Gesamtkunstwerk Chicks on Speed : Musizierende Nähmaschinen

Die Chicks on Speed kennt man als Band. Ein Katalog des Münchner Kollektivs dokumentiert nun ihre Kunst, Modeentwürfe und feministischen Handarbeiten.

We Don't Play Shoes! Bild: gilmar ribeiro

Die Chicks on Speed sind keine Band. Jedenfalls nicht nur. Bereits in ihren Anfangstagen setzten sie sich deutlich vom Authentizitätsgehubere rund um Songwriting und Autorinnenschaft ab. Als die drei Münchner Kunststudentinnen Ende der 1990er Jahre in der Installation "I wanna be a DJ, baby" zu Playback am Plattenteller Platten zerdepperten, betonten sie den postmodernen Glamour des Fake.

Inzwischen bewegen sie sich immer mehr in Richtung Multimedia-Unternehmen. Da ist die Musik nur eine Facette von vielen. Die anderen: Mode, Performance und Kunst. Vor allem Kunst. Zu einer Ausstellung in der schottischen Dundee Contemporary Arts im Sommer dieses Jahres gibt es jetzt einen knallbunten Katalog mit dem charakteristischen Titel "Dont Art Fashion Music", in dem der Status quo des Chicks-Gesamtkunstwerks präsentiert wird.

Die poppig-punkige, anarchisch-konsumistische Herangehensweise des Projekts, das sich nach dem Weggang von Gründungsmitglied Kiki Moorse zum frei flottierenden Kollektiv mit Kernbesatzung geöffnet hat, zeigt sich schon in der Aufmachung des handlichen Bändchens. In dessen Layout fliegen in gewohnter Chicks-Manier Fotos, Zeichnung, Collagen, Hand- und Maschinengeschriebenes wild durcheinander.

Neben den üblichen historischen Rückgriffen auf weibliche Ikonen wie Hildegard von Bingen oder die Theremin-Spielerin Clara Rockmore, die den männlich dominierten Kanon aufbrechen sollen, neben Performance-Anleitungen und überkandidelten Fashion Choices liegt der Fokus mittlerweile stark auf Do-it-Yourself-Strategien.

Elektro-Bastel-Readymade

Auch wenn die Chicks on Speed schon immer mit einem vom (Post-)Punk entlehnten Guerilla-Gestus rein in die High-Art- und High-Fashion-Welt und zugleich außen vor bleiben wollten und dabei das vermeintlich Trashige, sich selbst ermächtigende Selbermachen betonten, ist nun mit der wachsenden Verbreitung der Radical-Crafting-Bewegung der Zug noch mal ganz anders ins Rollen gekommen.

Denn das neue, (nicht nur) feministische Interesse an der Wiederentdeckung "weiblicher" Handarbeiten wie Nähen oder Weben bricht sich bei den Chicks on Speed in Verbindung mit digitalen und mechanischen Techniken in Elektro-Bastel-Readymades Bahn. Da gibt es musizierende Nähmaschinen, Supersuits (Anzüge, deren Trägerin mithilfe eingenähter Sensoren durch Bewegung Audio- und Videosignale auslöst) und Teppiche, die von den digitalisierten Klängen eines Theremin gewebt werden.

Als Herzstück des Katalogs, das folgerichtig auch auf dem Titel abgebildet ist, entpuppt sich die High Heeled Shoe Guitar, eines von vielen selbst gebastelten elektronischen "Objekt Instruments". Ein mörderisch stöckeliger Designerschuh, entworfen von Max Kibardin, versehen mit drei Saiten und in die Sohle eingebauter Mechanik, von der aus Signale an einen Rechner mit Sample-Datenbank geschickt werden. Der "E-Schuh", die Dekonstruktion der phallischen Rockgitarre, ist so hoch, dass er die Trägerin in gewisser Weise zu einer Skulptur macht. Zu einer lebenden Gitarre, die von anderen gespielt werden kann, wenn der Fuß gehoben wird – und somit auch noch einen gewitzten Kommentar zur Verbindung Frau-Fetischobjekt abgibt.

Gegen Gitarrensolos

"Against guitar solos, against any kind of sedative art, against conservation of art in museums, reconstruction, against any individual retrospective now and in the future", lautet der Slogan des Kollektivs, der dem Vorwort des Katalogs vorangestellt ist. Beiträger Stewart Home, in Gender-Diskursen offensichtlich unbeleckt, bemüht sich in seinem Text eifrig, die darin steckenden Verbindungen zu einst widerständigen und mittlerweile kanonisierten Kunstströmungen wie Dada, Fluxus und Situationismus herzustellen. Anknüpfungspunkte gibt es reichlich, aber gerade deswegen fragt man sich, ob diese Art von Referenzkunst nicht selbst wieder selbstreferentiell geworden ist.

Die schreiend farbenfrohe, collagiert handgemachte Ästhetik der Chicks on Speed verweist in gewisser Weise immer wieder auf die Ur-Chicks on Speed: auf die Phase ihrer Formierung und Image-Bildung rund um den Jahrtausendwechsel – und damit immer auch auf eine bestimmte Style-Epoche, die jetzt eindeutig vorbei ist.

Wenn man Kunst aus Mode schöpft und vice versa, muss man nicht aufpassen, dass einem die kritisch ins Visier genommene Institutionalisierung der Kunst einen Strich durch die Rechnung macht, sondern dass dies durch die fröhlich gefeierte Warenförmigkeit, die Jetzthaftigkeit der Mode geschieht. Denn die Regeln der Mode sind, in Chronologien gedacht, noch unbarmherziger als die der Kunst: Nichts sieht so alt aus wie alles von vor 10 Jahren. Hier wird es spannend: Gibt es etwas anderes als Mithalten?

Chicks on Speed: "Dont Art Fashion Music". Booth-Clibborn Editions/Dundee Contemporary Arts, 240 Seiten, 24,99 Euro

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