Passionsmusik: Ostern im Planetarium

Ein spektakuläres Kulturereignis: die erste szenische Aufführung von Krzysztof Pendereckis berühmtestem Werk „Lukas-Passion“.

Jesus sieht nichts. Doch seine Leiden werden seit Jahrhunderten künstlerisch verarbeitet.

Hierzulande werden die Festivalitis und die damit einhergehende Eventisierung der Kunst gerne kritisiert. Und nicht zu Unrecht. Dass dieser Trend im hoch subventionierten, angeblich vom Kulturinfarkt bedrohten und mit potenten Sponsoren gesegneten Deutschland ausgerechnet von unseren polnischen Nachbarn überboten wird, ist überraschend.

In der alten Kulturstadt Krakau jedenfalls staunt man nicht schlecht, wenn man durch die restaurierte Pracht des alten Stadtkerns flaniert: Litfaßsäulen sind übersät mit Konzert- und Theaterplakaten, in der Philharmonie wird täglich konzertiert. Und das örtliche Veranstaltungsbüro ist ganzjährig besetzt, denn es organisiert mehr als 20 Festivals pro Jahr: Theater-, Film- und Musikfestivals aller Art. Gerade hat „Misteria Paschalia“ begonnen, ein edel besetztes Festival für Alte Musik, das traditionell in der Karwoche stattfindet.

Als Vorspann und gleichsam als Kontrapunkt zur barocken Feinkost war nun eine Sensation angekündigt: Die erste szenische Aufführung von Krzystof Pendereckis „Lukas-Passion“ in der Regie von Grzegorz Jarzyna und unter der musikalischen Leitung des Komponisten höchstselbst. Eben hat er für seine Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung den „Viadrina-Preis“ der Europa-Universität Frankfurt (Oder) erhalten.

In Polen ist Penderecki eine Institution, jeder Taxifahrer in Krakau weiß, wo er wohnt. Seine 1966 in Münster im Auftrag des WDR uraufgeführte „Lukas-Passion“ machte den damals 33-Jährigen auf Anhieb zu einem auch international anerkannten Komponisten. Das Werk schlug ein wie eine Bombe, trotz Zwölftontechnik, Geräuschmusik, Vierteltönigkeit, Clusterbildung und allen weiteren Avantgarde-Provokationen, die seinerzeit zu Gebote standen. Fortan hatte er auch in Polen künstlerisch freie Hand.

Rastlos unterwegs

Seine grobkörnige Klangsprache veränderte sich später, man sprach auch von einem ästhetischen Bruch, kritisch beurteilt von der Fachwelt. Pendereckis Popularität konnte das wenig anhaben, noch immer ist der 79-Jährige rastlos unterwegs, komponiert und dirigiert. Und es wird gemunkelt, er arbeite bereits an einer „Johannes-Passion“.

Die mit Spannung erwartete erste szenische Aufführung seines immer noch berühmtesten Werkes war daher auch politisch hoch aufgehängt, nämlich als Resümee des landesweiten Kulturprogramms anlässlich der polnischen EU-Präsidentschaft 2011.

Spektakulär ist die Adaption dieser hochdramatischen, im Kern aber doch kontemplativen Musik tatsächlich. Das Ergebnis ist allerdings ein weniger szenisches als eher visuelles Ereignis. Spektakulär ist vor allem der Ort der Aufführung: Die Alvernia-Studios liegen auf halber Strecke zwischen Krakau und Kattowitz und bieten den Anblick einer außerirdischen Siedlung. 13 riesige Halbkugeln wölben sich im Niemandsland empor, verbunden mit gläsernen Röhren. Ihr Innenleben ist gestylt wie das „Alien“-Raumschiff, in den beiden größten Kuppeln von den Ausmaßen eines Planetariums befinden sich zwei der größten Bluescreens von Europa, in den kleineren Ton- und Aufnahmestudios.

Regisseur Grzegorz Jarzyna nähert sich dem Projekt mit kommentierender Bescheidenheit. In der Mitte einer der Kuppeln ist das Orchester aufgebaut, die Solisten sitzen davor wie im Oratorium, das Publikum im Kreis darum auf sieben Tribünen, die auch die vier Chorgruppen fassen. Schwarz und weiß gemalte Balken liegen über den Mündern der Choristen, gelbe und grüne über denen der Solisten, einzig der Evangelist darf ohne Balken rezitieren. Oben in der Kuppelwölbung sind rundum Videoleinwände gespannt, auf denen überlebensgroß der Kopf des Christus-Sängers Thomas E. Bauer als Ikone erscheint, aber auch Live-Einblendungen aus dem Chor und dem Publikum.

Korrespondierender Strom

Dann sieht man aufgezeichnete Gehirnströme, deren Ausschläge mit den Eruptionen der Musik korrespondieren, dann wieder Hieroglyphen, aus denen eine Partitur entsteht, schließlich den Meister selbst, wie er die Zeichen zur Passionsmusik setzt. Das alles wird begleitet von einer ausgeklügelten Lichtregie und unterstützt von allen Finessen avancierter Tontechnik, die aus der trockenen Studioakustik eine Art Stockhausen’sche Raummusik formt. Penderecki hat die Passion für eine hallige Kirchenakustik konzipiert und immer wieder betont, sie gehöre nicht in den Konzertsaal.

Unter der Kuppel gewinnt das Werk ganz neue Transparenz und Dynamik – zumal Penderecki zügiger dirigiert und gegenüber der Uraufführung satte zehn Minuten Spielzeit einspart. Insgesamt eine Aufführung auf denkwürdigem Niveau.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.