Gewalt zwischen Jugendlichen: Durchs Internet ins Krankenhaus
Ein 17-Jähriger wird von 20 Jugendlichen bewusstlos geschlagen. Er hatte seine Freundin verteidigt, die im Internet diffamiert worden war. Die Website ist berüchtigt.
Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche haben Einträge auf einer Internetseite zu handfestem Ärger im realen Leben geführt. In Reinickendorf wurde ein 17-Jähriger von einer Gruppe aus rund 20 Jugendlichen bewusstlos geprügelt. Er wollte seine Freundin verteidigen, die zuvor auf der Website www.IShareGossip.com verbal angegriffen worden war. Der Überfall geschah am Samstag, wurde aber erst am Dienstag bekannt. Sechs der SchlägerInnen zwischen 14 und 18 Jahren wurden zunächst festgenommen. Das Opfer liegt schwer verletzt im Krankenhaus.
Schon Anfang vergangener Woche hatten Einträge auf derselben Website dazu geführt, dass an einem Gymnasium in Zehlendorf zwei Tage lang der Unterricht ausfiel. Nachdem auf IShareGossip.com ein Amoklauf an der Schule angedroht worden war, blieben die SchülerInnen zuhause. Die Polizei schloss am vergangenen Dienstag nach einer Analyse der Drohung deren Ernsthaftigkeit aber aus.
Das Internetforum bietet - nach Schulen sortiert - SchülerInnen aus ganz Deutschland die Möglichkeit, über MitschülerInnen anonym kräftig abzulästern (siehe auch Text unten). Begrüßt werden Besucher der Webseite von Pornoseitenwerbung - danach gibt es Postings zu lesen, die sich meist um Fragen wie der nach dem hübschesten Mädchen der jeweiligen Schule drehen. Allerdings auf übelstem Niveau: Wer X. hübsch finde, sei "behindert", heißt es da, die sei nämlich "eine hässlige kleine Nutte." Zwischen solch obzönen Beleidigungen und oft körperliche Gewalt androhenden Antworten finden sich auch Beiträge anderen Tons: "Nur weil ihr hier anonym seid, habt ihr so große Klappen." Der Berliner Polizei liegen bereits mehrere Anzeigen gegen die Betreiber von IShareGossip.com vor, und er wisse auch von Anzeigen in anderen Bundesländern, sagte ein Polizeisprecher der taz.
Der Reinickendorfer Schulrat Jürgen Gutheil forderte am Dienstag schnelle Konsequenzen: "Wir erwarten, dass die Betreiber aufgespürt werden und die Seite endlich abgeschaltet wird", so Gutheil. Sein Dienstherr, Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD), geht etwas gelassener vor: Die Handhabung der Kommunikationsmöglichkeiten, die das Internet biete, müsse "oft noch erlernt werden", so Zöllner. Jugendliche benötigten dafür entsprechende Medienkompetenz, Grenzen müssten "im Dreiklang von Lehrern, Schülern und Eltern" ausgehandelt und Straftaten von der Polizei verfolgt werden.
"Wir müssen in diesem Medienzeitalter lernen, mit solchen Phänomenen umzugehen", sagt auch Sven Zimmerschied. Der Lehrer an der Charlottenburger Friedensburg-Oberschule ist dort auch Projektleiter der speziellen Notebookklassen, in denen nicht nur technisches Computerwissen, sondern laut Projektkonzept zudem "kreative und kritische Medienkompetenz" vermittel wird. Solche Webseiten zu schließen sei nutzlos, da gleich neue eröffnet würden. Seine Schule setzt deshalb nicht auf pauschale Warnungen, sondern auf individuelle Ansprache: "Unsere Lehrer lesen die Seite und sprechen ihre Klassen gezielt an, wenn sie Grenzen überschritten sehen." In vielen Schulen fehle aber die dafür nötige Kompetenz, so Zimmerschied: "Es müsste da viel mehr Schulungen für Lehrkräfte geben."
Die Senatsbildungsverwaltung setzt derzeit erstmal auf psychologische Betreuung: Schulpsychologen für Gewaltintervention und Krisenprävention seien momentan an mehreren Schulen im Einsatz, so die Pressestelle.
Alle zunächst festgenommenen Tatverdächtigen wurden am Dienstag freigelassen. Einer davon ist ein polizeibekannter 16-jähriger Intensivtäter.
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