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TÜCKEN DES WAHLRECHTSSpitzenfrau inkompatibel

CDU-Chef Thomas Röwekamp hat die Folgen des neuen Abgeordnetengesetzes nicht erkannt - und ihre Probleme für den Handwerkskammer-Präses und Rita Mohr-Lüllmann.

Banger Blick aufs Abgeordnetengesetz: Joachim Feldmann, Rita Mohr-Lüllmann. Bild: kawe

Als das neue Bremer Wahlrecht in der Bürgerschaft verabschiedet wurde, waren alle dafür - auch die CDU. "Wenn wir gewusst hätten", erklärte gestern der CDU-Vorsitzende und Jurist Thomas Röwekamp, was die Inkompatibilitätsregeln des Gesetzes bedeuten, dann wäre er nicht dafür gewesen.

Konkret: Paragraph 28 des Abgeordnetengesetzes verbietet Mitgliedern der Bürgerschaft, gleichzeitig "Mitglieder von Organen juristischer Personen des Öffentlichen Rechts" zu sein. Das betrifft zum Beispiel den Präses der Handwerkskammer, Joachim Feldmann, den Röwekamp vor einem Jahr als "Seiteneinsteiger" auf der Liste besonders vorgestellt hatte, ohne ihn auf die Inkompatibilität hinzuweisen. Und das betrifft auch Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann, die ihr Amt als Vizepräsidentin der Apothekenkammer verlieren würde.

Gestern nun tagte der Verfassungs- und Geschäftssordnungsausschuss der Bürgerschaft. Röwekamp hatte um die Sitzung gebeten. Recht kleinlaut meinte er, er wolle über das Problem "reden", vielleicht könne man ja kurz nach der Wahl das Abgeordnetengesetz ändern. Schon früher hatte Röwekamp erklärt, es sei doch nicht nachvollziehbar, wenn ehrenamtliche Vorstandsmitglieder "inkompatibel" seien, der hauptamtliche Geschäftsführer der Handwerkskammer, Michael Busch, aber nicht. Busch tritt für die Wählerinitiative "B+B" an, die der CDU Stimmen wegzunehmen droht. Seitdem die beiden Handwerksvertreter wissen, dass sie für konkurrierende Parteien antreten, streiten sie sich sogar öffentlich.

Feldmann hat für die Kammer ein Rechtsgutachten bei der renommierten Kanzlei Büsing, Müffelmann & Theye (BMT) in Auftrag gegeben, um die Rechtslage für seine CDU-Kandidatur klären zu lassen. "Ich weiß von dem Gutachten nichts", sagt der Geschäftsführer der Kammer. Bisher hat er auch noch keine Rechnung gesehen.

Das Gutachter-Ergebnis entspricht dem Interesse eines Präses: "Eine Inkompatibilität besteht nicht." Unter Juristen ruft das 21-seitige Papier aber nur Kopfschütteln hervor. Die Anwälte haben schlicht den entscheidenden Passus des Gesetzes nicht richtig gelesen, stellt ein Rechtsgutachten der Bürgerschaft klar. Röwekamp scheint das auch so zu sehen. Er versicherte jedenfalls gestern, er wolle sich auf keinen Rechtsstreit einlassen auf Basis des BMT-Gutachtens.

Kein Versehen, nicht "durchgerutscht", sondern gewollt und "sachgerecht" sei die derzeitige Rechtslage, versicherte SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe. Die Folgen seien ihm als Juristen "immer klar gewesen". Man habe die Inkompatibilität auf die "Organe" von Körperschaften des öffentlichen Rechts beschränkt. Nur, dass der Geschäftsführer der Handwerkskammer nach Bundesgesetz kein Organ sei, habe niemand bedacht. Für die laufende Wahl könne man da aber nichts ändern. Rechtssicherheit sei so wichtig, meinte auch Matthias Güldner (Grüne), dass er "strikt gegen eine Korrektur" der fraglichen Regelungen mit Folgen bereits für die kommende Legislaturperiode sei.

Feldmann unterstrich gestern gegenüber der taz die Ankündigung, das Mandat nicht anzunehmen, wenn er dadurch den Posten als Handwerkskammer-Präses verlöre. Dass es da eine Inkompatibilität geben könne, habe man ihm vor vier Wochen erstmals gesagt. Wer die Rechnung für das Gutachten von BMT zahlt, ließ er offen. Adressiert ist es "an die Handwerkskammer", namentlich den Präses "und die weiteren Vorstandsmitglieder".

Ein Problem der Vermischung von Abgeordnetenarbeit und Verbands-Lobbyismus sieht auch die CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann nicht. Zum Bundestagswahlkampf hatte sie im Interview mit dem online-Magazin "Apotheke adhoc" erklärt, sie betrachte es als "ideale Kombination", wenn sie in der Berufsvertretung ihr "parlamentarisches Know-how einbringen" und "in der Politik die Interessenvertretung der Apotheker übernehmen" könne.

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