Kommentar Genozid-Gesetz Frankreich: Rückschlag für die Armenier
Frankreichs Parlament hat entschieden, die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe zu stellen. Da stellt sich die Leninsche Frage: Wem nützt es?
W em nützt die Abstimmung im französischen Parlament, die die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellt? Wer darauf antwortet: "der Wahrheit", ist bestenfalls politisch naiv, tatsächlich aber wohl vor allem ein Heuchler. Drei Monate vor den französischen Präsidentschaftswahlen nützt das Gesetz vor allem Herrn Sarkozy, der hofft, damit die rund 500.000 Stimmen armenisch-stämmiger Franzosen für seine Wiederwahl zu gewinnen, was er angesichts der letzten Umfragen offenbar dringend nötig hat.
Es mag auch den Dünkel vieler Franzosen unterstützen, die immer noch glauben wollen, ihr Parlament sei der Hort der Menschenrechte überhaupt, aber damit endet auch schon die Liste. Ob das Gesetz den Armeniern nützt, darf dagegen stark bezweifelt werden. Auch wenn sich der armenische Außenminister gestern Nacht geradezu euphorisch äußerte: Was Armenien braucht, sind keine schönen Worte aus Paris, sondern eine Verständigung mit der Türkei. Und die dürfte mit dem neuen Gesetz in Frankreich erst einmal wieder in weite Ferne gerückt sein.
Die türkische Regierung und allen voran Ministerpräsident Tayyip Erdogan fühlt sich von Frankreich und Sarkozy in die Ecke gedrängt und schlägt nun wild um sich. Trotz und verletzter Stolz aber sind eine schlechte Basis für Kompromisse und Versöhnung. Das gilt sowohl für das türkisch-armenische Verhältnis wie auch für die Beziehungen der Türkei zu Frankreich und Europa insgesamt.
ist Türkeikorrespondent der taz und lebt in Istanbul. 2008 publizierte er das Buch "Türkei. Ein Land jenseits der Klischees". Er bereist und berichtet regelmäßig über die Länder des Nahen und Mittleren Ostens.
Am schlimmsten aber ist das französische Gesetz für diejenigen Türken, die seit Jahren in der Türkei gegen das Verbot angehen, mit dem das Reden über den Völkermord im Land der Täter belegt ist. Sie hatten bislang das Argument auf ihrer Seite, dass das Denk- und Diskussionsverbot über das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich, demokratischen Verhältnissen, die ja angeblich auch die Regierung anstrebt, zutiefst widerspricht. Frankreich zeigt nun, dass das nicht so ist.
Das Mutterland der Menschenrechte stimmt für Denk- und Diskussionsverbote und leistet der Aufklärung damit den denkbar schlechtesten Dienst. Wenn das Gesetz tatsächlich dazu beiträgt, dass Sarkozy wiedergewählt wird, können sich seine Befürworter auch noch die fortschreitende Entfremdung zwischen der Türkei und Europa gutschreiben.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen