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Blogger Alexei NawalnyDie neue Kultfigur der Opposition

Er ist der unerschrockene Herausforderer des Kremls. Alexei Nawalny prangert im Netz die Korruption in Putins Reich an. Auch wenn er dafür ins Gefängnis muss.

Wortgewandter Kritiker: Der Internet-Rebell Alexei Nawalny nervt die Mächtigen im Kreml. Bild: dpa

BERLIN taz | Auf der Moskauer Großdemonstration gegen Wahlfälschung war Alexei Nawalny nicht zugegen. Er ließ aber eine Botschaft verlesen: "Für seine Rechte zu kämpfen tut gut und ist nicht schwer. Eure Waffe ist eure Würde." Nawalny war verhindert.

Nach der ersten Großdemonstration am letzten Montag verurteilte ein Schnellgericht den 35-jährigen Blogger zu einer Ordnungsstrafe von 15 Tagen Arrest im "Isolator". Nawalny ist der Kopf der neuen russischen Oppositionsbewegung. Er ist ein Held und Volkstribun mit Hang zu einem gewissen Pathos.

Zwar kennen nur die wenigsten Gesicht und Stimme des Antikorruptionskämpfers, weil das Fernsehen ihn den Zuschauern vorenthält. Seine Bezeichnung der Kremlpartei Geeintes Russland (GR) als "Partei der Diebe und Gauner" indes hat im Volk längst den ursprünglichen Parteinamen ersetzt.

Nawalnys Partei ist die junge Internetgemeinde, die über Nacht in die Öffentlichkeit drängt. Noch verfügt sie über keine festen Strukturen und auch keinen gewählten Vorsitzenden. Der unerschrockene Herausforderer des Kremls ist aber seit Langem die Kultfigur der virtuellen Welt.

Hätten die Blogger im letzten Jahr über die Wahl eines neuen Bürgermeister entscheiden dürfen, Nawalny wäre mit großer Stimmenmehrheit der neue "Mer" geworden. Dutzende Sympathisanten harrten auch vor dem Gerichtsgebäude aus, als die Verhandlung lief.

Die Botschaft des russischen Robin Hood ist so einfach wie griffig: Nachdem Milliarden Dollar auf Offshorekonten gewandert sind, sei es an der Zeit, mal wieder in Werte zu investieren. Seit fünf Jahren führt der Familienvater einen Blog, den Hunderttausende regelmäßig lesen.

Veruntreuung von vier Milliarden Dollar nachgewiesen

Darin geht es vor allem gegen Korruption und Willkür in Staat und Großbetrieben. Der Rechtsanwalt und Finanzexperte deckte nicht nur Unterschlagungen in Milliardenhöhe auf. Fast wichtiger noch ist sein Beitrag zur Entwicklung der Zivilgesellschaft: Dem Zynismus, der das russische Netz beherrschte, setzte er erfolgreich zielgerichteten Protest, Inhalte, beneidenswerten Mut und ein Schuss Moral entgegen.

Die Mobilisierung der betrogenen Wähler im Handumdrehen ist der Beweis. Seinen größten Coup landete er gegen den russischen Pipeline-Monopolisten Transneft, dem er 2009 nachweisen konnte, dass beim Bau einer Pipeline von Ostsibirien zum Pazifik vier Milliarden Dollar veruntreut worden waren.

Mit gewaltigen aufbereiteten Dokumentenmengen unter dem Titel "Wie bei Transneft gesägt wird" konnte sich jeder Bürger ein Bild vom Ausmaß des sanktionierten Stehlens machen. "Sägen" bedeutet im Russischen auch das Abzweigen von Haushaltsmitteln.

Der Rechnungshof nahm den Betrug zwar zur Kenntnis, doch damit war die Angelegenheit erledigt. Nawalny rechnete daraufhin den Bürgern vor, dass jeder von ihnen um 1.100 Rubel (26 Euro) bestohlen worden sei.

Nawalny nutzt auch nationalistische Stimmungen

Nawalny ist besessen von seiner Mission und ein charismatischer Populist, der Menschen im Nu für sich gewinnt. Kein Zweifel: Wenn die Zeit reif ist, will er den Kreml übernehmen. Mit dem Internetportal Rospil (Abgesägtes) setzt er den Mächtigen weiterhin zu.

Das Portal veröffentlicht offizielle Ausschreibungen und kontrolliert die Ausgaben. Logo ist der russische Doppeladler, der zwei Sägen in den Krallen hält. Angst habe er nicht, sagt Nawalny. Auch wenn er jederzeit mit einem Überfall rechnen müsse. Bislang hat die Staatspartei ihn wegen der Bezeichnung "Gauner" auch noch nicht juristisch belangt.

Die Betroffenen fühlten sich wohl auch als solche, sagte er im Esquire. Über 99 Prozent der Korruptionsfälle werden ihm mittlerweile Infos zugespielt. Er ist zugleich der gefährlichste Herausforderer des Systems Putin. Der müsste ihn eigentlich kennen. Wladimir Putins "Vertikale der Macht" nannte er einen "Wackelpudding".

Nawalny aber besitzt noch eine andere Seite: Er schreckt nicht davor zurück, die nationalistischen Stimmungen, die in der russischen Gesellschaft gegenwärtig vorherrschen, für seinen Kampf zu instrumentalisieren.

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11 Kommentare

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  • G
    gregor

    In Russland ist man nicht doof. Der Protestler muss entsprechend dem Drehbuch für die "Revolution" ein Blogger sein. Nun hat man einen Blogger. Einen Blogger, der Dinge veröffentlicht, wofür man normalerweise in Russland eine Kugel verpasst bekommt. Er muss wohl zwei Engel haben - einen, der ihn mit Infos beliefert und den zweiten, der ihm Schutz gibt. So ein Engel_ zwei in einem_ kann nur der russische Geheimdienst sein. Wie auch immer, die Aufgabe von diesem Blogger ist die Diskreditierung der Opposition in Russland. Und wie man es hier liest, sein Nazi-ruf ist in Deutschland sogar bekannt.

     

    So ist es wirklich billig, dass der Kreml so eine langweilige Opposition-Show organisiert. Kreativlos.

  • R
    Richard

    Was soll das? Wieso wird Nawalny in der TAZ verharmlost? Wo bleibt der kritische Geist? Wenn über Nazi-Morde in Russland berichtet wird, dann muss doch 10 mal mehr über rechtsradikale Führungspersonen aus der Opposition berichtet werden. Wenn das nicht gemacht wird, dann wird dabei geholfen den Rechtsradikalismus in Russland populärer zu machen. Das ist echt nicht zu fassen, wie fahrlässig die TAZ sich hier verhält! Der Antifaschismus ist der TAZ wohl nicht so wichtig. Als Putin mehrere Nazi-Organisationen verboten hab, gab es hier schließlich auch keinen Lob. Gute Nacht!

  • H
    Hendrix

    Nawalny ist sicher kein Heiliger; das hat auch der Artikel nicht behauptet und zurecht auf seine nationalistischen Eskapaden hingewiesen. Doch hat er es ja auch nicht gerade mit Ehrenmännern zutun: mit Putin, Setschin & Co. stehen ihm durchtriebenen Ex-KGB-Schurken und intrigante Apparatschiks gegenüber.

     

    Zu diesem Kampf gehört Mut und Geschick. Schließlich riskiert er jeden Tag seinen Kopf.

     

    An der Aufklärung und Mobilisierung der Massen, die in Putins korruptem Reich immer lauter ihrer verfassungsmässigen Rechte einfordern, hat er wesentlichen Anteil. Respekt!

  • SI
    seid ihr jetzt für NPD?

    Im Jahr 2011 fiel Nawalny dadurch auf, dass er nationalistische Slogans - so zum Beispiel die Losung "Es reicht, den Kaukasus zu füttern" - von Nationalistischen Gruppierungen aufnahm, und selbst an Aktionen und Demonstrationen von rechtsextremen Gruppierungen auftratt, bzw. zu der Teilnahme an diesen aufrief. Am 22. Oktober nahm er in Moskau am "Russischen Marsch" teil, zu dem er zuvor selbst aufgerufen und zu dessen Organisationskomittee er gehörte. Man stelle sich vor russische Medien würden die NPD in deutschland unterstützen. Was für eine Empörung würde es hier geben?

  • H
    Hans

    Wie mein Vorredner Jan B. schon angemerkt hat, kommt Nawalnys Affinität zum rechten Rand zu kurz und nicht ausreichend erklärt.

     

    Der Mann ist gefährlich opportun und sucht sich seine Unterstüzung wo er sie kriegen kann.

     

    @hunsrückbäuerlein

    Ich gebe zu, dass FOX eine wirklich miserable Quelle für Informationen ist. Aber die Informationen über Wahlfälschung kamen nicht von Fox, sondern von Leuten aus Russland via Internet. Auch da mag eine Manipulation nicht ausgeschlossen sein, doch bei dem Vorgehen dieses Regimes und den Dokumentationen hat dieses Regime eine ungefähr gleiche, wenn nicht gar schlechtere Glaubwürdigkeit als FOX (also keine)

  • B
    Benz

    Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell dass irgendwelche Russen von der Presse hierzulande bejubelbt werden, sobald sie sich gegen Putin äussern.

    -

    Davon, dass dieser Nawalny nicht nur auf Putin schimpft, sondern auch noch rechtsextreme Ansichten vertritt- kein Wort. Dabei wurde er wegen seiner ausländerfeindlichen Meinungen einst sogar aus der Partei 'Jabloko' rausgeworfen.

    -

    Solange Leute wie Nawalny mit ihren nichtmehrheitsfähigen Ansichten die russische ausserparlamentarische Opposition anführen wollen, wird diese auch weiterhin bedeutungslos bleiben.

  • MM
    Mirek M.

    Es wäre ganz Toll die Symbolik der Fahnen zu erklären. Zum Beispiel die Rote Fahne mit weissen Feld und schwarzen Zackenkreis.

  • F
    FSB

    Der Mann lebt gefährlich.In Russland ist es nahezu legitim, Feinde von der Größe auszuschalten.

  • EP
    el Presidente

    Typen mit erhobenem Zeigefinger sind immer suspekt.

    Egal welcher Partei sie angehören.

    (Wieso wissen Europäer das eigentlich nicht???)

  • H
    hunsrückbäuerlein

    russland muckt auf gegen die USA, das konnte doch nicht ohne Konsequenzen bleiben, also wird dem "Regime" Putin mal kurzerhand unterstellt, Wahlen gefälscht zu haben, Kritiker einzusperren, das www zu sabbotieren - hallo geht´s noch?

     

    wer soll denn disen schwachsinn glauben?

     

    Fox bedient sich dabei sogar nachweislich Archivmaterials über Demos in GR, aber bei den geographischen Kenntnissen Amilands, kein problem.....mann, welch ein glück, gibt´s navis.

  • JB
    Jan B.

    Na, warum so kurz angebunden über Nawalnys Affinität zu rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Kräften? (: Das passt wohl nicht ganz ins Bild, das die Taz gerne von Nawalmy vermitteln will.