtling aus Dessau präventiv zur "Vorbereitung der Verbringung" in Haft genommen, weil dieser Hamburg nicht verlassen wollte. Das hanseatische Oberlandesgericht erklärte diese präventive Inhaftierung für rechtswidrig.

Aber auch die Dienstanweisungen zum "Vorgehen am Serviceschalter bei Verdacht einer Straftat" und das "Vorgehen bei Abschiebung und Verbringungshaft" sind weiterhin unverändert in Kraft. Gleiches gilt für die "Aktenabgabe" der Ausländerbehörde an das Landeskriminalamt und Vorgaben zur "Freiheitsentziehung". Die Linke will nun alle Dienstanweisungen der Ausländerbehörde im Wortlaut vorgelegt haben, andernfalls droht sie mit einer Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

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