Ist Beschneidung eine Körperverletzung?: Einschnitte in Fleisch und Frieden

Jurist Holm Putzke wirkt sehr zufrieden. Seine Expertise verunsichert Ärzte. Rabbiner sehen jüdisches Leben bedroht. Wieder einmal.

Ein kleiner Schnitt mit großer Wirkung. Bild: sto.E / photocase.com

BERLIN/BAMBERG taz | Manchmal schockt Holm Putzke seine Studenten. Dann legt er auf Parties gern den harten Dubstep-Sound von Skrillex auf. Schon der erste Eindruck von Putzke entspricht nicht dem Vorurteil, das man von einem Strafrechtsprofessor aus Bayern haben könnte: Ein Enddreißiger steht da am Flughafen Tegel, drahtig, eher klein, rote Sportschuhe, Umhängetasche, in Jeans und T-Shirt mit einer roten „28“ auf der Brust. Die Sätze aber, die Putzke spricht, sind juristisch haargenau, druckreif – und scharf wie ein Skalpell. Oder wie das Messer eines Mohel, eines jüdischen Beschneiders. Dies ist sein Thema, zu dem er jetzt zu einer Talkshow ins ARD-Hauptstadtstudio kutschiert wird: die Beschneidungen.

Putzkes ist wesentlich dafür verantwortlich, dass der Religionsfrieden in Deutschland derzeit schief hängt. Seine Aufsätze zur Beschneidung lieferten die Argumente für ein Urteil, das den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, empört ausrufen ließ: Juden würden in die Illegalität getrieben – und am Ende wäre „jüdisches Leben hier gar nicht mehr möglich“. Ausgerechnet in Deutschland.

Vor rund zwei Wochen hatte das Landgericht Köln die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Straftat bewertet. Das Gericht verwies unter anderem darauf, dass der Körper des Kindes durch die im Islam und im Judentum praktizierte Beschneidung „dauerhaft und irreparabel verändert“ werde. Putzke hat seit Jahren dafür gekämpft, dass sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, auch wenn er nie Kontakt hatte zu den Kölner Richtern, die dieses Urteil schließlich sprachen.

„später selber entscheiden“

“Der Vorwurf, dass nun ausgerechnet in Deutschland das jüdische Leben durch den Richterspruch behindert sein könnte, gibt mir absolut zu denken“, sagt er in einem Straßencafé an der Spree. „Aber natürlich ist es gleichwohl hier in Deutschland möglich, was man an allen Juden hierzulande sieht, die ihre Kinder später selber entscheiden lassen, ob sie sich beschneiden lassen wollen.“

Putzke hatte darum gebeten, nicht den viel schöner gelegenen Tisch am Wasser zu nehmen, da dort zu viele mithören könnten. Und wer zuhört, versteht warum. „In gewissen Grenzen“, sagt Putzke, sei er schon dafür, „im Strafrecht Rücksicht auf die deutsche Vergangenheit zu nehmen“, etwa bei der „Auschwitz-Lüge“. Aber bei Beschneidung? „Die Vergangenheit darf doch nicht in jedem einzelnen Punkt durchschlagen, schon gar nicht wenn es um die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit von Kindern geht.“

Im sächsischen Dohna ist Putzke aufgewachsen, sein Vater war nach der Wende dort Bürgermeister. Der Osten Deutschlands sei die am stärksten säkularisierte Region weltweit, haben Wissenschaftler aus Chicago im April festgestellt. Könnte es auch daran liegen, dass ihm, der mit 16 die Mauer fallen sah, am alten westdeutschen Miteinander von Staat und Religionsgemeinschaften weniger liegt? „Die christlich-jüdischen Wurzeln unserer Gesellschaft lassen sich nicht verleugnen. Die Frage ist aber, wie sie heute in einem säkularen Rechtsstaat zum Vorschein kommen“, sagt Putzke.

Putzke war eine Zeit lang der stellvertretende Bundesvorsitzender der Liberalen Hochschulgruppen (LHG). Die LHG forderten in den vergangenen Jahren unter anderem „die Abschaffung des Religionsunterrichts zugunsten eines Fachs ’Religionskunde‘“ und erklärten: „Wir müssen jedoch noch einen Schritt weiter auf eine säkulare Gesellschaft zugehen.“

Über 2.500 Mails

„Natürlich darf ein Richter bei einer Entscheidung auch berücksichtigen, ob er damit womöglich den religiösen Frieden im Land beschädigt“, sagt Putzke am Cafétisch. „Zuallererst aber muss er sich an die rechtlichen Grundlagen halten, sonst könnte jeder Richter ja das für Recht erklären, was er persönlich für richtig hält.“ Seit der Entscheidung des Kölner Gerichts habe er über 2.500 Mails bekommen. „Etwa 95 Prozent äußern sich positiv,“ sagt er und verabschiedet sich wenig später ins Studio.

Vor dem Jüdischen Krankenhaus Berlin tritt eine Frau mit Kopftuch aus der Klinik, hinter sich ihre deutsch-türkische Familie. Das Krankenhaus hat eine 250-jährige Tradition, es ist wie eine kleine grüne Insel im Straßenmeer von Berlin. Es gibt eine Synagoge dort, in der NS-Zeit war die Klinik Sammellager für die Transporte in die Vernichtungslager, aber auch Versteck für wenige Überlebende.

Als „lokales Versorgungskrankenhaus“ wird es gern von muslimischen Patienten türkischer Herkunft genutzt, die im Wedding wohnen.Von den rund 300 Beschneidungen im vergangenen Jahr in seinem Haus sei über ein Drittel religiös motiviert gewesen, erzählt Kristof Graf, Chefarzt für Innere Medizin. Die meisten Beschneidungen seien nicht an jüdischen, sondern an muslimischen Jungen vorgenommen worden.

„Große Unsicherheit“

Graf trägt ein kurzärmeliges OP-Hemd und weiße Hosen. Professor auch er, ausgezeichnet mit dem amerikanischen „Harry-Goldblatt-Award“ für Herzspezialisten, und er scheint ebenso aufzugehen in seinem Beruf wie Putzke. Doch seine Perspektive ist eine andere. Wegen des Kölner Urteils würden nun im Jüdischen Krankenhaus bis auf Weiteres keine religiös motivierten Beschneidungen mehr vorgenommen, sagt er. Man könne die Chirurgen nicht in einem nun quasi rechtsfreien Raum operieren lassen. Der Kölner Richterspruch erzeuge bei den Ärzten „große Unsicherheit“.

Graf ist 51 Jahre alt und hat in den USA das viel selbstverständlichere jüdische Leben kennen gelernt. Er findet es „komisch“, dass „ausgerechnet in Deutschland“ so ein Urteil gefällt wurde. Graf betont die gesellschaftlichen Folgen des Urteils: In den Konsequenzen sei es „eine Katastrophe“ und „erschreckend in seinen Dimensionen“.

Dies bekommt Antje Yael Deusel deutlich zu spüren. Die 52-Jährige ist seit 25 Jahren Urologin und seit einiger Zeit auch Rabbinerin in Bamberg – und „Mohelet“, also Beschneiderin nach uraltem jüdischen Ritus. Gerade hat sie ein Buch über die rituelle Beschneidung geschrieben. Sie sitzt in ihrem Zimmer neben der Synagoge, und dass sie in Franken verwurzelt ist, hört man schon an ihrem Dialekt. „Wie ein Schlag vor den Kopf“ habe sie das Kölner Urteil empfunden, sagt sie. Auch sie will jetzt erst einmal keine Beschneidungen vornehmen und empfehlen. „Den Eltern kann ich das nicht zumuten.“

Wenig Genitalhygiene

Natürlich verteidigt sie die Beschneidung, sowohl aus religiösen wie aus medizinischen Gründen. Mit der sanften Ironie einer Ärztin, die schon vieles gesehen hat, erzählt sie: „Zwei Drittel der Knaben halten wenig von Genitalhygiene und halten das auch im Erwachsenenalter bei.“ Mehrere denkwürdige Patientendialoge sind ihr in Erinnerung: „Hast du dich jemals da unten gewaschen?“ – „Ja! An den Füßen!“ Oder die Antwort eines alten Herren, dem sie dringend eine Beschneidung empfahl, weil sich die Vorhaut nach und nach verengt hatte: „Meinen Sie, ich will ausschauen wie die Juden?!“

Eine zentrale These von Deusels Buches ist, dass der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit der jüdischen Beschneidung ein Gradmesser für die Akzeptanz dieser Minderheit insgesamt sei. Wenn das stimmte, sähe es nicht gut aus für das jüdische Leben in Deutschland. Insofern pflichtet sie Graumanns düsterer Perspektive für das Judentum hierzulande bei. Mit dem Verbot der Beschneidung „ziehen Sie praktisch die Wurzel“ der jüdischen Gemeinschaft. Rabbinerin Deusel wirkt nicht wie eine, die überall Antisemitismus wittert – aber die Vorurteile gerade älterer Menschen gegenüber Juden seien wie Altöl, das ins Grundwasser gesickert sei und irgendwo wieder hoch komme, sagt sie.

In der schönen modernen Synagoge, die sie kurz zeigt, ist es fast unerträglich stickig. Das liegt daran, dass das zur Kühlung vorgesehene Wasser in den künstlichen Teichen unter dem Gotteshaus zu modern anfing. Deshalb mussten sie trockengelegt werden. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut. Es wirkt fast wie eine Parabel auf das Kölner Urteil.

Genügend Wasser in Europa

In der Talkshow macht Putzke keine schlechte Figur. Unter den vier Gästen ist er mit seiner Position meist allein. Das Argument, dass eine Beschneidung ihrem Ursprung nach in einer Wüstengegend hygienisch sinnvoll gewesen sei, wischt er mit dem Satz beiseite, dass es hier in Europa genügend Wasser gebe. Er spricht davon, dass Jungen durch die Beschneidung ein Körperteil verlören. Schon fast genervt wirft dann Putzke ein, dass die Befürworter einer Beschneidung ihre Argumentation schon stringent halten müssten und nicht zwischen juristischen und religiösen Argumenten munter wechseln dürften. „Wenn Sie mich einmal kurz den Satz zu Ende sprechen lassen. Ich lasse Sie auch ausreden“, entgegnet er dem jüdischen Publizisten Rafael Seligmann, noch gerade höflich. Seine Sätze sind schneidend, so sehr, dass sie an Kraft verlieren.

Nach der Sendung sitzen die Kontrahenten noch kurz beisammen. Putzke gibt sich wieder friedlich. Er plaudert, ihn reize übrigens auch das Thema Exorzismus, rein juristisch.

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