Kommentar Verurteilte Polizisten S21: Mit zweierlei Maß
Das Stuttgarter Amtsgericht verurteilt drei Polizisten, die bei den Protesten gegen S21 allzu gewalttätig gegen Demonstranten vorgingen. Gut so!
S ieben Monate auf Bewährung für den Verlust des Augenlichtes? Die Strafbefehle des Stuttgarter Amtsgerichts gegen drei Polizisten scheinen milde – für die Opfer der massiven Polizeigewalt vom „schwarzen Donnerstag“ vor drei Jahren müssen sie wie eine Verhöhnung wirken. Zumal die Strafen nicht einmal bewirken, dass die verantwortlichen Beamten aus dem Dienst suspendiert werden.
Dennoch muss man bei der Beurteilung der Gerichtsentscheidung genauer hinschauen, denn es ist höchst selten, dass Polizisten im Dienst verurteilt werden. Das kommt schon einer kleinen Sensation gleich. Zumal die ergangenen Strafbefehle gegen die drei nun vorbestraften Polizisten für diese nicht folgenlos bleiben und einen Karriereknick bedeuten dürften. Immerhin, muss man also sagen.
Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl: Vergleicht man die Urteile mit dem Eifer, den die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen Bahnhofsgegner an den Tag legte, liegt der Verdacht nahe, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Verurteilung der drei Polizisten hat drei Jahre gedauert, während gegen Demonstranten schnell und besonders akribisch ermittelt wurde – umstrittene Hausdurchsuchungen inklusive. Dieser Verdacht der einseitigen Parteinahme verdichtet sich, weil bisher weder der damals verantwortliche Polizeipräsident noch die ehemalige Landesregierung zur Verantwortung gezogen wurden.
Das Problem der Verurteilung von Polizeigewalt ist zunächst ein strukturelles. Staatsanwälte sind bei ihren Ermittlungen gegen Polizisten eben auf jene Polizei angewiesen, zudem stehen sich beide Behörden in der alltäglichen Arbeit sehr nahe. Dass es in Baden-Württemberg wie in den meisten Bundesländern weder eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, noch eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt gibt, macht die Sache nicht einfacher.
Doch das Problem im Falle der S21-Prozesse ist auch ein explizites Stuttgarter Phänomen. Aufgrund der unguten Verstrickungen zwischen Polizeiführung und Staatsanwaltschaft drängt sich der Vorwurf auf, dass die nun zur Rechenschaft gezogenen Polizeibeamte zwar eine Mitverantwortung tragen, aber letztlich nur Bauernopfer sind.
Laut Medienberichten soll der besonders umstrittene Leiter der „politischen Abteilung“ der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Bernhard Häußler, den „schwarzen Donnerstag“ gemeinsam mit der Polizeiführung verbracht haben. Gleichzeitig übernahm er federführend die Ermittlungen gegen die Polizei, die meist im Sande verliefen. Dieses Geklüngel schadet dem Ruf von Polizei und Justiz enorm. Dass der gescholtene Häußler nun zurücktritt, bietet der Justiz zumindest die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen.
Aber auch die grün-rote Landesregierung steht in der Verantwortung, dieses Geflecht weiter aufzulösen und für Aufklärung zu sorgen, auch im Sinne der Glaubwürdigkeit von Polizei und Justiz. Bisher geschieht allerdings recht wenig - weil die SPD mehrheitlich für Stuttgart 21 ist und die Grünen den Koalitionsfrieden wahren wollen. Doch dafür wird die einstige Protest-Partei spätestens bei den nächsten Wahlen abgestraft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen