Schokoladen: Dolce Vita in Mitte
Seit seiner Rettung kann das Kulturprojekt Schokoladen in Berlin-Mitte erstmals langfristig planen. 1,8 Millionen Euro sind für Sanierungen notwendig. Jetzt soll aber erst mal gefeiert werden.
Es war schon mal einfacher, die Sprecher des Schokoladens in Mitte zu erreichen: Anja Gerlich und Chris Keller, deren Nummern stets griffbereit in der taz-Redaktion lagen, konnten beinahe zu jeder Tages- und Nachtzeit Auskunft geben, wie es um das alternative Haus- und Kulturprojekt in der Ackerstraße stand: Wieder Stress mit dem Hauseigentümer? Irgendwelche Räumungsfristen? Neue Verhandlungen mit dem Bezirk?
Ruft man die beiden Nummern jetzt an, passiert erst mal: nichts. Handy aus. Dann eine sehr entspannte Anja Gerlich, die mit Meeresrauschen im Hintergrund verspricht: „Rechtzeitig zum Hoffest sind wir alle wieder aus dem Urlaub zurück. Und dann feiern wir uns selbst: Die Zukunft, die Vergangenheit – es wird ein riesengroßes Juchu!“
Dass dieses 23. Hoffest des Schokoladens an diesem Wochenende zum „Juchu“ gerät, liegt an dem unverhofften Happy End, das die Geschichte des Hauses im vergangenen Jahr genommen hatte – fünf Tage vor der drohenden Räumung. Nach 18-jährigem Streit zwischen den rund 20 Bewohnern, die unter anderem eine Konzertbühne und ein Theater in der Ackerstraße Nr. 169/170 betreiben, und dem Trierer Fliesenhändler Markus Friedrich, der das Haus 1993 gekauft hatte, sorgte der Bezirk Mitte per Grundstückstausch für Frieden: Die gemeinnützige Schweizer Edith-Maryon-Stiftung, die zuvor schon unter anderem das Ex-Rotaprint im Wedding gerettet hatte, erwarb das Haus. Der Verein Schokoladen erhielt es von ihr in Erbpacht – mit der Auflage, die Kulturarbeit zu mäßigen Eintrittspreisen fortzusetzen. Im Gegenzug bekam Friedrich den Zuschlag für ein benachbartes Grundstück, das in Landesbesitz war. Dort, an der Ecke Elisabethkirchstraße, baut Friedrich nächstes Jahr ein fünfstöckiges Wohn- und Geschäftshaus, in direkter Nachbarschaft zur Modemacherin Jette Joop und dem Architektenbüro Graft, die vom Senat eine Fläche zugesprochen bekamen.
Das Projekt:
1990 besetzten Künstler die ehemalige Schokoladenfabrik an der Ackerstraße. Vorne zog eine Kneipe ein, hinten ein Theater, in den oberen Stockwerken wurde gewohnt. Durch Konzerte und Lesebühnenabende erspielte man sich eine treue Fangemeinde.
Der Überlebenskampf:
1993 erwarb der Trierer Fliesenhändler Markus Friedrich das Haus Nummer 169/170 und versuchte, die Räumung des Schokoladens durchzusetzen. Dagegen protestierte nicht nur die linke Szene - auch Bezirk und Land sprangen dem Schokoladen bei. Im März 2012 sicherte ein Grundstückstausch den langfristigen Verbleib des Projekts.
Das Hoffest:
Dieses Wochenende feiert das Kulturprojekt sein 23-jähriges Bestehen und die Zukunft mit Musik - umsonst und draußen. Von Jeans Team bis Wood in di Fire spielen alle, die sich dem Schokoladen verbunden fühlen.
Am Montag geht es weiter mit dem gewohnten Programm: Montags die queere Punk-Elektro-Nacht "Schokokuss", dienstags die Lesebühnennacht mit "LSD - Liebe statt Drogen", neben anderen von taz-Autor Uli Hannemann.
Während um die Ecke also weitere Hochglanzbauten entstehen, ist das Haus Ackerstraße 169 dem Markt entzogen. Ganz im Sinne der Schokoladen-Macher, die sich mit ihren günstigen Preisen und ihrem Sinn für Improvisation nach wie vor dem Geist der Wendezeit verpflichtet fühlen. Bis der 2012 mühsam ausgehandelte Deal am Ende in Sack und Tüten war, dauerte es allerdings noch einmal ein gutes Jahr: Erst seit Mai sind Stiftung und Schokoladen-Verein offiziell Besitzer und Pächter der ehemaligen Schokoladenfabrik.
„Nach all dem Kampf und der Aufregung sind wir momentan in einer Hängephase“, gesteht Anja Gerlich. „Wir haben zum ersten Mal Zeit, wirklich durchzuatmen.“ Das Hoffest am Wochenende sei eine Zäsur, danach beginne „die neue Zeit“.
Diese neue Zeit wird für den Schokoladen erst einmal eine Zeit der Bauarbeiten: Das Gebäude, das zum Teil unter Denkmalschutz steht, ist marode. Der Seitenflügel muss dringend schwammsaniert, das Dach neu gedeckt werden. Eine komplette Renovierung würde rund 1,8 Millionen Euro kosten. Wie man diese Summe aufbringen soll, weiß der Verein noch nicht.
Über die Website ruft das Kulturprojekt, in dessen Räumen unter anderem der „Club der Polnischen Versager“ residiert, zu Geldspenden auf. Auch Sach-und Fachspenden in Form von kostenlosen Gutachten oder Baumaterial träfen reichlich ein, sagt die Sprecherin zufrieden. Wichtiger als eine Topsanierung sei es, den Betrieb der Bar, des Theaters und der Künstlerateliers wie gewohnt fortzuführen. Auf keinen Fall wolle man die Eintrittspreise erhöhen – schließlich versteht sich der Schokoladen auch als soziales Projekt. Das Soziale sei durch die Kämpfe der vergangenen Jahre etwas ins Hintertreffen geraten, sagt Gerlich. Nach dem Hoffest wollen die rund 55 Aktivisten über eine kostenlose Hartz-IV-Beratung und Räume für Migrantenorganisationen sprechen – nach einem Wochenende, an dem all jene im Glück schwelgen, die durchgehalten haben.
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