Anke Domscheit-Berg beim taz.lab: „Es geht anders“

Weiße, heterosexuelle Männer dominieren das Internet, sagt Anke Domscheit-Berg. Die Netzaktivistin für Geschlechterdemokratie fordert Veränderungen.

Anke Domscheit-Berg fordert Geschlechterdemokratie real wie digital Bild: dpa

taz.lab: Frau Domscheit-Berg, Sie sagen, weiße, heterosexuelle Männer dominieren das Internet. Worauf stützt sich diese These?

Anke Domscheit-Berg: Naja, man muss das stark differenzieren. Weltweit betrachtet sind Frauen im Social Web sehr präsent, was ich meine ist die Teilhabe an Meinungsbildung.

Können Sie das konkretisieren?

Eine von Wikipedia kommunizierte Statistik besagt, dass dort der Männeranteil bei etwa 85 Prozent liegt. Das Wissen der Welt, dass in dieser Wissensdatenbank gesammelt wird, enthält also viele Positionen von Frauen gar nicht. Ständig gibt es Diskussionen über die Relevanz von Artikeln zu Frauen oder weiblichen Themen bis hin zu Löschdiskussionen.

Entscheiden Frauen denn nichts mit?

Es gibt regelrechte „edit wars“, wo Männer, die offenbar mehr Zeit haben, solange ein Forum dominieren, bis sie die Diskussion beherrschen und immer wieder erreichen, dass Artikel nach ihrer Auslegung geändert werden. Lange gab es im Artikel zum Kindesmissbrauch geradezu päderastische Rechtfertigungen. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall, aber analoge Geschichten gibt es immer wieder, gerade beim Artikel zu Genitalverstümmelung von Frauen ist das noch aktuell.

Geboren 1968 in Premnitz, studierte internationale Betriebswirtschaft, arbeitete anschließend als Unternehmensberaterin für Kinsey und Microsoft, bis sie sich 2011 als Unternehmerin von fempower.me und opengov.me selbständig machte. Sie lebt mit Mann und Sohn in Brandenburg.

Engagiert sich netzpolitisch und lobbyistisch mit verschiedenen Initiativen für bessere Chancen weiblicher Führungskräfte sowie mit Open Government (Öffnung und Transparenz von Regierung und Verwaltung). 2009 zuletzt Gast beim taz.lab (30. taz-Geburtstag).

Kandidiert 2013 als Mitglied der Piratenpartei für ein Mandat im nächsten Bundestag.

Frauen werden verdrängt?

Ob Verdrängung das richtige Wort ist, weiß ich nicht. Frauen werden oft schon in der Diskussion nicht gleichwertig zugelassen. Im Internet wird die Gesellschaft eins zu eins repliziert, Männer schreiben die Leitartikel, die meisten Chefredakteure sind Männer. Dabei gäbe gerade das Netz die Möglichkeit, das anders zu machen. Stattdessen wird alles schlimmer, weil man nicht nur den offiziellen Posten nicht bekommt, sondern noch eins unter die Gürtellinie. Das beschränkt Frauen in ihrer Meinungsfreiheit.

Wie ...?

...wenn irgendwo dass Wort Feminismus fällt, kommen auf das Geschlecht abzielende beleidigende Kommentare. Diese Erfahrung machen viele Frauen, auch ich. Egal, ob es ein Quotenartikel ist, wo sich die Maskulinisten ausleben oder auf netzpolitik.org. Bei einer Umfrage dort wurde festgestellt, dass nur 8 Prozent ihrer Leser weiblich sind. Als sie fragten, wie das zu ändern sei, gab es viele negative Reaktionen im Sinne von: “jetzt soll es also oberflächlich, langweilig und seicht werden, damit es ein paar mehr Weiber interessiert“. Im Prinzip wird man damit als Frau für blöd erklärt.

Man könnte das auch auszuhalten lernen...

...das ist eine absolut unzulässige Forderung. Ich weiß nicht wie viele Männer regelmäßig nach einer Meinungsäußerung gesagt bekommen “dein Schwanz ist zu klein, dich müsste einer mal ordentlich von hinten vergewaltigen“. Ein Zeit-Redakteur hat mir mal erzählt, dass 92 Prozent aller widerlichen Feedbacks von Männern stammen. Warum sollen das Frauen aushalten müssen? Nicht die Frauen müssen einen anderen Umgang mit dem Problem lernen, das Problem muss verschwinden!

Wie wollen Sie gegensteuern?

Ich glaube in manchen Bereichen muss man stärker moderieren.

Freiheit hat also Grenzen?

Ich bin kein Freundin von Zensur, aber wenn ein Nichtmoderieren dazu führt, dass Menschen aus Furcht vor Konsequenzen ihre Meinungen nicht äußern, ist das auch eine Form von Zensur. Ich appelliere besonders an Männer, klare Position zu beziehen, wenn sie auf sexistische Kommentare von Geschlechtsgenossen stoßen. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs, eine echte Debatte.

Wie zum Beispiel?

Total spannend finde ich die Aktion #Aufschrei auf Twitter. Ausgehend von einem einzigen Artikel berichten Tausende Frauen über ihre Erfahrungen von Alltagssexismus. Über die Veröffentlichungen von Julia Schramm waren auch Frauen erschrocken, sie ahnten nicht welches Ausmaß die Kommentare haben, da nur jene, die sich mit ihrer Meinung exponieren, diese Erfahrungen machen. Ohne diese breiten Debatten wird es keine gesellschaftliche Veränderung und Kulturwandel geben.

Gibt es hierfür nützliche Projekte?

Es gibt hatr.org, wo sexistische Kommentare veröffentlicht werden.

Reicht das, sich aufs Internet zu beschränken?

Ja, weil es ums Internet geht. Ich würde mir wünschen, dass sexistische und menschenverachtende Kommentare auch von Medienwebsites mit dem Hinweis gelöscht werden, dass diese an hatr.org geschickt wurden.

Sie sind für Sanktionen?

Das ist ja keine Sanktion, naja irgendwie schon. Sexisten finden es schon schlimm, wenn ihre Kommentare nicht veröffentlicht werden. Einzelne Frauenblogs sind schon Partner von hatr.org. Was spricht denn dagegen, dass große Medien und Blogs mitmachen? Wie eine große Müllhalde des Internets für alles was sexistisch und menschenfeindlich ist. Man muss das Problem sichtbar machen, ohne die Frauen dabei zu verletzten.

Frauen also vor Demütigungen schützen?

Ja, das macht den Charme von hatr.org aus. Es zeigt das Problem in seinem Ausmaß, macht die Angreifer lächerlich und schützt die Frauen als Betroffene, die mit der Beleidigung nicht mehr in eine persönliche Beziehung gesetzt werden.

Was ist mit anderen Minderheiten?

Ich möchte eine Diskriminierung nicht gegen eine andere aufrechnen, davon abgesehen sind Frauen die Mehrheit. Natürlich ist meine Sensibilisierung als Frau eine andere, als ich sie hätte, wenn ich etwa ein Mann mit einer nicht-weißen Hautfarbe wäre. Man sollte nicht außer Acht lassen, dass sich Probleme potenzieren können, aber man sollte trotzdem jedes Problem auch gesondert betrachten. Es gibt ja auch Hunger auf der Welt - und in Relation dazu dürfte man auch nicht mehr über Sexismus sprechen.

Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde am 8. Februar um einige verlängerte Antworten von Frau Domscheit-Berg aktualisiert.

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