Mobilität in Berlin: Durchs Leben strampeln

Seit fünf Jahren sammelt und repariert das Team von "Bike Aid Berlin" am Schwarzen Kanal Fahrräder und verschenkt sie an Flüchtlinge.

Räder machen mobil. Bild: dapd

Zwei Jungs, sieben und vier Jahre alt, hüpfen voller Vorfreude auf dem Pfad zwischen Linden, Efeu und Gebüsch am Wagenplatz „Schwarzer Kanal“. Hier, unter den Birken, in der Fahrradwerkstatt, wartet an diesem Sonntagnachmittag ein Schatz auf sie – mindestens 100 Fahrräder. Und jeder darf sich heute eins davon aussuchen. Ahmed und Ali schlängeln sich zwischen den Fahrradreihen durch und stöbern gierig nach dem besten Stück. Jeder Fund wird gefeiert: „Papa, schau doch mal!“, rufen sie immer wieder begeistert auf Arabisch und heben mit Ach und Krach ein riesiges Rad in die Luft. „Onkelchen“, rufen sie, „das ist doch für uns?!“

Dieser „Onkel“, der heute zweifelsohne der Held der beiden ist, heißt Mariusz. Er ist 28 und studiert Volkswirtschaftslehre mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung. Ehrenamtlich arbeitet er bei einer Beratungsstelle für Flüchtlinge. Seit fünf Jahren sammeln Mariusz und seine Mitstreiter alte Fahrräder, reparieren sie und verschenken sie an Flüchtlinge. Mit dem Aufbau der „Bike Aid Berlin“ fand er einen einfachen Weg, diesen Menschen zu helfen.

„Wir wollen Flüchtlinge in ihren prekären Lebenssituation unterstützen, indem wir ihnen durch ein Fahrrad ein Mindestmaß an Mobilität ermöglichen“, erklärt er. Das könne ihnen helfen, ihren Aktivitäten nachzugehen und Kontakte zu knüpfen. Für das Team von Bike Aid Berlin ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Residenzpflicht, mit der Flüchtlinge leben müssen, „institutioneller Rassismus“. Dem sei kaum etwas entgegenzusetzen, „aber wir erhoffen uns, durch das Projekt den Alltag der Flüchtlinge zu erleichtern“. Und tatsächlich wirkt das Treiben am Wagenplatz an diesem Nachmittag idyllisch. Trotz des schlechten Wetters basteln etwa 25 Leute gemeinsam im Garten, fummeln in Kisten voller Dynamos, Klingeln und Schrauben und freuen sich, wenn sich zum Schluss alles dreht und leuchtet. Die Hälfte sind freiwillige FahrradbastlerInnen. Die andere Hälfte hält den Blick gesenkt und redet nicht viel. Doch wer sie anspricht, hört lange, bewegte Geschichten.

Mitten in seiner Doktorarbeit für Philosophie habe er seine Heimat verlassen müssen, erzählt ein Syrer. „Wenn ich zurückkehre, dann …“ – mit dem Finger fährt er sich über den Hals, als trenne er sich die Kehle durch. Er hofft, in Berlin seine Arbeit zu Ende bringen zu können – auf Deutsch. Deshalb kämpft er sich durch die Sprachkurse. Heute repariert er ein Fahrrad für seinen Freund, er selbst habe schon eins bekommen. Das Projekt sei toll, sagt er, und bedankt sich immer wieder.

Der kleine Ahmed und seine Familie sind vor drei Monaten aus Palästina gekommen. Der Vater zeigt stolz Fotos von seinen anderen drei Kindern und entfaltet dazu einen ärztlichen Befund. Sein Mädchen habe einen Herzfehler, steht darauf. Sie wird in der Charité behandelt. Der Mann packt das Papier wieder ein und bastelt weiter. Jedes Mal, wenn Ahmed vorbeiflitzt, dreht er sich um und lacht.

Auch ein Elektriker aus Afghanistan werkelt am Schwarzen Kanal gern in Gesellschaft. „Keiner verlässt freiwillig seine Heimat“, sagt er. Man fliehe erst, wenn gar nichts mehr gehe. Er wartet als Asylbewerber darauf, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Acht Jahre habe er in Afghanistan als Elektriker gearbeitet, aber Zeugnisse könne er nicht vorlegen. Das mache es ihm schwer. Nicht mal eine Geburtsurkunde habe er. „Ich glaube, ich bin jetzt etwa 31 Jahre alt“, schätzt er. Am Schwarzen Kanal treffen sich Menschen mit gebrochenen Biografien. Für einige Stunden atmen sie hier kurz durch – und strampeln dann weiter.

Der Nachmittag am Schwarzen Kanal wird kälter. Ein Fahrrad nach dem anderen ist wieder fahrtüchtig. Die ersten Zigaretten werden gedreht, alle freuen sich über die getane Arbeit. Es gebe so viele Fahrräder in Berliner Innenhöfen, die keiner nutze, sagt Mariusz. Zehn davon haben sie heute gemeinsam für die Straße fit geschraubt. Das sei nur möglich gewesen, weil viele Helfer da waren, sagt der Projektgründer. Jeden Schrauber könnten sie hier gebrauchen, auch wenn er unerfahren sei.

Ali und Ahmed zappeln immer noch über das Gelände, ihre Nasen sind knallrot. „Onkelchen, ich will einen Korb haben“, wiederholt Ali pausenlos. Als einer vom Team aus einer Ecke einen zerknautschten Korb herauskramt, ist Alis Glück vollkommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.