Kolumne Nebensachen aus Athen: Ein etwas anderer Kundenservice
Die griechische Schuldenlast ist eine Herkulesaufgabe, ein Jahrhundertprojekt. Das schlägt sich auch im kleinen nieder – bei einer Krankenkasse.
D a soll noch einer sagen, dass die griechische Kranken- und Rentenkasse IKA kein Verständnis hat für die Nöte und Wünsche ihrer Kunden. Ein Arbeitgeber, der mit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen hoffnungslos im Rückstand war, darf sich jetzt angeblich auf eine besonders kulante Betreuung freuen: Mit der ebenfalls überschuldeten Krankenkasse vereinbarte der mittellose Geschäftsmann laut übereinstimmenden Presseberichten, dass seine noch offenen Schulden in der Höhe von weit über 300.000 Euro in 4.700 Raten abbezahlt werden. Anders gesagt: Seine letzte Monatsrate in Höhe von 161,47 Euro wird am 31. April 2404 fällig. Danach darf sich der Gescholtene als freier Mann fühlen.
Bekannt wurde der Fall durch eine Anfrage des linken Abgeordneten Jorgos Kyritsis im griechischen Parlament. Kyritsis ist offenbar der Auffassung, der Deal sei durch persönliche Beziehungen oder politische Einflussnahme (oder beides) zustande gekommen und entspräche nicht den Grundsätzen ehrbarer Versicherungskaufleute. Laut Gesetz darf nur der Leiter der Krankenkasse einer derart großzügigen Schuldentilgung zustimmen.
Der für das Versicherungswesen zuständige Vizeminister für Arbeit und Soziales, Nikos Panagiotopoulos, erklärte im Parlament, er würde zwar eine präzise Aufklärung des Vorfalls anstreben, gab jedoch zu bedenken, dass er 2404 möglicherweise nicht mehr im Amt sein werde, um den Sachverhalt richtig darstellen zu können.
Jannis Papadimitriou ist taz-Korrespondent in Athen.
Das Orakel von Delphi ist ratlos
Die Krankenkasse selbst hat den Vorfall bestritten. Es handle sich lediglich um unbestätigte Informationen eines Sensationsjournalisten, erklärte ein Vertreter der Geschäftsleitung. Dennoch: Das Konzept der zeitlichen Streckung einer Schuldenrückzahlung könnte Schule machen im krisengeplagten Griechenland und wird offenbar bereits von notorischen Schuldenmachern praktiziert.
Wie der staatliche Wasserversorger EYDAP unlängst berichtete, haben bei ihm mehrere Städte und Gemeinden offene Rechnungen in Millionenhöhe. So stünde etwa die dank ihrer Ausgrabungsstätte weltberühmte Stadt Delphi mit knapp 30 Millionen in der Kreide. Ob und wann diese Schulden beglichen würden, könne nicht einmal das dortige Orakel voraussehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!