Afghanistan-Bericht unterdrückt: Menschenrechte in Kabul sind „Gedöns“

Ein kritischer Menschenrechtsbericht wird von der Regierung Karsai und dem Westen unterdrückt. Er passt nicht in die politische Landschaft. Jeder Zusatzkonflikt gefährdet nur den Abzug.

Vetternwirtschaft und mafiöse Familienstrukturen: Hamid Karsai, hier mit Angela Merkel im Berliner Bundeskanzleramt. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Regierungen Afghanistans und der USA wollen die Veröffentlichung eines brisanten Menschenrechtsberichts verhindern. Das Argument lautet: „Bloß das Boot nicht ins Schwanken bringen.“ Es bezieht sich auf die Regierung von Präsident Hamid Karsai, die der Westen nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 aus damaligen Reformern und Warlords zusammengezimmert hat.

Längst ist bekannt, dass diese Regierung durch Korruption, Vetternwirtschaft und mafiöse Strukturen in Richtung einer Familien-Präsidialdiktatur driftet.

Hinzu kommen ungesühnte Menschenrechtsverletzungen aus mehr als drei Jahrzehnten. Deshalb schlug auch gestern ein Bericht der New York Times hohe Wellen, in dem die bloße Existenz einer bisher unveröffentlichten sogenannten Kartierung dieser Verbrechen preisgegeben wird.

Die 800 Seiten lesen sich wie ein „Who’s who“ des afghanischen Establishments. Recherchiert und geschrieben haben den Bericht afghanische und ausländische Menschenrechtler im Auftrag der – von Präsident Karsai ernannten – Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC).

Für die Regierungen in Kabul und den Hauptstädten im Westen ist die Existenz des Berichts natürlich nicht neu. Das Projekt geht auf den „Aktionsplan für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung“ von 2005 zurück, zu dem Karsai von afghanischen und ausländischen Menschenrechtlern gedrängt wurde.

US-Botschaft gegen Veröffentlichung

Paradoxerweise haben einige Auftraggeber, mit dem Argument des vom Kentern bedrohten Bootes, bisher auch die Veröffentlichung des Berichts verhindert. Aus der US-Botschaft in Kabul hört man, eine jetzige Veröffentlichung wäre eine „schlechte Idee“.

Von 2003 bis 2005 liegt übrigens ein ähnlicher Bericht der AIHRC und der UNO vor. Daraus stammen wohl die Namen von afghanischen Regierungsmitgliedern in der New York Times, denen Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden, darunter die beiden Vizepräsidenten, Qasem Fahim und Karim Khalili.

Dieses Projekt kostete die damalige Hochkommissarin für Menschenrechte Louise Arbour später auf Betreiben Washingtons ihren Job.

"30 Kugeln ins Gesicht"

Besonders den afghanischen Mitarbeitern des neuen Berichts droht nun Gefahr. Laut New York Times hat Fahim einem der Verantwortlichen bereits mit „30 Kugeln ins Gesicht“ gedroht.

Es ist bezeichnend, dass in Afghanistan zehn Jahre nach dem mit Argumenten der Demokratisierung und Verteidigung von Frauenrechten begründeten internationalen Eingreifen die Verfasser von Menschenrechtsberichten mehr um ihre Unversehrtheit fürchten müssen als die Menschenrechtsverletzer.

Die Affäre zeigt aber auch, dass man die Sorge um Afghanistan nur so lange tragen will, wie unsere Soldaten drin sind. Das ist keine zynische Interpretation, sondern im Isaf-Hauptquartier in Kabul kursierendes Denken.

Man spricht vom „decent interval“, einem möglichst langen Zeitraum zwischen dem westlichen Ausstieg und dem für möglich gehaltenen Kentern des Bootes Afghanistan.

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