Ein Nachruf: Die Seele der Grünen

Christine Bernbacher, Ehrenvorsitzende der Bremer Grünen, wird heute beerdigt. Die politische Realistin konnte kompromisslos hart sein.

Christine Bernbacher in ihrem Schwachhauser Wohzimmer 2010. Bild: kawe

Christine Bernbacher, Mitbegründerin der Bremer Grünen und zuletzt Ehrenvorsitzende des Landesverbandes der Partei, war ein lebendiger Beweis dafür, dass grüne politische Überzeugung und eine zutiefst bürgerliche Existenz gut zusammen passen.

Am 12. 9., zehn Tage vor der Bundestagswahl, ist sie, nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. In der Kapelle des Osterholzer Friedhofs findet heute eine Trauerfeier für die Frau statt, die mindestens in Bremen auf ganz unpathetische Weise die Seele der Partei gewesen ist.

Zu ihren großen politischen Tagen gehörte sicherlich der 9. Dezember 1986. Zwei Jahre lang hatten die Fraktionen der SPD, CDU und der Grünen darüber beraten, wie man den Umweltschutz als Staatsziel in die Landesverfassung aufnehmen solle. Nach langen Beratungen lag schließlich eine Formulierung der SPD vor: „Schäden im Naturhaushalt sind möglichst zu beheben oder auszugleichen.“

Besser so eine Formulierung mit „möglichst“ als gar keine, das war die Haltung ihrer Fraktion, erinnerte sich Bernbacher später. Damals konnten Verfassungsänderungen im Bremer Parlament nur beschlossen werden, wenn alle hundert Abgeordneten dafür waren. Erste Lesung 1984: 99 Ja-Stimmen. Zweite Lesung 1986: 99 Ja-Stimmen. Eine dagegen - Bernbacher. Kein „Möglichst“, das war ihre Position.

Keinen Millimeter bewegte sie sich. Als „Wuchtbrumme“ beschrieb sie sich selbstironisch in solchen Situationen, und: „Da gab‘s jeden Tag dicke Luft, das war hart.“ 24 Stunden vor der dritten Lesung am 9. Dezember gaben dann 99 Abgeordnete klein bei - und verzichteten auf das kleine „möglichst“. Die Verfassungsänderung konnte beschlossen werden.

Christine Bernbacher ist am 19.12.1930 in Hannover als „Christine Eschner“ geboren. Ihr Großvater starb 1943 beim Bombenangriff, zweimal wurde sie selbst als Kind verschüttet. Noch als Schülerin lernte sie 1947 ihren späteren Mann kennen, Klaus Bernbacher. „Unsere Jugendliebe verband das Interesse für die Politik und für die Musik“, sagt er.

In Hannover waren damals Kurt Schumacher und der 1944 wegen seiner seelsorgerischen Kontakte zu Beteiligten des Attentats vom 20. Juli von der Gestapo verhaftete Hans Lilje die großen Figuren des politischen Lebens. Beide boten der Jugend nach dem Kriege neue Orientierung. Mit 19 Jahren ging Christine Escher nach England, wo sie zur Krankenschwester ausgebildet wurde. Nach ihrer Rückkehr 1953 arbeitete sie im Britischen Militärhospital in Hannover, 1957 heiratete sie den Jugendfreund Bernbacher. Ende der 1950er Jahre engagierte sie sich in der Kampagne „Kampf dem Atomtod“.

Ihre politische Arbeite hatte in den 1950er-Jahren mit der Ostermarsch-Bewegung begonnen: Sie war eine der ersten, die die Krankenschwestern in der Gewerkschaft ÖTV vertrat. Ein Jahr nach der Geburt des zweiten Kindes wurde sie 1961 für die SPD Stadträtin in Rodenberg, einem kleinen Ort bei Hannover.

Die Bernbachers adoptierten zwei weitere Kinder – und Mutter Christine war das unbestrittene Zentrum der Familie: Später erklärte sie einmal, sie wolle nicht Bundestagsabgeordnete werden, weil die das mit ihrer intensiven Liebe zu ihrem Familienleben nicht vereinbaren könne. Sechs Enkel sollte sie schließlich bekommen.

Seit 1970 lebten die Bernbachers in Bremen am Schwachhauser Ring. Als einer der Söhne sich bei der „Jugendgruppe gegen radioaktive Verseuchung“ engagierte, stellten Bernbachers der Gruppe ihre Garage als Büro zur Verfügung. Und als Ende der 1970er 28 Sozialdemokraten um Olaf Dinné und Peter Willers die Gründung einer Umweltschutz-Liste diskutierten, war Christine Bernbacher dabei. „Willy Brandt hatte den blauen Himmel über der Ruhr versprochen. Wir wollten das ernst nehmen“, erklärte sie ihre Motivation.

Am 19.12.1978, ihrem Geburtstag, hörte sie im Radio, dass sie ausgetreten sei. „Ich hatte mal so locker gesagt, dass ich eventuell austreten würde – und Olaf Dinné hat das dann vor der Presse verkündet.“ So manche Beratung für die Gründung der „Bremer Grünen Liste“ fand dann in der Küche ihrer großbürgerlichen Villa in Schwachhausen statt.

Bernbacher kochte nicht nur gern, ihr gefiel es auch, Freunde zu verköstigen. Und die wussten das zu schätzen. Geradezu genüsslich konnte sie die Geschichte der russischen Parlamentsdelegation erzählen, die in Vorbereitung auf ihren Deutschland-Besuch im auswärtigen Amt nachfragen ließ, ob denn auch ein Abstecher zu der „Babuschka“ in Bremen eingeplant sei. Die Beamten mussten sich erst einmal erkundigen, wer und was damit gemeint sein könnte.

In der Tat hatte eine Delegation Jahre zuvor – noch in sowjetischen Zeiten –- einen Abstecher von Bonn nach Bremen gemacht und dort einen Höflichkeitsbesuch auch bei den Grünen. Ralf Fücks, damals deren Chef, hatte – nach Bernbachers Erinnerung – die Gäste mit einer langatmigen Erläuterung, warum ihr Weg zum Sozialismus ein Holzweg sei, so verärgert, dass sie unter Protest schon abreisen wollten.

Christine Bernbacher aber servierte daraufhin ein köstliches Abendessen und etwas zu trinken. Der Abend habe versöhnlich geendet und sei offenbar tief im Gedächtnis geblieben.

Auch, dass sie 1979 nicht auf der Grünen Liste für die Bürgerschaftswahlen stand hatte diplomatische Gründe: Bernbacher verzichtete zugunsten des damals Jung-Linken Axel Adamietz auf einen vorderen Platz: Es ging darum, die mögliche Konkurrenz einer linken „Alternativen-Liste“ zu verhindern, sprich: sich offen zu zeigen für deren Klientel, um nicht als rein bürgerliches Phänomen wahrgenommen zu werden.

Als ihre Freunde in der Bremer Grünen Liste die Beteiligung der Grünen an den Bundestagswahlen ablehnten, weil sie befürchteten, aus der Grünen Bewegungspartei müsse dann unweigerlich eine traditionelle Macht-Partei werden, wandte sie sich den Parteigründern zu: Ihre Küche wurde zum Sitzungszimmer für die Gründung des Landesverbandes.

„Unser erstes Büro war ein kleines Ladenlokal Außer der Schleifmühle“, hat sie einmal erzählt, „als es darum ging, wie wir die Miete für diesen keinen Raum zahlen könnten, da gab es Vorschläge, grüne Seife zu verkaufen. Das funktionierte natürlich nicht. Dann habe ich oft die Miete und das Telefon aus meiner Haushaltskasse bezahlt“, erzählte sie. „Wir hatten hier vier Kinder, da fiel das nicht auf.“ Erst später hatte sie es ihrem Mann erzählt.

Bernbacher war 1980 grüne Spitzenkandidatin für die Bundestagswahlen. Die Partei kam bundesweit auf 1,5, in Bremen immerhin auf 2,7 Prozent – als Partei, die aus der Gewissheit, ein großes Menschheitsthema zu vertreten, ihr Selbstbewusstsein zog. Und sich dabei zwischen den klassischen Blöcken positionierte. Zum Beispiel 1981, kurz vor Weihnachten.

Damals war besuchte eine Delegation der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc aus Danzig den Bremer Samizdat-Forscher Wolfgang Eichwede. Am 13. 12. rief Polens Ministerpräsident, General Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht aus. Militärs besetzten die Lenin-Werft. Große Teile der deutschen Linken fanden, dass Solidarnosc sowieso zu sehr mit der katholischen Kirche paktiert hatte und eine polnisches Militärregime immerhin Stabilität versprach.

Dutzende Gewerkschaftsführer waren in Danzig verhaftet worden. Die Bremer Delegation konnte nicht zurück. Die SPD habe mit der wegen ihrer ,Wandel durch Annäherung‘-Doktrin nichts zu tun haben wolle, erinnerte sich Bernbacher später, „die Gewerkschaften aber auch nicht: Die wollten es sich mit dem neuen starken Mann in Polen, General Jaruzelski nicht verderben“.

So gab es für die gestrandeten polnischen Gewerkschafter erst einmal etwas zu essen, dann eine Pressekonferenz – im Büro der Grünen. Bernbacher: „Wir haben sie sechs Wochen lang beherbergt. So hat dieses kleine Büro historische Bedeutung bekommen.“

Bernbacher saß damals im Beirat Schwachhausen. Da hat sie einmal den Vorschlag gemacht, die „Lüder-von-Bentheim-Straße“ in „Nelson Mandela Straße“ umzubenennen. Ausgerechnet der verehrte Rathaus-Architekt sollte dem Befreiungskämpfer weichen! „Da bin ich zerrissen worden“, erinnerte sie sich später lachend, auch die alten SPD-Genossen hätten ihr vorgehalten, „wie kann man einen rechtskräftig verurteilten Verbrecher ehren wollen, der ja noch im Gefängnis saß! Und dann auch noch in Schwachhausen!“

Bei der Bürgerschaftswahl 1983 war Bernbacher dann für den neuen Landesverband der Grünen das Aushängeschild und Spitzenkandidatin, mit der die neue Partei die Bremer Grüne Liste schnell verdrängen konnte. Bei den Grünen galt das „Rotationsprinzip“ nach der Überlegung: nur keine Verfestigung von Macht, nur keine Berufspolitiker.

Vier Bürgerschaftsabgeordnete haben das zähneknirschend akzeptiert. Eine nicht: Bernbacher. Politik habe auch mit politischer Erfahrung zu tun, argumentierte sie, mit wachsender Kompetenz. Sie trat nicht nach zwei Jahren zurück.

„Karoline Linnert hat wochenlang nicht mehr mit mir gesprochen, Marieluise Beck war sauer.“ Aber kurz darauf schafften die Grünen das Rotationsprinzip ab. Und Bernbacher – wurde in der nächsten Legislaturperiode abgestraft. „Ich bekam 1987 einen so miesen Listenplatz, dass ich lieber abgelehnt habe“, erzählte sie 2010.

So kommt die Lücke in ihren 12 Jahren Bürgerschaft zustande: Von 1987 bis 1991 war sie „draußen“. 1988 war sie in den Bundesvorstand gewählt worden, 1991 bei der Bildung der „Ampel-Koalition“ – von SPD, Grünen und FDP war sie dann wieder in Bremen dabei.

Die großen strategischen Würfe hat sie dabei immer anderen überlassen. Ihre eigene Rolle und ihr Politik-Verständnis beschrieb sie im Spiegel ihrer grünen Freunde so: „Christine, habe ich oft von meinen Kollegen gehört; Christine, wir können uns nicht in Einzelschicksalen verzetteln; wir müssen die Rahmenbedingungen verändern.“

Ihre Aufmerksamkeit galt den Einzelschicksalen. Sie saß im Petitionsausschuss und als eine syrisch-deutsche Familie mit drei Kindern aus der Grohner Düne abgeschoben werden sollte, saß Christine Bernbacher im Verwaltungsgericht, um sich solidarisch zu zeigen – das war 1994.

Als in der Bremischen Bürgerschaft über die Asbest-Opfer geredet wurde – Werftarbeiter, denen die Anerkennung ihres Leidens als Berufskrankheit verweigert wurden war, da beeindruckte die gelernte Krankenschwester Bernbacher nicht nur die Abgeordneten mit ihrer Rede: Sie kannte diese Männer, sie hatte ihre Krankenakten gelesen und siesprach mehr über die Menschen, als über die Rechtsprobleme.

In „strategischen“ Fragen war Bernbacher realpolitisch orientiert. „Es nützt doch nichts, wenn ich Maximalforderungen aufstelle, aber die Stimmenzahl, die ich brauche, um mitzugestalten, nie erreiche“, erklärte sie das einmal. „Darum müssen wir, und das sagen auch Leute wie Joschka Fischer, mehr Menschen motivieren, damit wir vielleicht wirklich mal wieder in Ländern nötig sind, um eine Regierung zu bilden. Anders werden wir immer nur der Seismograph sein – und es ändert sich nichts.“

Ihr Mann, der Dirigent und Radio-Bremen-Abteilungsleiter Klaus Bernbacher, ist erst 1994 aus der SPD ausgetreten – als sich die Wählerinitiative „Arbeit für Bremen“ bildete, eine eher rechte Abspaltung der SPD. Von 1995 bis 1999 saßen so zwei „Bernbachers“ im Parlament: Sie, die gern eine Koalition mit der SPD eingegangen wäre, und er, der für die Ablösung der SPD von der Macht stritt und dafür mit der CDU paktieren wollte.

Dass sowohl Grüne wie „Arbeit für Bremen“ sich dann in der Opposition zur großen Koalition wiederfanden, war eine günstige Voraussetzung dafür, die politischen Gräben in der Bernbacher-Ehe überbrückbar zu halten. „Es gab stets einen Grundkonsens zwischen uns, aber auch immer unterschiedliche Spielarten“, beschrieb er das einmal.

1999, damals 68jährig, schied sie aus der „aktiven“ Politik aus. Sie hatte ein Enkelkind zu Hause, sie malte, dichtete, liebte die Arbeit an Skulpturen aus Ton, Stein und Bronze. Und? „Politik ist für mich wie die Musik für einen alten Zirkusgaul“, hat sie einmal über sich selbst gesagt.

Sie war Ehrenvorsitzende der Bremer Grünen, engagierte sich in der Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechts in der Demokratie und in der Gesundheitspolitik, sie war Vorsitzende des Freundeskreises der Klinik Links der Weser. „Sie hat diese Bestrebungen, aus den Kliniken einen zentralistischen Moloch zu machen, bis zuletzt mit aller ihrer Kraft bekämpft“, sagt ihr Mann über sie. 57 Jahre war er mit der „eigensinnigen Persönlichkeit“ Christine Bernbacher verheiratet, die genau das verkörperte, wonach viele Grüne seit dem 22. 9. einigermaßen hilflos suchen: die grüne Mitte.

Trauerfeier: Kapelle des Osterholzer Friedhofs, 11.15 Uhr
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