Joachim Gaucks Überhöhung: Der Prediger und die Projektion

Der andere Präsident: Wie der Rostocker Pastor Joachim Gauck in einen Volkstribun verwandelt wurde. Ein kleines Lob des bundesdeutschen Populismus.

Und wieder ein Präsident von Springers Gnaden. Bild: dapd

Joachim Gauck löst bei Befürwortern und Gegnern derzeit einen geradezu protestantischen Bekenntniszwang aus. Flaggen werden gehisst, den Luxus, keine Meinung zu Gauck zu haben, mag sich derzeit niemand leisten. Als Bundesbürger hat man glücklich zu sein über den "Präsident der Herzen", den "Staatsphilosophen", so die Süddeutsche, oder den "bürgerlichen Held", so die Frankfurter Allgemeine.

Bild veredelt den Rostocker Pastor zum Schmerzensmann, der "Deutschland durchlitten hat". Focus weiß, dass der Rostocker Pastor "gegen das kommunistische Regime predigte". Ja, Joachim Gauck scheint mit legendärer, orkanhafter Wortgewalt die DDR-Diktatur ganz alleine in die Knie gezwungen zu haben. Hatte er nicht wenigstens einen Küster dabei?

Wir müssen uns den kommenden Bundespräsidenten als ein wahres Fabelwesen vorstellen: Freiheitsheld und Herzeneroberer, Märtyrer und Denker in einem. Diese Art, einen 72-Jährigen in ein Heiligenbildchen zu verwandeln, hat Züge von Personenkult.

Gauck als Projektionsfläche

Die bemerkenswerte Verwandlung eines norddeutschen Pastors zum allseits bestaunten Volkstribun hat der Springer-Verlag mit allen Mitteln des Kampagnenjournalismus unterstützt. Aber jede Kampagne braucht auch einen Resonanzraum, ein Bedürfnis, das gestillt wird. Und offenbar eignet sich Gauck als Projektionsfläche.

"Gauck" ist, als mediales Produkt, die Antwort auf die Sehnsucht nach dem etwas anderen. Er steht irgendwie für Politik ohne Parteiapparat, für Authentizität im grauen Betrieb, für die klare, deftige Ansprache, ohne lästige Rücksichten. So ganz genau kann man das nicht sagen - und das muss auch so sein.

Seine Popularität verdankt sich gerade dem Unscharfen, Unklaren, Wolkigen. Wahrscheinlich versteht man das Phänomen Gauck am ehesten, wenn man es mit den Höhenflügen der Grünen und der Piraten in Umfragen verknüpft. Die Grünen waren noch vor kurzem laut Meinungsumfragen auf dem Weg zur Volkspartei. Wann sie die SPD abhängen würden, war manchem Kommentator zufolge nur eine Zeitfrage. Die Piraten waren mit über zehn Prozent eigentlich schon sicher auf dem Weg in den Bundestag.

Flatterhaftes Bedürfnis

Solche schnell wandelbaren Trends zeigen ein flatterhaftes Bedürfnis nach dem Anderen an. Dieses Andere soll nicht wirklich dissident sein, schon gar nicht extrem, aber doch abgehoben vom Alltag. Daher fliegen die Sympathien mal den grünen Ex-Rebellen zu, mal den Vielleicht-Rebellen der Piraten, mal einem Paradiesvogel wie Gauck.

Die Deutschen scheinen, noch wo sie das Distinktionsmerkmal und die Abgrenzung suchen, in der politischen Mitte bleiben zu wollen. Es ist leicht, sich über diese Sehnsucht nach der Fusion von alternativ und kuscheligem Mainstream zu mokieren. Wahrscheinlich zu leicht.

Ziviler bundesdeutscher Populismus

Anderswo in Europa, in Österreich und Holland, in der Schweiz und Belgien, speisen sich aus ähnlichen Quellen die Erfolge der Rechtspopulisten. In Deutschland kanalisieren sich die Unzufriedenheiten mit dem politischen Betrieb anders: netter, ziviler, weniger ressentimenthaft. Die Gauck-Euphorie entspricht genau diesem Muster des bundesdeutschen Populismus.

Allerdings hat diese Art des Populismus etwas Flüchtiges und Unstetes. Warum die Grünen in Umfragen heute nur noch halb so viel Zuspruch haben wie vor einem Jahr, das ist schwer zu sagen. Mit den Grünen, die sich kaum verändert haben, hat es jedenfalls eher wenig zu tun.

Joachim Gauck sind Selbststilisierung und Selbstüberhöhung nicht ganz fremd. Aber auch er ahnt, dass wer so hoch gehoben wird, tief fallen kann. Deshalb fühlte er sich als Erstes nach seiner Kür genötigt zu erklären, dass er "kein Supermann ist". (Was wird das nächste Dementi? Dass er doch nicht über die Spree laufen kann?)

Wenn Joachim Gauck im Amt des Bundespräsidenten scheitern sollte, dann wird das kaum an der Häme seiner Kritiker liegen. Sondern eher an den Projektionen seiner Unterstützer.

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