Plakat-Ausstellung in Hamburg: Kunst der kurzen Botschaft

Picasso hat mit Plakaten für den Frieden geworben, Joseph Beuys für die Grünen. In Hamburg erzählt eine Ausstellung mit Künstlerplakaten zurzeit viel über Kunst und Politik - und wirft die Frage auf, wie beide zusammengehören.

Die Nanas an die Macht: Ausschnitt aus einem Plakat von Niki de Saint-Phalle (1967). Bild: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

HAMBURG taz | "Warum sollten wir zwei Wege machen, wenn alles was man braucht auf einem zu erreichen ist", fragte sich Karl Kraus angesichts von Werbeplakaten, die nach den Regeln der Kunst gestaltet waren. Man kann diese Frage als Einladung lesen, die Ausstellung "Phantasie an die Macht - Politik im Künstlerplakat" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu besuchen.

Auch dort lässt sich, unwiderstehlich für den praktisch denkenden Menschen von heute, in den Genuss jenes Prinzips kommen, das im Marketing unter dem Akronym Bogof beachtliche Erfolge zeitigt: buy one, get one free. Anders gesagt: Schau dir die Geschichte der Protestbewegung an - und eine kleine Geschichte der modernen Kunst kriegst du oben drauf!

Über 180 Plakat-Arbeiten von rund 90 Künstlern hat der Kurator Jürgen Döring zusammengetragen. Darunter eine Reihe von Klassikern: Die expressive Nie-wieder-Krieg-Lithografie von Käthe Kollwitz, El Lissitzkys konstruktivistisches Propaganda-Plakat mit dem roten Keil, der in einen weißen Kreis eindringt und, wohl das bekannteste Plakatmotiv von allen, Picassos flatternde Taube, die er für einen Friedenskongress entwarf.

90 Jahre Protest und Emanzipationsforderungen reihen sich da aneinander und ergeben einen einzigen Aufschrei gegen Krieg, gegen Atomwaffen, gegen Umweltverschmutzung, gegen Ausgrenzung von Minderheiten, gegen George W. Bush und gegen die Benachteiligung von Frauen.

Interessanter ist aber wohl die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Politik, die die Ausstellung mit jedem Plakat aufwirft. Denn genau genommen buchstabiert jedes Werk logische Zweifel aus: Je mehr die Plakate die Handschrift des Künstlers tragen - und das müssen sie aus Werbezwecken - desto weniger verträgt sich ihre Gestaltung mit dem Anliegen, eine klare Botschaft zu vermitteln.

Je mehr das Plakat Kunst sein will, desto stärker erhebt es den Anspruch, ästhetisch betrachtet zu werden, und das heißt nun mal im klassischen Verständnis: in Absehung dessen, vorauf es sich emotional oder intellektuell beziehen ließe.

El Lissitzky als Beispiel: Sein 1920 gestaltetes Plakat sollte den Sieg der Bolschewisten über die Menschewisten feiern, wie der Schriftzug darauf ("Schlaget die Weißen mit dem roten Keil") verständlich macht. Ästhetisch betrachtet ist es hingegen mit seinen kleinen über den Bildraum verstreuten Balken, dem weißen Kreis vor schwarzer Bildhälfte, dem roten Dreieck vor weißer Bildhälfte, eine Studie zur Frage, wie sich eine Reihe von Farben und Formen zueinander verhalten.

Und wollten wir diese Studie deuten, lägen wohl Begriffe wie schmerzliche Unversöhnbarkeit, Desintegration und Dissonanz näher als glanzvoller Sieg.

Kein Wunder, dass das Plakat nicht verbreitet wurde und heute vor allem kunsthistorisch für die Entwicklung von El Lissitzkys konstruktivistischer Bildsprache gefeiert wird. Kein Wunder aber auch, dass die Kommunistische Partei der Sowjetunion einige Jahre nach Lissitzkys Plakat sich vom radikal offenen Konstruktivismus abkehrte, und die Kunst ins Korsett des sozialistischen Realismus zwängte, von dem man sich unmissverständlichere Botschaften, sprich: besser funktionierende Plakate, erhoffte.

Ein solches hat unzweifelhaft Picasso mit seinen berühmten Tauben geliefert, und die Ausstellung führt sehr aufschlussreich die Genese dieser Plakatkunst-Ikone vor Augen. Erstmals entwarf Picasso 1949 eine Taube für die Kommunistische Partei Frankreichs anlässlich eines Weltfriedenskongresses.

Das Motiv stammte von Louis Aragon, Freund Picassos und Chef der Kommunistischen Plattform. Diese erste Taube befindet sich am Boden und ist von Picasso stark modelliert worden. 1950, auf einem Picasso-Plakat für den Sheffielder Friedenskongress, fliegt das Vögelchen schon. Erst 1961 aber, beim Plakat für den Kongress der nationalen Friedensbewegung in Issy-les-Moulineaux, enthält sich Picasso jeglicher Modellierung und malt die Taube, indem er sie einzig und allein mit einer klaren, blauen Linie als Kontur wiedergibt.

Der Unterschied ist gewaltig: Während in den älteren Versionen sich der Blick noch ästhetisch verleitet im raffinierten Licht-und-Schatten-Spiel der Modellierung verlieren kann, ist die 1961-Taube in ihrer Kunstlosigkeit ganz Symbol: "Halte dich nicht bei mir auf, sondern beziehe mich sogleich aufs große Ganze", zwitschert sie uns zu.

So wirksam das Plakat, so hoch ist der Preis, den der Künstler dafür zahlt. Denn die späte Friedenstaube, wiewohl das Werk eines Künstlers, ist nicht mehr ein Werk der Kunst. Es ist ein Piktogramm, reine Information: das, wovon die Ideologen des sozialistische Realismus immer geträumt - und was Künstler, zumal jene, die noch nicht die Wurzeln zum bürgerlichen 19. Jahrhundert gekappt hatten, wie Tod und Teufel gefürchtet haben.

So gesehen lässt sich Picassos kunstlose Taube auch als äußerster Gegenpol zum bürgerlichen Ästhetizismus begreifen. Sie kann neben dem Frieden, für den sie steht, auch ein Grundanliegen der Kunst des 20. Jahrhunderts versinnbildlichen: statt quasi-sakral in einem von allen gesellschaftlichen Belangen getrennten System sich weiter auszudifferenzieren wieder praktisch werden. Das Leben verändern. Die Gesellschaft verändern. Und so weiter und so fort.

Einen ersten Höhepunkt erreichte die politische Plakatkunst erstmals in den aufgeheizten Protesten der 1960er Jahre, auf die sich die Ausstellung schon in ihrem Titel bezieht. "Phantasie an die Macht" - das war jene Parole, die den Pariser Mai 1968 beflügelte.

Beflügelt wurde die Plakatkunst in jenem Jahr auch vom Kunstwerkaufsatz Walter Benjamins, der zum zentralen Text der Studentenunruhen geworden war. In Benjamins bekanntester Schrift findet sich das gesamte Vokabular, das sich für die Plakatkunst in Anschlag bringen lässt: technische Reproduzierbarkeit, zerstreute, beiläufige Rezeption, Politisierung der Kunst.

An der Unzuverlässigkeit der Kunst änderte das meist nichts. War ja nett gedacht von Joseph Beuys, Gründungsmitglied der Grünen, für seine Partei ein Wahlplakat zu entwerfen. Aber was zum Teufel soll ein überdimensionierter Hase, vor dem ein Miniaturjäger mit Gewehr hockt und auf ihn anlegt? Andy Wahrhol entwarf, auf Anregung Beuys, auch ein Plakat: "Warhol für die Grünen" steht da in großer Schrift, dazu finden noch ein paar Warholköpfe im Scherenschnitt auf dem Plakat Platz.

Man kann angesichts des Plakats fragen, ob Warhol wirklich für die Grünen ist. Oder nicht vielmehr für sich selbst. Den Grünen scheint jedenfalls die Selbstbezüglichkeit des Plakats aufgestoßen zu haben, es teilte das Schicksal von Beuys Plakatentwurf und wurde abgelehnt. Vielleicht zu Unrecht.

Denn dem Entwurf ließe sich zugute halten, dass die Selbstbezüglichkeit ein kritisches Manöver ist: Warhol schmiegt sich damit an den Individualitätskult spätkapitalistischer Gesellschaften an und macht dessen inhärente Marktlogik kenntlich und durchschaubar - was einer Protestpartei wie den Grünen doch gut zu Gesicht gestanden hätte. Oder auch nicht, denn das Dumme mit Warhol und Beuys und all den anderen ist eben, dass sich mit Sicherheit nicht sagen lässt, was das Ganze soll.

Mit Sicherheit lässt sich nur sagen: Ein Besuch der Ausstellung lohnt. Nicht nur für den praktisch denkenden Menschen, der die zwei Fliegen, Kunst- und Protestgeschichte, mit einer Klappe schlagen will, sondern auch auch für jenen, der die Frage nach ihrem Verhältnis aufwirft - und am Ende mit leeren Händen dasteht.

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