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Berliner SzenenWie es riecht

Berlin ist wild und gefährlich. Unsere AutorInnen sind mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente erzählen sie hier.

Hier!“, rief sie, „und hier!“ Dabei hüpfte sie auf der Straße von einer Stelle zur anderen. „Hier auch, total! Komm schnell hier her!“ Er kam, aber nicht schnell. Eher so Schritt für Schritt.

„Guck, guck, guck“, sagte sie sehr aufgeregt. Er schnüffelte in die Luft. „Es riecht nach Frühling, ne? Ganz heftig“, sagte sie. „Ich rieche nichts“, sagte er, „gar nichts.“ Sie gingen weiter. „Hier auch!“, rief sie und blieb stehen und zog ihn zu sich heran. „Guck, wie es hier riecht!“ Er sagte, man könne nicht gucken, wie etwas riecht. „Jetzt ist es weg“, sagte sie. „Du hast es weggeschnüffelt“, antwortete er.

Und dann liefen sie weiter, in dieser Straße in Mitte, wo es nur schwer war, den Frühling zu riechen, weil es fast keine Bäume gab, aber dafür gab es Pfützen, und es nieselte immer noch ein bisschen, und sie freute sich, weil es kein Winternieseln mehr war, sondern Frühlingsnieseln. „Frühlingsnieseln!“, rief sie.

„So schön, oder? Wenn man ganz nah am Asphalt schnuppern würde“, sagte sie, „dann würde er bestimmt auch schon nach Frühling riechen.“ Müssen wir jetzt nicht machen, sagte er. „Aber könnte man!“, sagte sie.

Kurz blieb sie stehen und dachte dann, dass sie sich hier in der Gegend besser nicht auf den Boden legte, um an der Straße zu riechen, weil hier überall Kolleginnen und Kollegen sein konnten, oder noch schlimmer, irgendwelche komischen Leute von früher. Und die würden dann denken, jetzt ist sie endgültig bekloppt geworden, jetzt, im Frühling, dreht sie ab. Aber sie drehte nicht ab, oder jedenfalls nur ein bisschen, denn sie wusste, dass jetzt der Winter vorbei war, bald ihr Geburtstag kam, die Sonne und das alles.

Und so liefen sie weiter, und als sie schon in Kreuzberg waren und an einem Friedhof vorbeikamen, rief sie wieder: „Hier auch!“, und er sagte: „Ja, jetzt rieche ich es auch.“

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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