Gewalt: Glimpflich weggekommen
Drei Neonazis müssen sich für Angriffe auf Linke in Delmenhorst verantworten. In der niedersächsischen Stadt hat sich in den letzten Jahren eine rechte Szene etabliert.
Vor dem Amtsgericht Delmenhorst haben sich am Donnerstag drei Neonazis verantworten müssen. Mario M., Marcel H. und Alicia N. wurden gleich mehrere Angriffe auf nicht rechte Jugendliche vorgeworfen. Am Nachmittag verurteilte das Gericht allerdings alleine Mario M. zu vier Tagen Arrest.
In Delmenhorst hat sich in den vergangenen Jahren eine neonazistische Szene etabliert. Vor Ort hat die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) einen Stützpunkt. Aus der Stadt kommt der niedersächsische JN-Chef, Julian Monaco, der Freund von Alicia N. Auf der Website der JN-Delmenhorst findet sich eine MP3-Datei der Band "Projekt 144" mit dem Song: "Delmenhorst". In dem Lied grölt die Band, dass Delmenhorst in "deutsche Hand" gehöre und brüllt "Kämpft für eure Stadt".
Dass das keine leeren Sprüche sind zeigte der Prozess: Eines der Opfer berichtete sehr eindringlich von einem Angriff im November 2009. Vor einen Supermarkt in Delmenhorst sei er den drei Angeklagten zufällig begegnet. Mario M. soll den Jugendlichen, den er zum Umfeld der Antifa zählte, beleidigt und bespuckt haben. Prompt schlug der Jugendliche den Neonazi. Mit vereinten Kräften hätten ihn dann Marcel H. und Alicia N. festgehalten. Mario M. habe ihm dann mit einem "metallenen Gegenstand" auf den Kopf gehauen. Die Wunde musste später genäht werden. Alicia N. habe ihm zudem mehrfach in die Genitalien getreten, berichtete der junge Mann.
Im Urteil folgte das Gericht aber nicht dieser Aussage. "Die genaue Beteiligung von Marcel H. und Alicia N. konnte das Gericht nicht feststellen", sagte ein Gerichtssprecher. Das Gericht konnte auch nicht den genauen Tatverlauf feststellen. Zwar war später ein Karabinerhaken als potenzielle Waffe bei Mario M. sichergestellt worden, aber eine genetische Probe habe die Polizei nicht für notwendig erachtet.
Vor den Kameraden im Saal, die aus der Szene der "Autonomen Nationalisten" Delmenhorsts und Tostedts kamen, gaben die Beschuldigten sich bemüht lässig. Mario M. versuchte einen anderen Übergriff zu verharmlosen. Nur in den Schwitzkasten hätte er das Opfer genommen berichtete der auffällig gepiercte Neonazi.
Der Betroffene dagegen hatte das anders erlebt. Die beiden waren im Oktober 2009 in einer Gaststätte aufeinander getroffen. Mario M. habe dem jungen Mann ausrichten lassen, er solle herauskommen, um zu reden. Draußen griff M. das Opfer sofort an. "Das Gericht geht von vorsätzlicher Körperverletzung aus", sagte der Gerichtssprecher.
In der Stadt ist es in den vergangenen Jahren nicht nur zu den zwei nun verhandelten Übergriffen gekommen. "Hier laufen die Neonazis mit Schlagstöcken rum", sagte Monika Meyer von der Initiative "Eltern gegen Rechts" unlängst der taz. Eines ihrer Kinder wurde von Rechten angegangen. Zuletzt griffen Neonazis am 3. Juni auf der Straße Jugendliche an, die sich selbst als antifaschistisch bezeichnen.
Letzte Woche hat sich in Delmenhorst ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Betroffenen und Jugendgruppen gebildet, um auf die Aktivitäten von Rechts aufmerksam zu machen. Das Urteil dürfte die rechte Szene wenig beeindruckt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit