Intendant Petras über Geld und Theater: "Lauter? Ich bin nicht Herr Peymann"
Armin Petras hat von der armen Berliner Politik genug. Der Intendant des Maxim Gorki Theaters wechselt 2013 ans reiche Staatsschauspiel nach Stuttgart.
taz: Herr Petras, 2013 verlassen Sie das Gorki-Theater in Berlin und werden Intendant am Staatsschauspiel Stuttgart. Als Motiv sagten Sie, es gebe Abnutzungserscheinungen mit der Politik in Berlin. Was meinten Sie damit?
Armin Petras: Bevor wir 2006 am Gorki anfingen, stand dieses Theater, vorsichtig ausgedrückt, zur Disposition. Ich war damals in Frankfurt am Main. Als Berliner fand ich es eine tolle Idee, aus dem Gorki ein Theater zu machen, das überleben kann. Der damalige Intendant, Volker Hesse, hatte mir gesagt, dass man mit dem zur Verfügung stehenden Etat kein Theater mehr machen kann.
Wir haben dann eine neue Konzeption gemacht. Wir versuchten, mit weniger Mitteln viel zu produzieren, hatten 56 Premieren in der 1. Spielzeit. Wir haben die Auslastung von anfangs 60 auf jetzt 90 Prozent gesteigert. Das ist viel. Auch die Einnahmen haben sich verbessert.
West-Ost: geb. 1964 in Meschede (Sauerland). 1969 Übersiedlung mit Eltern in die DDR, wuchs in Ostberlin auf. Von 1985 bis 1987 Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Ostberlin. 1988 ging Petras nach Westberlin.
Intendant: Seit 2006 Leiter des Maxim Gorki Theaters, Berlin. Inszenierte u. a. nach Fatih Akins "Gegen die Wand", Meyers "Als wir träumten", Krachts "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten". Aktuell: Littells "Die Wohlgesinnten".
Kleistfestival: Ab 4. November in Berlin mit Jan Bosse, Schorsch Kamerun u. v. a.
Klaus Wowereit, Berlins Bürgermeister und Senator für Kultur, gab sich jetzt verwundert über Ihre Kündigung. Sie hätten die Zahlen doch immer gekannt.
Uns fehlen jetzt 400.000 bis 600.000 Euro pro Spielzeit. Die hat uns der Senat nicht einfach weggenommen, sondern die gingen in Sonderausgaben, wie den Umzug der Werkstätten, oder haben mit Personalkostenanstieg durch Tarifangleichungen zu tun. Ohne Ausgleich führt das ins finanzielle Desaster.
Die Situation in Berlin ist finanziell insgesamt nicht einfach. Die Stadt ist hoch verschuldet, es gibt fünf Stadttheater. Ist da Wowereits Haltung, Ihren Etat nicht aufzustocken, nicht auch verständlich?
Von den 10 Millionen, die wir im Jahr bekommen, stehen ganze 2 Millionen Euro dem künstlerischen Etat zur Verfügung. Die anderen 8 Millionen sind fest an die bestehenden Kosten des Hauses gebunden. Wenn von den frei bleibenden 2 Millionen Euro weitere 500.000 weg sind, ist das keine kleine Budgetfrage, sondern einschneidend. Wir haben angefangen, mit einer ästhetischen und inhaltlichen Setzung Stadttheater für Berlin zu machen.
Wir wollten viel und schnell produzieren, junge Leute reinbekommen, und das haben wir erfolgreich gemacht. Aber das hat auch negative Folgen, und die werden jetzt immer deutlicher. Das geht auf die Knochen, bei Künstlern wie Technikern. Ich hab den Intendanten-Kollegen nie vorgerechnet, wie viel sie brauchen und wie wenig wir bekommen. Jeder weiß, dass wir weit über dem Durchschnitt liegen, was die Zahl der Zuschauer im Verhältnis zu den Zuwendungen angeht.
Sie haben aber auch mit einem gewissen Stolz gesagt: Wir schaffen das mit so wenig. Warum haben Sie nicht früher lauter gerufen, dass es so nicht weitergeht?
Lauter? Ich bin nicht Herr Peymann, das ist nicht meine Art. Ich rede von Abnutzungserscheinungen und nicht von unüberwindbaren Hindernissen. Mit Herrn Schmitz, Staatssekretär für Kultur, hatten wir viele Gespräche, in denen wir gemeinsam um Lösungen gerungen haben. Es ist in der Tat auch so, dass jede Kultureinrichtung in Berlin mehr Geld will. Doch wenn das Gorki mit seiner Produktivität und unserem Anspruch weitergeführt werden soll, braucht es eine Etaterhöhung. Anders geht das nicht.
Nun, am Staatsschauspiel Stuttgart haben Sie da dann andere Möglichkeiten.
Ja, bei uns am Gorki gibt es zum Beispiel zwanzig Schauspielerstellen, dort vierzig.
Interessanterweise haben Sie kürzlich kritisiert, Berlin würde verschwäbeln.
Nicht ich, Frank Castorf hat das gesagt, und ich habe ihn zustimmend zitiert.
Wo macht sich Ihre Zustimmung fest, was meinen Sie damit?
Regionen, in denen ich früher gelebt habe, wie Prenzlauer Berg, sind für mich als Urberliner kaum mehr erkennbar. Ich finde es lustig, dass ich jetzt zu den Eltern der Menschen gehe, die jetzt in Prenzlauer Berg leben.
Sie glauben tatsächlich, dass die Gentrifizierung der Stadt als Ost-West-Thema mit süddeutscher Note gelesen werden kann?
Natürlich. Ich sage ja nicht, dass ich das negativ finde. Das ist ja das Tolle an Berlin, dass alle fünf Jahre ein neuer Kiez erschlossen wird.
Woran macht sich die Verschwäbelung denn fest?
Da müssen Sie sich mal nach Prenzlauer Berg begeben, viele schicke Läden, Pasta, Pizza …
… das ist der Schwabe?
Natürlich. Vorher wurde in Berlin doch nur schlecht gegessen. Das proletarisierte Berlin, das früher überall war, das ist einfach in bestimmten Bezirken beendet.
Das "proletarische Berlin" war für Ihr Konzept vom Gorki Theater ein wichtiger Bezugspunkt. Im Heft zur Spielzeit zitieren Sie eine Studie, nach der in keiner anderen deutschen Großstadt das Armutsrisiko so groß ist wie in Berlin. Wegen der Möglichkeiten, günstiger und freier zu leben, zogen viele hierher. Wird Ihnen das Verhältnis von Armut und Kreativität in Stuttgart nicht fehlen?
Dass Berlin sich wandelt, ist ein interessanter Prozess, den haben wir als Theater auch beschrieben. Auch wenn ich es kritisch sehe, dass komplette Innenstadtbezirke nur noch von reichen Menschen bewohnt werden. Berlin-Mitte, oder auch Unter den Linden, kommt mir vor wie ein Freilichtmuseum. Wo Familien in ihren Türmen und Cityhäusern wohnen. Vor zwanzig Jahren gab es eine viel stärkere Mischung der Bevölkerung.
Mischt es sich nicht gerade durch die Veränderungen mehr als früher?
Nee, überhaupt nicht. Ärmere Bevölkerung gibt es nicht mehr in Mitte. Die zieht in Randbezirke wie Lichtenberg, Marzahn, Hohenschönhausen. Das finde ich bedauernswert. Den großen Widerstreit, den es in den neunziger Jahren gab, zwischen Arm und Reich, Ost und West, Ausländern und Inländern, den fand ich super. Das trennt sich nun immer mehr.
Und in Stuttgart?
Das kenne ich noch viel zu wenig, um sagen zu können, ob mir das da fehlt. Ich freue mich auf die Stadt, schon allein weil der Kultur dort ein sehr großer Stellenwert zugeschrieben wird.
Ein Theaterkritiker höhnte, als Ihr Wechsel bekannt wurde, Sie seien ein "arbeitsamer Theaterfolterknecht", und mutmaßte, dass Ihr "Blut-, Hoden- und Schmuddeltheater" in Stuttgart auch nerven könnte. Welche Akzente gedenken Sie im Schwabenland zu setzen?
Also, im Gegensatz zu dem Kritiker halte ich die beiden Dinge Blut und Hoden nicht für etwas Negatives. Blut und Hoden sind für mich etwas Wunderbares, sowohl privat als auch auf der Bühne. Und Schmuddeltheater? Was meint er damit? Ich finde, die Welt muss halbwegs so dargestellt werden, wie sie ist. Dazu gehört manchmal auch Schmutz. Deshalb sind alle drei Zuschreibungen absolut sinnvoll für mein Theater, und das nehme ich auch nach Stuttgart mit.
Andrerseits ist das eine absolut unzulässige Reduktion, nehmen Sie allein die vielen Romandramatisierungen: Bräunings "Rummelplatz" oder Grass' "Blechtrommel" oder jetzt die "Die Wohlgesinnten" von Jonathan Littell, da geht es auch um Literatur, nicht nur um Körperspuren.
Was wird aus Team und Ensemble, wenn Sie 2013, drei Jahre vor dem ursprünglichen Vertragsende, am Gorki ausscheiden?
Das kann ich noch nicht sagen. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Leute mitkämen, aber wer hier Familie hat, wird sich das überlegen.
Wie haben die Schauspieler reagiert, als Sie die Nachricht hörten?
Nachdem ich zugesagt hatte, habe ich vom Flughafen Stuttgart aus alle meine Schauspieler angerufen, per Handy. Ich habe anderthalb Stunden telefoniert, zum großen Teil waren sie geschockt, da gab es alle Varianten von Heulen bis Freude, von Wut bis Verständnis. Das beschäftigt noch alle.
Das konservative Ländle hat erstmals Grün-Rot gewählt, Klaus Wowereit hat sich überraschend für Rot-Schwarz in Berlin entschieden. Ist das ein Zufall, oder werden gerade die Karten für die territoriale Fortschrittssymbolik neu gemischt?
Ein Zufall, ganz klar. Was es bedeutet, ist natürlich spannend. Zum Beispiel die Piratenpartei? Verhindert die vielleicht sogar Rot-Grün bei der nächsten Wahl? Darauf muss man als Theater auch reagieren. Vor den Berliner Wahlen hatten wir hier einen Abend mit Rainald Grebe gemacht.
Wie ging der aus?
Die Schauspieler kamen zu dem Schluss, dass man eigentlich niemand wählen könnte.
Sind das nicht die klassischen feuilletonistischen Haltungen, die sich den Niederungen der Politik sowieso nicht aussetzen wollen und ein bisschen radikal rumblinken?
Hhm, das Publikum hat aber sehr viel Spaß gehabt an dem Abend.
Und auf Grebe folgt nun ab diesem Wochenende Ihr großes Kleistfestival.
Kleist war ein Autor der Krise und des Übergangs. Wenn ein Projekt gescheitert ist, ist er wieder aufgestanden und hat das Nächste gemacht. So versuche ich auch zu arbeiten: Wunden lecken, und weiter geht es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen