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Politikprofessorin über das Arbeitsrecht"Freiheit und Gleichheit gibt es nicht"

Zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem existiert ein Machtgefälle, das ausgeglichen werden muss. Doch diese Sichtweise geht verloren, warnt Politikprofessorin Britta Rehder.

Nicht nur bei einer Kündigung greift das Arbeitsrecht. Bild: photocase/ivanR
Eva Völpel
Interview von Eva Völpel

taz: Frau Rehder, Sie sagen, dass das Arbeitsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet verschwindet. Was genau bedeutet das?

Britta Rehder: Es verschwindet nicht das Arbeitsrecht als Disziplin, aber es verändert sich das spezifische arbeitsrechtliche Denken, das in den 1920er Jahren entwickelt wurde. Die Annahmen verändern sich, und zwar in Richtung auf ein eher vertragsrechtliches Denken, das sagt, Arbeitsverträge sind ganz normale Verträge wie alle anderen auch und müssen auch so behandelt werden.

Wie ist denn dieser andere Blickwinkel, mit dem Arbeitsrechtler die Welt sehen?

Das private Vertragsrecht sagt, Verträge sind ein hohes Gut, sie werden unter freien und gleichen Partnern geschlossen. Das Arbeitsrecht hingegen ist stark von Hugo Sinzheimer geprägt, der wiederum war stark auch von sozialistischen Ideen inspiriert und hat gesagt: Diese Freiheit und Gleichheit gibt es für Arbeitnehmer nicht. Es gibt vielmehr eine Asymmetrie zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und wenn beide einen Vertrag schließen, dann ist der Arbeitnehmer viel unfreier als der Arbeitgeber. Der Beschäftigte ist nämlich auf den Job angewiesen, er ist im Zweifelsfall deswegen auch dazu bereit, Bedingungen zu akzeptieren, die er nicht möchte. Deswegen braucht man besondere Institutionen, die diese Asymmetrie aufheben …

wie Gewerkschaften?

Ja, Gewerkschaften, die Tarifverträge abschließen oder streiken können. Die Idee der Arbeitnehmer ist nur im Kollektiv stark. Erst wenn das existiert, gibt es eine Art Parität, die in der Idee der Vertragsfreiheit unterstellt wird.

Britta Rehder

41, ist Politikprofessorin an der Uni Bochum und hat über die Politik der Rechtsprechung und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit geforscht.

In welchen Fragen würde denn ein Privatrechtler klassischerweise anders entscheiden als ein Arbeitsrechtler?

In den 1980er und 1990er Jahren gab es die Debatte, dass es für einen Arbeitnehmer doch günstiger sei, auf Lohn zu verzichten, wenn er dafür seinen Arbeitsplatz behalten kann. Da würde ein Privatrechtler sagen: Jawohl, der hat Wahlfreiheit, das kann man so machen. Ein Arbeitsrechtler würde sagen: Der hat gar keine Wahl, wenn er Angst hat, seinen Job zu verlieren, wird er alles Mögliche akzeptieren. Deswegen haben die Arbeitsgerichte den Tausch Beschäftigungssicherheit gegen Lohnhöhe immer abgeschmettert.

Woran machen Sie denn nun genau fest, dass das Arbeitsrecht in die Defensive gerät?

Wir haben uns angeschaut, an welchen Unis es noch Professuren ausschließlich für Arbeitsrecht gibt. Das Ergebnis: Die eigenständige Arbeitsrechtsprofessur ist heute kaum noch vertreten. Waren 1968 noch 23 Prozent aller Jura-Universitätsprofessoren ausschließlich Arbeitsrechtler, waren es 2009 nur noch 4 Prozent. Man hat heute fast immer eine Mischung, jemand ist Professor beispielsweise für bürgerliches Recht und für Arbeitsrecht. Die Gefahr ist, dass so das Arbeitsrecht schrittweise verschwindet, weil es eher von vertragsrechtlich orientierten Leuten mit übernommen wird.

Aber immer mehr Anwälte spezialisieren sich auf Arbeitsrecht. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer These?

Es ist ein Spannungsfeld. Es gibt Fachanwälte, die sich der Idee des Arbeitsrechts sehr verpflichtet fühlen. Auf der anderen Seite gibt es Anwälte, die für die Arbeitgeberseite arbeiten, sich das Etikett Arbeitsrechtler anhaften, aber versuchen, das traditionelle Arbeitsrecht abzuwehren und eher ein vertragsrechtliches Denken durchzusetzen.

Müssen Beschäftige also befürchten, dass ihre Interessen künftig weniger gut vor Gerichten durchgesetzt werden?

Ja. Es wird viel darüber gesprochen, wie das Arbeitsrecht von oben, durch Gesetzesinitiativen oder Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum Streikrecht beispielsweise torpediert wird. Mein Argument ist aber: Die eigentliche Gefahr lauert darin, dass das Arbeitsrecht von innen heraus erodiert, weil die Ausbildungswege oder -inhalte an den Unis nicht mehr so sind, dass das klassische, traditionelle Arbeitsrecht erhalten bleibt. Das ist ein schleichender Prozess, der kaum zur Kenntnis genommen wird.

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4 Kommentare

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  • WH
    Wolfgang Höfft

    Die Politikprofessorin Britta Rehder nimmt den Rückgang der Professuren, die einzig dem Arbeitsrecht gewidmet sind, und die Zunahme der Professuren, die das Arbeitsrecht als Teil des Bürgerlichen Rechts behandeln, als Beleg dafür, daß das Arbeitsrecht zurückgedrängt werde und die "arbeitsrechtliche Erkenntnis" (sie spricht von "kognitiver Grundlage des Arbeitsrechts") verloren gehe, daß eine strukturelle Verhandlungsunterlegenheit der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern einen Ausgleich erfordere durch das Streikrecht, durch das erst rechtliche Verhandlungsparität zwischen AN und AG hergestellt werde.

     

    Das ist Unsinn.

     

    Zum einen ist diese Sichtweise die Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts bis auf den heutigen Tag. Sie wird deshalb dort, wo Arbeitsrecht als Teil des Bürgerlichen Rechts gelehrt wird, ebenso wahrgenommen und gelehrt wie dort, wo Arbeitsrecht von Professoren für Arbeitsrecht gelehrt wird.

     

    Zum zweiten wird die Behauptung, daß das von Rehder favorisierte Arbeitsrecht an einem Lehrstuhl für Bürgerliches und Arbeitsrecht weniger engagiert vertreten wird, widerlegt durch die Entstehung des Arbeitskampfrechts, dem die Sorge Rehders im besonderen gilt.

     

    Das Arbeitskampfrecht hat seinen grundlegenden Impuls nicht von einer Professur für Arbeitsrecht, sondern von einem Professor für Bürgerliches, Handels- und Arbeitsrecht, Hans Carl Nipperdey in Köln, der damals (1955)Präsident des Bundesarbeitsgerichts war, erfahren.

     

    Daß die Theorie, daß es eine Übermacht der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern zu egalisieren gelte, und dies durch die Möglilchkeit des Streikens erfüllt werde, unter Beschuß gerät, hat andere als die von Rehder genannten Gründe. Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BMWi "Tarifautonomie auf dem Prüfstand" nennt sie: Durch das Wirken der Lohnkartellverbände wird in unverantwortlicher Weise Beschäftigung vernichtet bzw. verhindert. Der Arbeitskampf richtet sich zwar dramaturgisch gegen die Unternehmen, trifft aber wirtschaftlich und existentiell Menschen, die Arbeit suchen oder verlieren.

  • G
    grafinger

    Interessante These, aber wie ist dann die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972, die aktuelle Rechtsprechung im Bereich Abmahnung, Kündigung aus wichtigem Grund und Kündigungschutzgestz allgemein zu erklären?

    Nur weil es auch unter den Juristen immer weniger scheuklappenbebrillte Fachidioten mit Nischenwissen gibt muss das noch lange nicht der Untergang des Arbeitsrechtes sein.

    Oder sollte die Mähr vom "Neoliberalismus" mal wieder "wissenschaftlich" untermauert werden?

  • H
    hanserls

    Nicht nur die Rechtswissenschaften sind

    von Karrieristen ohne Urteilskraft,

    aber mit viel Lernfleiß und Spitzfindigkeit

    bedroht.

    Wer klassische BWL-Fächer wie Unternehmenführung

    und Organisation, Personalmanagement

    und Helth Care (Krankenhausmanagement)

    besucht hat, wird das grottenschlechte

    inhaltliche Niveau der Vorlesungen bejammern

    können.

    Viel Lernstoff heißt nicht automatisch

    das dieser Stoff wissenschaftlich wertvoll,

    ertragreich oder inhaltlich korrekt ist.

    Vielmehr spiegelt es eher das Denk-und Fühlschema

    der akademischen Karrieristengarde, welche

    von christlichen Maßstäben entwurzelt sind und

    von organischem Unternehmenswachstum ausgerichtet

    auf Autonomie, Profitabilität und Zukunftssicherheit keine Ahnung haben.

    Es wird meistens noch nicht mal versucht,

    praktikable Unternehmensstrukturmodelle zu

    entwerfen, welche für die Gesellschaft

    am nützlichsten wären. Genau diese

    zukunftsorientierte - ja visionäre Primäraufgabe

    der Universitäten wird einer kurzfristigen

    Präsenzanalyse zeitgenössischer Unternehmen geopfert ohne die improvisatorische und neoliberale Ebene zu

    verlassen. Jeder der erfolgreich darin sein will,

    muss eben diese Litanei abermals bemühen, um

    von der akademischen Elite akzeptiert zu werden,

    welche wiederum auf das Wohlwollen der

    Wirtschaftselite angewiesen ist, um selber

    für die Zeit nach der Uni und gegebenfalls für

    ihre Studenten perspektivreiche Kontakte knüpfen

    zu können. Als freie Denkschule ist damit

    die Universität nicht mehr zu gebrauchen,

    sondern als quotenregulierte Pauk-und Schleimanstalt verkommen.

    Und genau das werden auch die Absolventen sein-

    Hybriden der Pauker und Schleimerfraktion.

    Leicht zu manipulieren, über Geld und Reputation

    und Vorgaben effizient steuerbar und mit

    verminderter Befähigung ein Unternehmen

    ganzheitlich zu verbessern und für gelungenes,

    lebenswertes Leben seiner Mitwirkenden mit hauptverantwortlich zu sorgen.

    Der Sinn für marktwirtschaftliche humanistische

    Hochkultur geht verloren und verkehrt sich in ein psychologisches Bekämpfen der Mitmenschen.

  • S
    Schulz

    Es waere einfacher fuer Staaten,

    jedem Geborenen 1 Million Waehrungseinheiten

    auf das persoenliche Konto zu ueberweisen,

    dann gleichzeitig in die Rente, in die Krankenkasse,

    in die Bildung, in Privatvorlagen zu invenstieren,

    trotzdem verdoppelt sich das Geld von alleine.

    Damit wird jeder Mensch zum Privatunternehmer,

    fast frei, allerdings noch kein Beziehungloser.

    So kann Arbeitsrecht neu gedacht werden.

     

    Damit ist zwar noch nicht die Gleichheit fuer alle

    geschaffen, aber die himmelschreienden Armutshaeuser und die Unfaehigkeit von Staaten beseitigt,

    sozial verantwortlich zu handeln.