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Kommentar Wolga-SchiffsunglückEin Land verrottet

Klaus-Helge Donath
Kommentar von Klaus-Helge Donath

Die Wolga-Katastrophe steht stellvetretend für zahllose russische Unfälle. Schlamperei, Korruption und der Ungenauigkeitsethos der russischen Kultur sind dafür verantwortlich.

W ieder wurde Russland von einer Katastrophe heimgesucht. Auf Mütterchen Wolga sank das Kreuzfahrtschiff "Bulgaria" und riss mindestens 110 Menschen mit auf den Grund. Die Behörden demonstrieren wie immer in solchen Fällen Entschlossenheit: Es wird wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge ermittelt.

Doch fraglich ist, ob die Verantwortlichen gefunden werden. Wer über Beziehungen verfügt oder ausreichend Schmiergeld lockermachen kann, kommt gewöhnlich ungeschoren davon. Wir werden sehen.

Schlamperei, Korruption oder beides in Tateinheit sind meist die Ursachen der Katastrophen. Schwere Unglücke ereignen sich auch in anderen Ländern. Russlands Unfallstatistik stellt jedoch alles in den Schatten. Vor allem die hohen Opferzahlen, die schon bei geringfügigen Defekten zu beklagen sind, lassen schaudern. Sie dokumentieren Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben – und dies in Staat wie Gesellschaft

Klaus-Helge Donath

ist Russland-Korrespondent der taz.

Ein kaputter Hauptmotor, ein defektes Ruder, gefährliche Schlagseite, unzulässig herausgerissene Innenwände und eine missachtete Sturmwarnung wurden bislang als Ursachen angegeben. Da trägt kein Einzelner mehr Verantwortung, die Ertrunkenen wurden Opfer einer kollektiven fahrlässigen Realitätsverweigerung. Russland verrottet, doch niemand will es zur Kenntnis nehmen. Nur die Angehörigen der Opfer werden aufgerüttelt.

Bleiben diese hartnäckig und verlangen Aufklärung, wendet sich das anfängliche Mitgefühl gegen sie. Zu Störenfrieden werden sie erklärt, die das Große und Ganze stören. Dieses wiederum basiert auf einem Ungenauigkeitsethos der Kultur, die mühselige Kleinarbeit verachtet, ja für eine kleinbürgerliche, westliche Attitüde hält. Der Tod eines Einzelnen sei eine Tragödie, massenhaftes Sterben eine Statistik, meinte Stalin. Er hat zumindest überlebt.

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Klaus-Helge Donath
Auslandskorrespondent Russland
Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

16 Kommentare

 / 
  • S
    Stefan

    "Der Tod eines Einzelnen sei eine Tragödie, massenhaftes Sterben eine Statistik,"

     

    na, SO anders wird das bei uns aber auch nicht gesehen.

     

    Das jeden Tag 40.00 Kinder an Hunger sterben, interessiert keine Sau, aber wenns bei nem Zugunglück 3 Leute weghaut, ist das ein paar Wochen in der Tagesschau und auf dem Spiegeltitel.

  • G
    Gunther

    Sicher trifft einiges zu, was im Artikel behauptet wird (siehe auch Kommentar von Marina). Die Schadenfreude des Autors ist aber unverkennbar und deshalb ist dieser polemische Artikel nach einem großen Unglücksfall sehr unangebracht. Hat der Autor nach der Fukushimakatastofe auch einen Artikel: "Das hat Japan von seiner Kernkraft-Gläubigkeit" geschrieben oder nach dem Zugunglück von Eschede "Forzidee deutscher Ingenieure verursachen Katastrofe"

    (weil Gummipuffer im Rad mit Radring keine gute Idee war)

  • G
    gregor

    Gewiss, was Goebbels über Russland gesagt hat, war nicht immer falsch. Doch Goebbels bleibt Goebbels. Und in diesem Kommentar, wie immer, Spott und Verachtung gegenüber Russen.

     

    Übrigens, die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen, wo kommt all das Wissen über die Ursachen für die Katastrophe her?

  • CS
    Christian Schulz

    Von bräunlichen Tönen kann hier doch überhuapt keine Rede sein. Wer so etwa schreibt, hat von der Realität in Russland keine Ahnung. Helge Donath fasst seine jahrelangen Erfahrung nur pointiert zusammen, und man kann ihm nur zustimmen. es ist eine Tragödie für Russland und seine Bewohner, daß es diese von oben gesteuerte Kulturlosigkeit gibt, die immer wieder mit Ursache für so viele Unglücke ist.

  • A
    Anti-Potemkin

    Ich lebe seit mehr als einem Jahrzehnt in Russland und muss sagen, Herr Donath bringt es auf den Punkt! Und schade, dass es auch in Deutschland viele Realitäts-Verweigerer nicht wahrnehmen wollen. Wenn einige den Autor sogar dafür, dass er die Wahrheit schreibt, in die braune Ecke stellen, ist das entweder gezielte Verleumdung oder einfach ein schwerer Fall von Realitätsverdrängung - genau der, wie sie Herr Donath beschreibt.

  • CS
    Christian Schulz

    Von bräunlichen Tönen kann hier doch überhuapt keine Rede sein. Wer so etwa schreibt, hat von der Realität in Russland keine Ahnung. Helge Donath fasst seine jahrelangen Erfahrung nur pointiert zusammen, und man kann ihm nur zustimmen. es ist eine Tragödie für Russland und seine Bewohner, daß es diese von oben gesteuerte Kulturlosigkeit gibt, die immer wieder mit Ursache für so viele Unglücke ist.

  • M
    Michael

    Irgendwie habe ich ueber Japan solche Artikeln in der deutschen Presse nie gesehen. Dort starben aber 23 TAUSEND Menschen. Doch irgendwie "verottet" Japan nicht, Russland aber doch.

     

    Und was hat der Georgier Dschukaschwili, mehr als Stalin bekannt, mit dem Ganzen zu tun? Was sagte Hitler ueber die Todesopfer und die Statistik? Warum denkt denn der Autor, dass die Woerter eines nichtrussischen Diktators der UdSSR noch immer Auswirkung auf heutiges Russland haben und Hitler auf die deutsche Gesellschaft keine Auswirkung mehr hat?

     

    Dieser Artikel ist voll mit Russophobie und Schadenfreude des Autors.

     

    Sollte man auch nach dem Hochgeschwindigkeitszugsunfall von Eschede sagen "Deutschland verottet" 1998? Und 1999 gab es dazu noch den idiotischsten Schwebebahnunfall am Robert-Daum-Platz mit 5 Toten und 49 Verletzten in Deutschland auch.

     

    Es scheint so zu sein, dass der Autor GERNE MOECHTE Russland verottet zu sehen. Sein Artikel ist nichts anderes als ein grosser freudscher Versprecher.

  • L
    Lena

    Niemand sagt es dümmer und reißerischer als Donath. Was ist das für ein Journalismus, wo über ein ganzes Land so pauschal geurteilt werden kann?? Ist das noch seriös?

     

    Oder geht es nur um die Verkaufszahlen? Hauptsache die Klischees bestätigen: Korrupt, unterentwickelt, kriminell...Sie haben den Winter vergessen, Herr Donath!

     

    Aber was soll man schon bei diesem Titel und Untertitel erwarten? Dass der gesamte Text primitiv und populistisch ist, wundert einen nicht mehr.

     

    Sehr traurig, dass solche Möchtegern-Journalisten die Meinunggsbilder vieler Deutscher sind!

  • M
    Marina

    Ich bin eine Russin. Russland trägt die Hose was ihm Sovet Union geerbt hat. Es ist schon alles sehr alt:die Kohlengrüben,die Schiffe, die Züge, Flugzeuge, es wird fast nichts modernisiert, nur umbenannt, so wie Polizei in RF.

  • M
    miri

    @Waltrun: Also "bräunliche Töne" ist ja wohl Tüdelkram. Wenn man über alle Völker, die von den Deutschen mal überfallen oder von den Nazis runtergemacht wurden, nur Nettes sagen dürfte, dann kann man gleich den Mund halten. Und Mundhalten ist ja wohl die Ursache vieler Schiefgänge, besonders in Russland.

     

    Meine Frage: Gibts da keine Evolution? Im Grunde müssten doch die Weiterwurschtler langsam aussterben und die Wir-versuchens-mal-mit-Verstand-Leute sich durchsetzen. Die muss es in Russland doch auch geben, wenigstens in Spuren. Immerhin bauen die Russen Raumfahrzeuge und, naja, Kernkraftwerke... Russland hat viele große Mathematiker hervorgebracht, nicht alles jüdische Russen, und viele begabte IngenieurInnen. Sie müssten sich zumindest erfolgreicher vermehren oder weniger oft auf Schiffen versaufen oder so. Oder bin ich naiv? Gibt es soziale Evolution...?

  • AA
    Alfons Alias

    War mal als Student vor ca. 40 Jahren für 3 Wochen, “Freundschaftszug” in der UdSSR. Vor der Abreise sagte man uns damals schon, wir könnten das Land nicht mit unseren Maßstäben, DDR, messen. Dort bekamen wir, die Nachkriegsgeborenen, oft sowjetische Kriegerdenkmäler und einen antideutschen Film, wie uns ein Student der den Originaltext verstand sagte, zu sehen. Bis auf Museen war der Rest sehr enttäuschend, besonders wenn man sich mal alleine auf den Weg machte. So ist es oft mit einem großen “Bruder”, enttäuschend.

    Nach einer handwerklichen Arbeit über mehrere Tage wurde uns das Verlassen der Kaserne mit vorgehaltener MP verboten, weil der Offizier der Meinung war wir müssten noch die zusätzliche, bis dahin nicht angewiesene Arbeit noch nach Feierabend durchführen. Hatte noch andere “freundliche” Begegnungen. So ging man eben mit Freunden um. Mit so einer Mentalität habe ich natürlich meine Probleme.

    Wenn dort heute einige Metropolen nach westlichem Vorbild gestaltet werden ist das nur Kosmetik. Würde nie wieder dort hinfahren. Großstädte mag ich sowieso nicht und trinkfest bin ich auch nicht um eventuelle freundschaftliche Begegnungen durchzustehen.

    Wer ein ruiniertes Land sehen will der sollte dort hinfahren dann bracht man nicht woanders hinfliegen.

  • N
    Nele

    Ja, mit Russland, das wird nichts mehr...

  • W
    Waltrun

    Was bringt dieser Artikel doch für bräunlich wirkende Töne hervor! Da hätten biologistische Rassisten ihre Freude dran, die vor Jahrzehnten vom slawischen Untermenschen redeten; und alle, denen noch der böse Iwan im Kopf rumspukt, dürften jubeln.

     

    Natürlicherweise gibt es unterschiedliche Kulturkreise, und sie müssen auch nicht zusammenpassen. Aber so wie hier auf die Russen zu schimpfen, nur weil es dort andere Übel gibt als hierzulande den Eindruck zu erwecken, dass es dort insgesamt mehr Übel oder schlimmere gebe, das ist nicht belebender gesunder Kulturvergleich, sondern übler Kulturchauvinismus.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Um Russland gehts? Da möchte der grüne Deutsche natürlich die "Sau rauslassen". Über Eschede habe ich solche seltsamen Kommentare nie gelesen und weiß der Kommentator wie die juristischen Folgen des Unglücks aussahen?

    Auch über Bakschisch muss man sich in Deutschland auch nicht unterhalten. Die Geldköfferchen werden bereits über offene Bühnen geschleppt und das resignierte Publikum schweigt. Ich glaube auch nicht, dass die russische Presse das Geschehen herunterspielt. "Das Schiff war überladen", meldete das russische Fernsehen bereits heute früh. Weitere Untersuchungen laufen noch und man sollte den Ermittlern genug Zeit dafür lassen. Heute gehört mein tiefes Mitgefühl den Angehörigen der Opfer dieser furchtbaren Tragödie. Ich denke an alle die damit zu tun hatten. Schockiert hat mich die Nachricht, dass Wolga -Schiffe die erforderliche Hilfe verweigert haben sollen. Da gibt es Kapitäne und Offiziere, die gegen russische Gesetze verstoßen haben. Und die werden drankommen, mit Sicherheit dran. In einem Land das seine Bahnkunden in sengender Hitze durch die Gegend kutschiert obwohl die Klimaanlagen kaput sind, sollte man sich vor den Russen nicht ganz so Gründeutsch aufspielen wie der geschätzte Kommentator. Ich liefere gern eine lange Liste deutscher Schlampereien.

  • R
    Robert

    "Der Tod eines Einzelnen sei eine Tragödie, massenhaftes Sterben eine Statistik, meinte Stalin."

     

    Meinten das nicht noch viele andere "große" Herrscher?

     

    Ein paar Schiffe später in den 80ern auf einer Schwarzmeerreise, und es hätte uns erwischt. Alte KdF-Schiffe auf Touristenfahrt. Nur, wo kommt sie bei den Russen (und anderen) nur her, diese Gleichgültigkeit? Oder was immer es ist. Wäre doch mal eine interessante, ernsthafte Frage.

  • M
    Markus

    Niemand sagt es präziser und pointierter als Donath. Genau so ist es.