EU trainiert somalische Armee: Häuserkampf im Busch

„Vormachen ist wichtiger als lange erklären“, sagt Andreas Dell. Der Bundeswehroffizier bildet in Uganda somalische Rekruten aus.

Somalische Rekruten in Bihanga. Bild: Reuters

BIHANGA taz | Der Geländewagen von Oberstleutnant Nikolas Kleffel holpert durch tiefe Löcher einer ungeteerten Straße. Über vier Stunden ist der Bundeswehroffizier von Ugandas Hauptstadt Kampala zum Militärtrainingslager Bihanga unterwegs, um seine Kameraden zu besuchen. Die Räder graben sich durch tiefe Pfützen.

Plötzlich springen bewaffnete Soldaten in Uniform aus dem Gebüsch. „Stop!“, rufen sie und zielen mit einer Kalaschnikow auf das Auto. Der Wagen macht eine Vollbremsung, Oberstleutnant Kleffel wendet sich an seinen ugandischen Fahrer. „Das ist Teil der Übung“, sagt er und kramt seinen Militärausweis hervor.

Die Soldaten sind keine Ugander, es sind junge, schlanke und großgewachsene Männer aus Somalia. Sie kommen näher, prüfen den Ausweis. Der Funker fragt in einer unverständlichen Sprache per Walkie-Talkie nach Anweisungen. Als diese eintreffen, winkt er KleffelsWagen durch die Straßensperre. Der Bundeswehroffizier guckt zufrieden und sagt: „Wir trainieren derzeit, wie man Straßenblockaden und Checkpoints errichtet.“ Dann biegt der Geländewagen in das Trainingslager ein.

EUTM Somalia: Seit 2010 trainieren europäische Offiziere in Uganda Soldaten aus Somalia für die dort im Aufbau begriffene Regierungsarmee. An der EU-Mission EUTM Somalia, die jährlich 3,4 Millionen Euro kostet, nehmen zwölf Nationen teil. Die Bundeswehr hat zwölf Offiziere abgestellt, sie lehren das Fernmeldewesen. Derzeitiger Kommandeur ist Brigadegeneral Gerald Aherne aus Irland. Knapp 1.000 junge Somalier erhalten so pro Jahr eine Grundausbildung - einige von ihnen eine Offiziersschulung. Die Mission wurde im Januar 2013 um weitere zwei Jahre verlängert, 2014 soll das Training nach Somalia verlegt werden.

EUTM Mali: Nach dem Somalia-Vorbild plant die EU eine Militärausbildungsmission in Mali zum Aufbau der Regierungsarmee unter Leitung des französischen Generals Francois Lecointre. Deutschland plant die Entsendung von 40 Soldaten. EUTM Mali wird erst nach noch ausstehenden EU-Beschlüssen starten; Frankreichs Militärintervention hat die Ausgangslage verändert. Darüber wurde gestern auf einer Mali-Konferenz der EU in Brüssel diskutiert.

Bihanga ist ein weitläufiges Gelände zwischen grünen saftigen Hügeln, wo Kühe grasen, mitten im Herzen Ugandas. In Reih und Glied stehen große Baracken für die auszubildenden ugandischen und somalischen Rekruten, daneben Verwaltungs- und Lehrgebäude. Dahinter liegen Dutzende runde Lehmhütten mit Strohdächern, vor denen Frauen auf Holzkohleöfen Reis und Bohnen kochen und die Kinder der stationierten Offiziere herumtollen.

Auf der Spitze des Hügels recken sich auf dem großen Paradeplatz die Fahnenmasten gen Himmel. Am Tag der deutschen Einheit sollen hier Somalier und Ugander zu wilden Rhythmen getanzt haben. Nikolas Kleffel zeigt auf einige neue Gebäude mit blauem Wellblechdach: „Dort sind die europäischen Ausbilder untergebracht.“

Training als Modell für Mali

Seit über zwei Jahren trainieren europäische Offiziere in Ugandas Militärtrainingslager Bihanga somalische Soldaten. Das langfristige Ziel: Somalias marode Armee für die Verteidigung ihres vom Bürgerkrieg zerschundenen Landes fit zu machen. Über tausend somalische Rekruten durchlaufen jährlich das Trainingscamp.

Dass das Training in Uganda stattfindet, ergibt Sinn. Uganda stellt neben Burundi den Großteil der Friedenstruppen in Somalia. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg hatte die Al-Shaabab-Miliz, die unter anderem vom Terrornetzwerk al-Qaida unterstützt wird, das Land besetzt. Die Afrikanische Union beschloss deshalb 2007, eine 17.000 Mann starke Friedensmission nach Somalia zu entsenden, finanziert von der EU, der UNO und den USA. Im Jahr 2012 ist es ihr gelungen, die Hauptstadt zu befreien und die al-Shaabab in andere Landesteile zurückzudrängen.

Doch langfristig benötigt Somalia eine Armee, die ihr Land selbst verteidigen kann. Sie muss, ähnlich wie in Mali und Afghanistan, von Grund auf aufgebaut werden. Das Training in Uganda gilt als Modell für weitere Ausbildungsprogramme, auch für Mali. Da Somalia bislang nicht sicher genug war, um ein solches Trainingsprogramm durchzuführen, hatte die EU entschieden, das Training in Uganda stattfinden zu lassen, immerhin wissen die Ugander am besten, welche Fähigkeiten die Rekruten im Kampf gegen die Islamisten brauchen. Diese Fähigkeiten sollen die Europäer vermitteln.

Mittlerweile haben sich die europäischen Ausbilder in Ugandas Hinterland eingerichtet: Die provisorischen Zelte sind gemauerten Gebäuden mit Klimaanlage gewichen. In den Waschräumen gibt es Duschen mit warmem Wasser. In der Kantine übertragen große Flachbildschirme die Weltnachrichten. Es gibt Kartoffelsalat, Nudeln mit Tomatensoße und geriebenem Käse, zum Nachtisch Vanillekuchen mit Schokocreme. Irgendwie scheint Bihanga ganz weit weg von der somalischen Realität – zur Freude der Europäer: „Die Unterbringung hier ist das Beste, was man sich auf einer solchen Mission vorstellen kann“, sagt Kleffel und begrüßt seine deutschen Kameraden per Handschlag.

Hauptmann Andreas Dell ist der stellvertretene Ausbildungsleiter der Mission. Der große Luftwaffenoffizier mit Brille und Bart guckt freundlich unter einem Safarihut hervor und schreitet mit langen Schritten auf den Konferenzsaal zu. Klimaanlage und Projektor surren, während Dell sich durch seine Power-Point-Präsentation klickt und im militärischen Stakkato die Mission erklärt: „Die Ugander trainieren die somalischen Mannschaftsdienstgrade, die Europäer die somalischen Offiziere, und am Ende führen wir sie dann zusammen.“ Und wie funktioniert das? Dell nickt, es ist nicht seine erste Mission in Afrika. „Vormachen ist wichtiger als lange Erklärungen und Briefings“, sagt er und steht auf, um das Training zu begutachten.

Mit Maschinengewehr im Anschlag

Auf einem Hügel gegenüber haben sich knapp ein Dutzend somalische Soldaten im Gebüsch versteckt, die Maschinengewehre im Anschlag. Ein Seil ist zwischen zwei Baumstämmen eines schmalen Pfades gespannt. Als sich ein Fahrzeug nähert, tritt ein Rekrut aus dem Busch hervor und schreit: „Stop!“ In gebrochenem Englisch und mit Gesten macht er den Passagieren klar, dass sie aussteigen sollen. Mit vorgehaltener Waffe werden die drei Männer in Zivil untersucht. Unter ihnen ist auch ein Ausbilder der Bundeswehr, der im Rollenspiel einen Terroristen mimt. Der Bundeswehrsoldat stänkert lautstark, will sich nicht in die Taschen greifen lassen. Er lächelt verschmitzt, als der somalische Rekrut die Waffe auf ihn richtet.

„Das machen die Jungs schon ganz gut“, kommentiert Dell zufrieden, „wenn man bedenkt, wie das vor vier Monaten abgelaufen ist.“ Doch noch haben die Somalier den Test nicht bestanden. In dem Wagen ist eine Bombenattrappe versteckt. Die Soldaten durchsuchen das Auto, lösen die Türverkleidung, räumen Kisten im Kofferraum beiseite. Sie stoßen auf verdächtige Kabel. „Go, go, go!“, brüllt der Zugführer, die Soldaten gehen auf Sicherheitsabstand.

Mohammed Bareij stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Der junge Somalier schwitzt vor Aufregung, aber er lächelt und findet: „Das Training macht großen Spaß.“ Der 23-Jährige ist als Halbwaise auf den Straßen von Mogadischu aufgewachsen, nachdem sein Vater – auch Soldat – im Krieg gefallen und seine Mutter mit den Geschwistern nach Kenia geflohen war. „Es gibt keine Jobs in Mogadischu. Ich bin sehr glücklich, Soldat zu sein“, sagt er weiter in gebrochenem Englisch. „Ich will mein Vaterland von der al-Qaida befreien.“

Bei Sonnenuntergang marschieren die somalischen Rekruten im Gleichschritt auf dem Paradeplatz ein. Ein schwedischer Ausbilder hält eine Ansprache, auf Englisch: „Soldaten, ihr habt heute wirklich sehr gute Arbeit geleistet“, brüllt er. Ein Übersetzer wiederholt den Satz auf Somali. „Ja, Sir“, antworten die Rekruten im Einklang, auch Bareij steht kerzengerade in Reih und Glied, immer noch Schweißperlen auf der Stirn. Auf Befehl marschiert die Truppe ab.

Funktioniert alles immer so reibungslos? „Wir hatten Fälle“, gesteht Hauptmann Dell später, „da wollte ein einfacher Soldat keine Befehle von seinem Offizier entgegennehmen, weil dieser in der Clanhierarchie unter ihm stand.“ Doch die Integration innerhalb der Somalier entwickele sich, „das kann ich mit Sicherheit sagen“. Dann sagt er noch: „Klar, wir haben als Ausbilder auch eine Vorbildfunktion.“

Mit Rotwein und Bier

Denn auch im europäischen Ausbildungslager müssen die Offiziere aus zwölf Nationen sich erst mal zusammenraufen. Die offizielle Kommunikationssprache ist Englisch, trotzdem hört man in der Kantine ein internationales Sprachengemisch. Mit Rotwein stoßen die Franzosen zum Abendessen auf den Geburtstag eines Kameraden an. Ein Foto vom Brandenburger Tor markiert den Deutschentisch, an dem vornehmlich Bier getrunken wird.

Oberstleutnant Kleffel erzählt von der lauten Musik, dem Gestank und all den Abgasen in Ugandas Hauptstadt. In der Abgeschiedenheit Bihangas, wo man nur Frösche quaken und Grillen zirpen hört, klingen Kleffels Anekdoten wie von einem anderen Planeten.

Und auch die Wirklichkeit Somalias scheint sehr weit weg – zumindest die meiste Zeit. Am nächsten Vormittag hallen Schüsse über die Hügel. Hauptmann Dell steht auf einem Häuserdach und hält Ausschau nach den Angreifern. Oberstleutnant Kleffel steht neben ihm. Ein schachbrettartiger Straßenzug von rund ein Dutzend Gemäuern simuliert jenseits des Paradeplatzes eine Stadt. „Freiheitsstraße“ steht auf einem Straßenschild auf Portugiesisch. Portugiesische Offiziere, die hier den Somaliern die Hinterhältigkeit des Häuserkampfes vor Augen führen wollen, haben die Hauptstraße von Lissabon inszeniert. In nur wenigen Minuten haben die Rekruten die Straßenzüge erobert.

„Du bist tot, leg dich hin“, brüllt ein portugiesischer Offizier einen Somalier an, der sich noch immer mit seiner Waffe an die Häuserwand drückt. Dieser fasst sich theatralisch an die Brust und lässt sich in den Staub fallen. Oberst Mohammed Hassan schmunzelt entzückt. Der alte Mann mit dem grauen Schnurrbart ist der ranghöchste somalische Offizier hier, er diente bereits vor dem Bürgerkrieg in Somalias Armee.

Bald ist er auch wieder Oberst einer Armee, die man als solche bezeichnen kann: „Dann kann ich mit meinen eigenen Einheiten in Somalia Operationen durchführen, und wir brauchen die Ugander nicht mehr“, sagt er stolz. Jetzt sei das Land befreit. „Bald können wir die Ausbildung auch in Somalia durchführen“, sagt Hassan und nickt zur Bestärkung glücklich.

Seine europäischen Kollegen freuen sich weniger darauf. Statt mit Malariamücken hätten sie in Mogadischu mit viel gravierenderen Sicherheitsproblemen zu kämpfen.

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