Streit der Woche Jugend: "Die Diktatur des Lebenslaufes"
Karrieredruck und Jugend nach Fahrplan. Für die eigene Entfaltung von Jugendlichen bleibt wenig Raum. Und dennoch ist die Jugend nicht vollkommen verloren.
BERLIN taz | Die Jugendlichen unserer Zeit haben keine echte Jugend mehr – und schuld daran sind vor allem Erziehung und Karrieredruck. Das ist ein Antworttenor im „Streit der Woche“ der sonntaz, auf den sich sowohl Schüler- und Studentenvertreter, wie auch der Jugendexperte Fred Grimm einigen können. Möglich ist aber auch eine positive Sicht der Dinge: „Ja, die Jugend hat noch eine Jugend“ sagt etwa Schüler-VZ-Mitgründer Oliver Skopec. Schließlich sei „Jugend“ ein Zustand, der für jede Generation eine andere, neue Gestalt annehme.
Fred Grimm ist ein Experte für das Lebensgefühl junger Generationen. Für sein Buch „Wir wollen eine andere Welt“ hat der Autor in Briefen und Tagebüchern junger Menschen seit 1900 recherchiert. Die Lage der aktuellen Jugend analysiert Grimm klar: „Es gab bessere Zeiten, jung zu sein“. Während der eine Teil der Jugend unter der „Diktatur des Lebenslaufes“ leide, lebe der andere im Bewusstsein, in der Gesellschaft überflüssig zu sein.
Ähnlich sehen das diejenigen, die mit den Auswirkungen eines karriere-orientierten Bildungssystems direkt konfrontiert sind. Der rheinland-pfälzische Schülervertreter Philipp Bodewing bemängelt die Ganztags-Gängelung junger Menschen in den Schulen. Immer früher müssten junge Menschen immer größere Unterrichtsmengen verarbeiten, strikt nach Lehrplan. Raum zur eigenen Entfaltung bleibe da kaum.
Der Druck, den Wirtschaftskrise, aber auch gesellschaftliche Institutionen auf junge Menschen ausüben, ist dabei nicht nur eine subjektive Wahrnehmung, sondern bereits in den Fokus der Wissenschaft gerückt: Am Dienstag veröffentlicht der Ölkonzern Shell seine vielbeachtete „Jugendstudie“. Sie wird neue Erkenntnisse zum Umgang jugendlicher mit gesellschaftlichem Druck beinhalten.
Den kompletten Streit und viele weitere Artikel lesen Sie in der aktellen sonntaz vom 11./12. September – ab Samstag zusammen mit der taz am Kiosk oder in Ihrem Briefkasten.
Eine besondere Belastung durch äußere Einflüsse negieren auch die Optimisten unter den Antwortenden nicht. Oliver Skopec, 25 Jahre alt und als Schüler-VZ-Gründer, Jungunternehmer und Student selber ein junger Mensch mit ausgefülltem Lebenslauf, erkennt einen „Bildungsstress“ und eine „permanente Spannung“. Die Jugend könne man aber niemandem nehmen, sagt Skopec. Die Jugendlichen müssten sie jedoch aktiv gestalten – und von der Gesellschaft gehört werden.
Der Glaube an einen unverändert engagierten Grundcharakter der Jugend ist der zweite Konsenspunkt der Antwortenden. Auch die taz-Leser Jannes Tilicke und Martin Dahm sehen ein ungebrochenes Potenzial bei der Jugend. Tilicke betont das politische Interesse junger Menschen. Dahm sagt, Jugendliche seien weder „faul“, noch „karrieregeil“. Allerdings mache es die Gesellschaft jungen Leuten nicht eben leicht. Sei es, weil jugendliches Engagement Verwirrung auslöse – oder die Erziehung Jugendliche zur karrieristischen „Alternativlosigkeit“ anhalte.
Im Streit der Woche äußerten sich außerdem Elisabeth Pott, die Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, sowie die Schülerin und Autorin des Buches „Generation Geil“, Katharina Weiß, und die Bildungsstreikaktivistin Hannah Eberle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen