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Innere Zweifel an Rot-Grün (2)Mehr Hartz IV?

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Wer Rot-Grün oder die Linkspartei und damit unter Umständen mehr Sozialleistungen wählt, der muss deren Missbrauch in Kauf nehmen.

Hartz IV: Die Frage nach der Höhe der Leistung ist heikel Bild: dpa

U mverteilung. Mehr Geld für die Armen und Langzeitarbeitslosen. Kann man eigentlich nur dafür sein. Die Grünen fordern eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes von derzeit 382 Euro auf 420 Euro. Die Linkspartei bietet 500 Euro an. Die SPD fordert nur ein „transparentes“ und „sachgerechtes“ Verfahren zur Bedarfsermittlung. Weicheier. Sie wollen sich nicht festlegen.

Aber die Frage nach der Höhe von Hartz IV ist heikel. Erst recht, seit es aufgrund der niedrigen Löhne mühsam geworden ist, durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt zu sichern. Wer morgens ab acht für neun Euro die Stunde im Supermarkt an der Kasse sitzt, hasst die Langzeitarbeitslosen, die sich um elf Uhr mit dem Sixpack Bier anstellen.

Zumal man selbst in RTL am Nachmittag Existenzen begegnet, die mit Hartz plus, also mit Arbeitslosen- geld II plus einem Mini- oder Schwarzjob, recht kommod durchs Leben gleiten.

Kennen Altlinke nicht auch jene Existenzen, die in den 80er und 90er Jahren zu lange Arbeitslosenhilfe bezogen, eine Leistung, die sich nach dem letzten Nettoeinkommen richtete? Hat man nicht das dunkle Gefühl, dass sich S., heute Ende 50, vielleicht rechtzeitig von der Illusion einer Künstlerexistenz verabschiedet hätte, wenn sie nicht immer wieder eine ABM oder Stütze bekommen hätte?

Der Verdacht, dass Hartz IV die Arbeitsmoral versaut, ist nicht wegzukriegen. Dabei verdienen Leute, die alternativlos darauf angewiesen sind, jede politische Empathie. So wie der chronisch kranke 45-Jährige, der von Grundsicherung leben muss, mit seiner eingeschränkten Erwerbsfähigkeit aber nie mehr einen Job findet.

Die Wahrheit ist: Wer Rot-Grün oder die Linkspartei und damit unter Umständen mehr Sozialleistungen wählt, der muss den Missbrauch in Kauf nehmen. So wie die Nebenwirkungen eines Medikaments. Die kann man versuchen einzudämmen. Das Medikament aber setzt man deswegen nicht ab.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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19 Kommentare

 / 
  • RS
    Reinhold Schramm

    Weiterhin aktuell:

     

    Hartz-IV-Regelleistung und

     

    Menschenwürde - vom 12.02.2008

     

    Siehe:

     

    http://labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/hilfe/fordern.pdf

     

    Forderungen durchsetzen! - auch nach den Oberflächenwahlen am 22. September 2013.

     

    Trotz alledem, dafür kämpfen!

  • P
    peter

    Für mich als "laie" ist es leider schwer an belastbare Zahlen heranzukommen.

    Interessant wäre aber der Vergleich der Kosten durch "Sozialmissbrauch" mit den gesellschaftlichen Kosten durch Steuerhinterziehung und fehlgeleiteten Subventionen.

     

    Zur Aussage: "Erst recht, seit es aufgrund der niedrigen Löhne mühsam geworden ist, durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt zu sichern": Sollten die Tarifparteien es nicht schaffen, angemessene Löhne zu vereinbaren und Lohndumping zu beenden, sollte auch hier der Staaat, bzw. die Gesellschaft eingreifen und verbindliche Mindestlöhne festlegen. Dies senkt auch den Anreiz zum vermeintlichen Sozialmissbrauch.

     

    Zum Kommentar selbst: Bedingt durch meinen Wechseldienst gehe ich oft zu verschiedensten Zeiten Einkaufen und was soll ich sagen: Der typische Sixpack schoppende Langzeitarbeitslose hat sich bisher wohl immer vor mir versteckt :-)

  • L
    Luther

    Sehr geehrte Frau Dribbusch, Vielleicht hätten sie anstatt folgenden Satz:

     

    Umverteilung. Mehr Geld für die Armen und Langzeitarbeitslosen

     

     

    lieber diesen wählen sollen:

     

    Umverteilung. Mehr mediale, bildungspolitische und juristische Macht für die Reichsten!

     

    Man denke nur an die Gesetzesentwürfe, welche direkt durch die Industire vorgegeben werden. Der Staat ist nun einmal in den letzten Jahren aktiver denje und gestaltet sich selbst ganz leise in eine neoliberale Institution um. Für Menschenrechte ist in dieser dann kein Platz mehr!

     

    Hat diese Strömung einmal einen Menschen erfasst, so wird dieser, die Welt aus einem ganz bestimmten Blickwinkel betrachten müssen ohne dass er dabei die Möglichkeit hat, seine menschenverachtenden Praktiken selbst zu reflektieren. Den Rest erledigt das soziale bereits ebenso neoliberal infizierte Umfeld, welches sich in unseren Zeiten sehr schnell finden lässt.

     

     

    --------------------------

     

    Fragte der kleine Hitler:

    Wieso müssen diese Menschen zwangsarbeit ableisten?

     

    Antwortete der große Hitler:

    Weil sie sich sonst auf unsere Kosten ausruhen würden!

     

    Dann bestieg er wieder seine Luxusjacht, die 2.500.000 EUR Wert war, pro laufendem Meter wohlgemerkt. Dabei hielt er es wie seine Vorfahren, die seid jeher Erwerbsarbeit ablehnten.

  • FR
    Florian Rödl

    Sind Sie so freundlich, verschonen Sie die taz-LeserInnenschaft von einer Fortsetzung der Serie, etwa mit (3) Flächendeckender Mindestlohn? (4) Bürgerversicherung? (5) Rente wieder mit 65?

    Es ist in Ordnung, sogar willkommen, auch vermeintliche Gewissheiten eines politischen Lagers auf den Prüfstand zu stellen. Aber doch bitte nicht mit Argumenten, die man in man 1:1 in FDP-Programmen, den Papieren der INSM oder der CDU-Mittelstandsvereinigung nachlesen kann. So unorientiert sind die taz-LeserInnen nicht, dass man solche interessierte Tieffliegereien in der taz drucken müsste, damit die LeserInnenschaft überhaupt davon erführe. Wenn doch, würde eine Dokumentation genügen; man muss nicht auch noch den Ruf der taz ramponieren, in dem man die Positionen als selbst gefunden ausgibt.

  • Ja, ich nehme das bisschen Missbrauch in Kauf, wenn dadurch viele einer Erniedrigung entgehen können und das Wort Sozialstaat wieder eine positive Aussage wird. Man hilft, um zu helfen und nicht weil ein paar Gesetze uns dazu zwingen, auch nicht minimal sondern optimal.

    Wer Missbrauch bekämpfen will, der findet leicht ertragreichere Missstände, aber dazu gehört Mut.

  • G
    Gast_1

    Konkurriert die taz jetzt mit BILD: " die Langzeitarbeitslosen, die sich um elf Uhr mit dem Sixpack Bier anstellen." Und was soll "in RTL am Nachmittag Existenzen begegnet..."? Hat die Redakteurin noch nie etwas von gescripteten Dokus gehört? Wie wäre es, einmal solide Zahlen zu bringen: Wieviel geht durch Mißbrauch von Sozialleistungen verloren, wieviel durch Steuerhinterziehung, wieviel sparen Vermögende und Unternehmen durch die Steuersenkungen der letzen 20 Jahre?

  • D
    Dosenöffner

    Natürlich versaut Hartz IV die Arbeitsmoral, aber erst dadurch, dass man keine Chance hat, aus der Misere wieder herauszukommen. Einmal Hartz immer Hartz deckt sich mit der Realität - nur 2-3% der Hartzer finden wieder in den Beruf.

  • Ein Beitrag wahrlich auf RTL-Niveau. Dass die Löhne nur deshalb so niedrig sind, weil mit der “Agenda-Politik” Niedriglöhne erzwungen werden, blendet die Autorin aus.

     

    Unfreiwillig und unreflektiert bringt sie jedoch eine Wahrheit zu Tage: die Politik, deren Ergebnis sowohl die Langzeitarbeitslosen in Hartz 4 wie auch der Niedriglohn der Kassiererinnen sind, bringt die beiden Menschengruppen Niedriglöhner und “Hartzer” gegeneinander auf – ein wohl beabsichtigtes Resultat, um beide von ihrem eigentlichen Gegner abzulenken:

     

    Dem Grossen Geld und seinen Erfüllungsgehilfen.

  • Es wird sicher Missbrauch geben, der aber nicht mehr relevant ist, als der Missbrauch der Arbeitgeber, die jetzt Dumpinglöhne zahlen, und sich durch die Hintertür Subventionen erschleichen.

    Gäbe es darüber eine Studie, kämen gewiss Mrd- Beträge zustande, bei der die Höhe der " Subventionen" die des Missbrauchs sicherlich überflügeln würde.

    Die Menschenwürde steht auf dem Spiel und diese zu verletzen, ist gerade systemimmanent. Da kann ich @ UWB nur beipflichten. Wer die Menschenwürde auf der Agenda hat, muss die Systemfrage stellen.

  • W
    Werner

    Ohje, Frau Dribbusch, jetzt sind Sie endgültig dort angekommen, wo Sie wahrscheinlich nie hin wollten.

    Was halten Sie davon künftig erst mal nachzudenken, bevor Sie bei CDU/FDP und Co. abschreiben? Ziemlich platt jedenfalls, diese Argumentation.

  • P
    peterurban

    Hartz IV an sich ist nicht das Problem, die Regelsätze können theoretisch (!) jede Höhe annehmen. Selbst bei den armseligen Regelsätzen heute liegt die Grenze, ab der die alte Arbeitslosenhilfe mehr gewesen wäre, bei einem vorherigen Netto von ca. 1.600,- (Alleinstehender). Früher haben z.B. ehemalige Manager 10 Jahre auf ner Alohilfe von hochgerechnet 3.000,- in der Sonne gelegen, die wurden zu gar nichts aufgefordert. Das Problem ist, dass das Lohnniveau für große Massen in D komplett im Keller ist. Sonst gäb es doch noch mehr Aufstocker ... Deswegen schnellstens ein effektiver, gesetzlicher Mindestlohn für alle gleich!

  • @Bernd Goldammer: 100% Zustimmung. Das Ekligste an dieser Vernebelung der neuen Armut ist für mich der Zynismus, mit dem das voll bewußt beabsichtigte Elend zu einer Folge von Dummheit und Resignation erklärt wird, deren Ursache es eigentlich ist.

    Für mich gibt es derzeit nur eine Partei, die dieses Übel angemessen benennt, ich werde versuchen, sie über 10% zu bringen.

  • HD
    Held der Arbeit

    Genau! Schluss mit der spätrömischen Dekadenz der Hartz IV Bezieher! Braucht man wirklich 382 € im Monat? Wer keine Arbeit findet soll halt im Müll wühlen!

  • N
    Nordwind

    Wow, da werden aber wieder alle Vorurteile bedient die von der narzistischen Mitte so hervorgebracht wurden.

     

    1. Der Missbrauch von Hartz-IV ist ausgesprochen gering. Da muss man sich nur um die Zahlen bemühen oder mal recherchieren was der Herr Weise so von sich gibt. Selbst der hat das erkannt.

     

    Aber das macht ja Arbeit und könnte zu kognitiver Dissonanz führen.

     

    2. Hartz-IV ist der Hebel neoliberaler Ideologie der zu prekärer Beschäftigung führt und den Unternehmen die Löhne subventioniert.

    Wenn sich die Kassiererin also aufregen will sollte man ihr evtl. einmal mitteilen was sie mit dem Hartz-IV-Empfänger der vieleicht gerade die Marmelade für seine Kinder kauft verbindet und das sie von den gleichen Ideologen ausgebeutet wird wie ihr Gegenüber.

     

    Darüber könnte man ja mal schreiben wenn man Realität nicht ausschließlich durch den Filter der Markttauglichkeit wahrnehmen würde.

     

    Wer sein Denken wohl ausschließlich an der neoliberalen Ideologie geschult hat und nicht in der Lage ist belegbare Zusammenhänge darzustellen sollte sich nicht den Titel einer Redakteurin für Soziales anmaßen.

  • W
    Wolfgang

    Ungeschminkt und unvollständig - zum Hartz-IV-Staatsverbrechen!

     

    Die olivgrüne-sozialdemokratische Einführung des Hartz-IV-Strafvollzugs für die gesamte werktätige Bevölkerungsmehrheit, - im Falle der Erwerbslosigkeit über zwölf Monate hinaus -, war eines der größten Sozialverbrechen, - nach dem Verbot der Kommunistischen Arbeiterpartei (KPD) 1956 -, in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

     

    Die Einführung des Hartz-IV-Strafvollzugs durch die gesellschaftspolitische Administration, - im Herrschaftsinteresse der deutschen Finanz- und Monopolbourgeoisie -, war ein postfaschistisches Sozial- und Kapitalverbrechen an der Bevölkerungsmehrheit in der Bundesrepublik Deutschland!

     

    In einer demokratischen und menschenwürdigen bürgerlichen Gesellschaftsordnung, was die Bundesrepublik Deutschland nicht (mehr) ist, wäre dieses gesamtgesellschaftliche Sozialverbrechen nicht möglich gewesen!

     

    Die Einführung des Hartz-IV-Systems ist zugleich ein Beleg für die erfolgreiche geistige Manipulation und Entmündigung der Mehrheit der Bevölkerung. -

     

    Ansonsten wäre es zu einer gewaltsamen flächendeckenden Auseinandersetzung der europäischen Werktätigen mit den staatlichen Gewaltapparaten in Deutschland und EU-Europa gekommen!

  • R
    Ralf

    Und wer CDU FDP oder andere Pro-Kapitalisten wählt, kann sicher davon ausgehen das privater Luxus der Reichen gefördert wird. Wie blöd ist diese Fragestellung eigentlich? Die hauptsächlichen Bezieher von leistungslosen Einkommen sind die Besitzenden, Geld arbeitet nicht! Es läßt andere für sich arbeiten.

  • Z
    zauberfrosch

    Unglaublich unreflektierter Artikel. Würde besser in die BILD passen. Dass die taz so etwas niveauloses druckt, war mir neu. Schade.







    REDAKTION: Bitte begründen Sie in Zukunft Ihre Kritik.

  • D
    D.J.

    Ich wette, das wird einige hasserfüllte Kommentare geben. Von Leuten, die zu wütend waren, um bis zum letzten Absatz vorzudringen.

    Nein, Missbrauch lässt sich nie ganz vermeiden in einer offenen Gesellschaft. Also darüber diskutieren, wie viel wir akzeptieren können, ohne den Sozialstaat zu gefährden (durch beides: Missbrauch oder Repression). Leugnen wäre das Dümmste.