Tuviah Friedman ist gestorben: Der fast vergessene Nazijäger
Mehr als ein halbes Jahrhundert jagte er Nazis wie Adolf Eichmann. Nun ist Tuviah Friedman im Alter von 89 Jahren gestorben – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt. Ein Nachruf.
Es waren nur einige Dutzend Menschen, die am vergangenen Freitag an der Beisetzung von Tuviah Friedman in Haifa teilnahmen. Der Mann, der 1960, zur Zeit der Festnahme des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann, Schlagzeilen gemacht hatte, scheint auch in Israel weitgehend vergessen. Die Jerusalem Post meldete das Begräbnis des 89-Jährigen mit einer Kurzmeldung.
Über ein halbes Jahrhundert hat sich Friedman darum bemüht, Nazis, die im Verborgenen lebten, zu stellen und sie vor Gericht zu bringen. Es begann 1947 mit Konrad Buchmayer. Der SS-Mann und Judenmörder aus Friedmans polnischer Heimatstadt Radom hatte Unterschlupf in einem US-Kriegsgefangenenlager bei Salzburg gefunden. Friedman lieh sich ein altes SS-Jackett, begab sich so getarnt in das Lager und identifizierte Buchmayer, der später zu 12 Jahren Haft verurteilt wurde. So begann Tuviah Friedmans Karriere als "Nazijäger", die zu seiner Lebensaufgabe wurde.
Lebensaufgabe
Seine gesamte Familie mit Ausnahme einer Schwester wurde von den Nazis ermordet. Sie wurden Opfer der Ghetto-Räumung von Radom, bei der die SS etwa 30.000 Juden bestialisch in wartende Güterzüge trieb, die die Menschen in das Vernichtungslager Treblinka deportierten. Er selbst überlebte als Sklavenarbeiter. Nach der Befreiung begann er seine Suche nach Nazi-Bonzen im gerade polnisch gewordenen Danzig und avancierte angeblich zum Oberleutnant des polnischen Geheimdienstes.
Bald nach Kriegsende traf Friedman in Österreich ein, dem Land, in dem auch Simon Wiesenthal seine Suche nach NS-Verbrechern startete. Wiesenthal lebte damals in Linz, Friedman in Wien, und beide arbeiteten eng zusammen, wechselten fast täglich Briefe. Ihr Ziel: Adolf Eichmann, den Organisator des Massenmords, zu finden und vor Gericht zu stellen. Doch die Suche blieb zunächst erfolglos.
Schon 1953 wies Wiesenthal Israel darauf hin, dass Eichmann Unterschlupf in Argentinien gefunden habe. Die Nachricht versandete. Später produzierte Friedman mit der Behauptung Schlagzeilen, Eichmann lebe in Kuwait. Weder Wiesenthal noch Friedman waren es, die letztlich den entscheidenden Hinweis zur Festnahme des SS-Obersturmbannführers gaben, sondern ein anderer, in Buenos Aires lebender Jude. Er informierte den deutschen Staatsanwalt Fritz Bauer, der wiederum den Israelis einen Tipp gab. 1962 wurde Eichmann in Israel nach einem Prozess hingerichtet.
Verjährung gestoppt
Friedmans Verhältnis zu dem viel bekannteren Wiesenthal entwickelte sich ambivalent. Es mangele Friedman trotz seines Fleißes an der nötigen Intelligenz, schrieb Wiesenthal vernichtend in einem Brief. Friedman wiederum himmelte den 2005 verstorbenen Wiesenthal an: "Du, der große Nazijäger, und ich, das kleine Hündchen." Beide neideten einander ihre Erfolge.
Ab 1955 lebte Friedman in Haifa und baute dort sein privates "Dokumentationsarchiv für die Untersuchung von Nazi-Kriegsverbrechen" auf. Er arbeitete eng mit der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen zusammen, fast die einzige Institution, die sich im Adenauer-Deutschland ernsthaft um die braune Vergangenheit kümmerte. Friedmans Arbeit ist es zu verdanken, dass der Deutsche Bundestag 1965 die drohende Verjährung von Nazi-Morden stoppte.
Wer heute dort in den Archivunterlagen über Ermittlungen blättert, stößt immer wieder auf Friedmans Namen: In umfangreichen Briefen machte er auf mögliche Zeugenaussagen von Überlebenden aufmerksam. Freilich waren seine Schreiben bisweilen chaotisch bis gar nicht sortiert und entsprachen so gar nicht dem üblichen nüchternen juristischen Stil. Friedman war kein Jurist - doch seine Hinweise waren bisweilen entscheidend.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott