200. Geburtstag des Komponisten: Hör ich Wagner, denk ich Blutwurst

Am Mittwoch jährt sich der Geburtstag Richard Wagners zum 200. Mal. Eine Betrachtung zwischen Nazi-Kult und Bügeleisen.

Intellektueller Wetzstein: Richard Wagner. Bild: dpa

Erinnert sich noch jemand an Schröder? Ringelhemd, Kinderklavier? Ambitioniert in einer an Kunst wenig interessierten Umgebung trug er oft ein Schild mit sich als einsame Einmanndemonstration seiner Hochkulturleidenschaft: „Nur noch 8 Tage bis zu Beethovens Geburtstag!“

Schröder, eine gezeichnete Figur aus den Peanuts, kommt mir dieses Jahr oft in den Sinn, wenn schon wieder ein Wagner-Event beworben wird, in Opern- und Schauspielhäusern, in Kunsthäusern und Kulturkanälen. Der heutige 200. Geburtstag von Richard Wagner, das spült eine Flut von Ankündigungen in die Mail. Nur so ein kleiner Schröder, der ist nicht dabei. Kein Wunder, solch liebenswerte Skurrilität passt eben schlecht zu dem ganz großen Aufriss. Und den erwartet man bei Wagner immer.

Meine liebsten Wagner-Events liegen ein paar Jahre zurück, sie waren dem Verfall und dem Rausch gewidmet. Nicht um eine Opernaufführung als geschlossenes Werk ging es beide Male, sondern um die Interaktion zwischen Wagner und Gegenwart. 1999 luden drei bildende Künstler, Christian Boltanski, Ilya Kabakov und Jean Kalman, in eine Wagnerlandschaft ein, die sie in einem ehemaligen Sanatorium kurz vor Berlin, in Beelitz-Heilstätten eingerichtet hatten.

Die alten Jugendstil-Pavillons standen zu der Zeit schon ein paar Jahre leer, zuvor waren sie lange von der Roten Armee als größtes sowjetisches Krankenhaus außerhalb von Russland genutzt worden. Die Farbschichten blätterten von den Wänden.

Unter der Kuppel des alten Badehauses

Schon durch diesen Ort wurde Wagners Musik, vornehmlich aus dem „Ring“, zu einem Abgesang auf das Ende des Kalten Krieges. Unter der Kuppel des alten Badehauses verdunstete die Rheingold-Ouvertüre in feuchtem Dampf; die Götterdämmerung dröhnte über den unterirdischen Gruben der demontierten Heizkessel. Pensionierte Sänger sangen Wagners komplizierte Musik, selten wird dem Laien die Anstrengung des Gesangs so bewusst.

Zwischen den Häusern war das Gelände überwuchert, durch die Fenster kam der Wagnerklang mal laut, mal leise. Und es schien, als ob die Musik, die sich in Loops wiederholte, vorgeführt wurde wie ein veraltetes Instrument der Repräsentation, wie eine Spielzeugeisenbahn, die immer neu aufgezogen und im Kreis herum geschickt wird.

Nicht zuletzt lag in der Wahl des Ortes ein Kommentar auf die Wagner-Rezeption, den Wagner-Kult in der Zeit des Nationalsozialismus. Und der griff mit größerer Sensibilität als etwa eine auf Schock setzende Inszenierung wie der „Tannhäuser“ von Burkhard C. Kosminski, der in der Rheinoper Düsseldorf Anfang Mai wieder abgesetzt wurde. Der Komponist, mit dessen Musik die Nazis ihre Visionen von Großdeutschland befeuert hatten, taugte eben, wenn auch demontiert, zur Trauer über das von ihnen verursachte Unheil.

Der andere Wagner-Diskurs, den ich als anregend erinnere, lief im Berliner Hebbeltheater. Sebastian Baumgarten, Theater- und Opernregisseur, arrangierte 2006 eine mehrtägige „Wagner-Hörschule“, eine Mischung aus Gelage, Konzert und Symposium. Man aß von Wagners Speisekarte „Himmel un Ääd“ (gebratene Blutwurst mit Kartoffelpüree und Apfelmus), zufällig auch ein Lieblingsessen meiner Kindheit.

Zweite Karriere als Filmmusiker

Ob ich den Abend, in dem unentwegt filmische Schnipsel, Gesangsdarbietungen, Lesungen auf einen einprasselten, deshalb als so positiv in Erinnerung habe? Der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler hielt einen Vortrag über Wagners Vorwegnahmen von Elementen, die in neueren Medien relevant wurden und die Künstler von „Rechenzentrum“ verknüpften Filmzitate von Fritz Lang über „Star Wars“ bis zum „Herrn der Ringe“ mit Wagner-Sound und Elektronik. Denn die Modernität von Wagners Musik zeigt sich nicht zuletzt in seiner zweiten Karriere als Filmmusiker.

Warum sind mir nun gerade diese Kunstprojekte als aufschlussreicher in Erinnerung denn die Operninszenierungen, die ich besucht habe? Weil ich mehr von bildender Kunst und Film verstehe als von Musik? Das ist sicher ein Grund. Aber auch, weil sie mit Wagners Größe spielten, ihn im Verhältnis zur Geschichte und zur Gegenwart, zur Kunst und zu neuen Medien verschieden große Dimensionen gaben. Das braucht man als Schutz vor seinem Apparat der Überwältigung, vor der Monumentalisierung von Werk und Person. Man bekommt schnell zu viel von ihm, besonders in diesem Jahr.

Wagners Musik ist nicht einfach Musik, sondern auch Institution. Dafür hat Richard Wagner selbst gesorgt durch den Bau des Festspielhauses in Bayreuth und die Initiierung der Festspiele, noch bis heute geleitet von seinen Nachkommen. Kein anderer Komponist hat solch einen seiner Aufführung und Rezeption vorbehaltenen Ort. Das funktioniert nur, weil der Staat, das Land Bayern und ein Freundeskreis bis heute an dieser Konstruktion festhalten. Natürlich spielen auch andere Opernhäuser Wagner, aber dieser Ort ist nur ihm vorbehalten.

So besonders macht diesen Ort auch das Schaulaufen der Politiker bei den Festspielen; deshalb ist die Wagner-Rezeption solch eine Bühne der Repräsentation. Meine Vermutung ist ja, dass die Politikerdichte dort weniger einer vermeintlich großer Leidenschaft für Wagner geschuldet ist als vielmehr ein kalendarischer Coup. Denn die Festspiele fallen sowohl in die Sommerpause der Theater und Opernhäuser als auch in die Sommerpause der politischen Institutionen.

Größenwahn

Die Nachlasspflege in die Hände des eigenen Blutes zu legen war ein Gedanke, der nicht nur gut zu Wagners eigenem Größenwahn passte, sondern auch in die nationalsozialistische Rassenlehre. Nicht zuletzt das ist etwas obskur in der Konstruktion der Festspiele. Sie verrät ja dadurch irgendwie auch die Angst, andere Künstler könnten sein Werk verhunzen. Diesem Gedanken allerdings, dass es bei Bayreuth auch darum geht, Wagner bloß auf seinem selbst errichteten Sockel stehen zu lassen, versucht die Leitung der Festspiele durch die Wahl der Regisseure entgegenzutreten.

Hat doch schon Wolfgang Wagner, der die Festspiele über fünfzig Jahre lang führte, und darin folgen ihm seine Töchter Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, Künstler eingeladen, die in dem Ruf der Eigenmächtigkeit stehen, wie Hans Neuenfels, Frank Castorf (der dieses Jahr den „Ring“ inszeniert) und Jonathan Meese, der 2016 ranmuss. Da werkeln sie dann als Gegengift im repräsentativen Rahmen.

Manchmal wünsche ich mir, die Theater-, Film- und Opernregisseure wären nicht so interessiert daran, ihre Kräfte an Wagner zu messen: zu versuchen, trotz des Gebundenseins an Libretto und Partitur, trotz des Korsetts von knappen Probenzeiten eine kritische Interpretation hinzukriegen. In der Akademie der Künste in Berlin dokumentierten Anfang des Jahres eine Reihe von Interviews, wie viele geschätzte Regisseure um ihren Wagner gekämpft haben, wie sie ihr Thema in ihm wiederfanden – als wäre er der große Wetzstein, an dem sie Klingen ihrer künstlerischen Intelligenz schärften.

Schon wieder ein verflucht monumentales Bild. Nach drei Stunden hatte ich einen kleinen Teil davon gesehen und gehört und ging erschöpft nach Hause. Und dort? Dort höre ich Wagner manchmal beim Bügeln. Aber ich bügle sehr selten.

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