piwik no script img

Selbstständige und Mindestlohn1,1 Millionen unter Lohnuntergrenze

Laut DIW hat ein Viertel der Selbstständigen 2012 weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient. Arbeitgebernahe Forscher stellen den Mindestlohn daher in Frage.

Bald freischaffend? Besonders in der Friseurbranche ist der gesetzliche Mindestlohn umstritten. Bild: dpa

BERLIN afp | Rund 1,1 Millionen Selbstständige haben 2012 einer Studie zufolge weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Zeitung Welt am Sonntag (WamS) berechnet. Insgesamt hätten 25 Prozent aller Selbstständigen weniger als 8,50 Euro verdient, sagte DIW-Forscher Karl Brenke. Die schwarz-rote Bundesregierung will eine gesetzliche Lohnuntergrenze in Höhe von 8,50 Euro einführen.

Dem Bericht zufolge sind 770.000 der 1,1 Millionen geringverdienenden Selbstständigen Ein-Mann-Unternehmen. 2012 verdienten von allen Solo-Selbstständigen 31 Prozent weniger als 8,50 Euro. 330.000 Unternehmer, die Arbeitnehmer beschäftigen, erwirtschafteten demnach weniger als 8,50 Euro. Ihr Anteil unter allen Betrieben mit Angestellten beträgt 17 Prozent, wie die WamS weiter berichtet. Unter den abhängig beschäftigten Arbeitnehmern ist der Anteil mit einem Verdienst von 8,50 Euro je Stunde mit 15 Prozent geringer als unter den Selbstständigen.

Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes für die Welt am Sonntag kommt zu teilweise noch drastischeren Ergebnissen als das DIW. Danach mussten sich 2012 von den Unternehmern, die höchstens einen Mitarbeiter hatten, 34 Prozent mit weniger als 8,50 Euro Stundenlohn zufriedengeben. Stundenlöhne unterhalb des geplanten gesetzlichen Mindestlohns sind demnach mit einem Anteil von 22 Prozent selbst bei den akademischen freien Berufen verbreitet.

„Wirre Köpfe müssten nun als Ergänzung zum Mindestlohn Mindestpreise oder Mindestgewinne oberhalb des Hartz-IV-Anspruchs fordern“, sagte Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), der Zeitung. Daran erkenne „man die grundsätzliche Fragwürdigkeit des Mindestlohns“.

Marcel Thum, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo Dresden, erklärte, der Mindestlohn würde selbst auch „dafür sorgen, dass es noch mehr Selbstständige mit prekären Einkommensverhältnissen gibt“. Schließlich könne ein Friseursalonbesitzer, der den Mindestlohn nicht zahlen wolle, seine Angestellten entlassen und „dann seine Waschbecken an freischaffende Friseure vermieten“.

Michaela Rosenberger, neue Chefin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, hält die Einführung des Mindestlohns hingegen für wichtiger als den Erhalt von Arbeitsplätzen. Angesprochen darauf, dass eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro gerade in ihrer Branche in Ostdeutschland viele Jobs gefährden würde, sagte Rosenberger der Welt am Sonntag: „Das müssen wir in Kauf nehmen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • C
    Celsus

    Seit Max Weber ist allerdings der ZUsammenhang zwischen dem Einkommen kleiner Selbständiger und dem Gehalt von Arbeitnehmern bekannt: So kann der kleine Einzelhändler pro Stunde meist nur erzielen, was eine Verkäuferin in einem großen Laden an Kosten verursacht. Je neidriger das Gehalt der Arbeitnehmer, um so schwieriger ist es für kleine Selbständige. Den Effekt zu verschweigen, dient nur der Berförderung Neiddebatte. Können Inytitute so ahnungslos sein oder tun die nur so?

  • S
    Selbständiger

    Ich ahne, ohne jetzt die Studie selbst gelesen zu haben, daß hier Äpfel und Gummistiefel verglichen werden.

     

    Interessant wäre nämlich, wie hier ein projektbezogener Pauschal- oder Stundensatz eines Selbständigen mit dem "Mindestlohn" eines abhängig Vollzeitbeschäftigten verglichen wird.

    Wenn ein Selbständiger ein Projekt hat, berechnet er hoffentlich seinen marktüblichen Stundensatz (der i.d.R. durchaus erheblich über dem angedachten ges. Mindestlohn wird, normalerweise auch über dem äquivalenten Bruttogehalt eines VERGLEICHBAREN abhängig Beschäftigten liegen sollte). Ist das Projekt fertig und er hat gerade nichts, bekommt er - o Wunder - nichts! Das Modell läßt sich mit irgendeiner festen Zahl für den Mindestlohn nicht vergleichen, wenn, dann am ehesten über das Jahresnettoeinkommen nach Steuern.

     

    Nebenbei, ich bin selbst seit 20 Jahren überzeugter (nicht Schein-) Selbständiger als Ein-Mann-Firma, mit guten aber auch durchaus sehr bescheidenen Jahren. Und ich bin absolut für einen flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahmen und wäre das auch, wenn ich Arbeitsplätze anbieten würde.

     

    Ohne Mindestlohn oder ohne solide Tariflöhne ist jeder Arbeitgeber, der seine Leute so bezahlen möchte, daß sie davon leben können, der Depp, sobald seine Wettbewerber mit Hungerlöhnen kostenmäßig besser dastehen und sich den Gewinn über Aufstocker vom Staat = der Allgemeinheit subventionieren lassen.

  • SR
    Stephan Raabe

    Der ifo-Vertreter Marcel Thum, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums,empfiehltScheinselbstständigkeit, um den Mindestlohn zu umgehen. Wie tief sinken deutsche Okonomen in ihrem Kampf gegen den Mindestlohn eigentlich noch?

  • S
    sarko

    Da fällt einem nichts mehr ein ! Gegen den Mindestlohn für Minilöhner das Argument anführen , es gebe mehr Selbstausbeuter-Elendsunternehmer mit Einkommen von weniger als 8,50 Euro !

    Möge die ideologisch-paranoide Perversion des "Denkens" unserer Systemapologeten à la Hüther bei immer mehr Menschen ein Licht aufgehen lassen !

    • M
      M.A.
      @sarko:

      …um dann, wie in Hamburg, wahllos Scheiben einzuschmeissen damit die Glaser auch ja genug Arbeit haben?

       

      Der Fisch stink nicht vom Kopfe her… oder warum unterstützen selbst Minilöhner die Multimillionäre a la "Schumi" und etlichen Fussballclubs etc.???

      Das ist gelebte Marktwirtschaft… und keiner der Teilnehmer verhält sich wirklich sozial.

  • W
    Wolfgang

    Ungeschminkte Fakten (vgl. mit den richtigen Aussagen von Frau Ursula von der Leyen, als vormalige Arbeitsministerin):

     

    In Westdeutschland lag im Jahr 2012, für Männer, der durchschnittliche RV-Renten-Eintritt, erstmals unter 30-Vollzeit-Arbeitsjahren. In Ostdeutschland noch zwischen 38-39 RV-Jahre (M). Für Frauen bei 18 RV-Jahren (West) und 34-35 RV-jahren (Ost).

     

    Bei einem durchschnittlichen Brutto-Stundenlohn von 15,- Euro, über einen Zeitraum von 35-Vollzeit-Arbeitsjahren (!), liegt die Armuts-Altersrente bei: mtl. 700,- Euro!

     

    Demnach müsste heute der (durchschnittliche) "Mindestlohn" bei 15 Euro-Std. brutto liegen, um eine eigenständige Arbeits- und Armutsrente auf dem geringen Niveau der gesetzlichen Grundsicherung (analog: Sozialhilfe) zu erhalten!

     

    Diese Wahrheit ist allen GroKo-Regierungs- und Parlamentsparteien bekannt, so auch den sozialdemokratischen DGB-Führern, trotzdem bewegte sich ihre Forderung im Jahr 2012/2013 nur auf der Ebene von 8,50 Euro-Std. brutto. -

     

    Damit liegt der Realwert dieser spezialdemokratischen Mini-Forderung, zugleich im Kapitalinteresse der BDA- und BDI-Monopolverbände (der Bourgeoisie), ab seiner 'gesetzlichen' Verbindlichkeit, ab Januar 2017, im Kaufkraftwert, um ca. 8,20 Euro brutto.

     

    Mitte 2017 findet dann eine Neubewertung statt, mit (voraussichtlicher) Verbindlichkeit ab Januar 2018 (also, heute in 47/48 Monaten)!

     

    Bis zur Jahreswende 2017/2018, bis dahin, liegt die reale Kaufkraft (voraussichtlich) um 8-Euro-Std. brutto!

     

    Beim sog. "Mindestlohn" handelt es sich um eine Volksverarschung der Menschen im Armutslohn, durch die Spezialdemokraten aller bürgerlichen Lobby-Parteien. -

     

    Damit, trotz 50-Jahre-Vollzeitarbeit (ohne Arbeitslosigkeit), liegen alle Einkommensarmen, ab dem 70. Lebensjahr, bei einer Armutsrente unterhalb der Sozialhilfe bzw. bei Antragstellung auf dem Niveau der unzureichenden (gesetzlichen) "Grundsicherung".

    • M
      Max
      @Wolfgang:

      Zuviel Text… aber inhaltlich ist alles drin: Bravo!

       

      Nur wo war die TAZ, als es darum ging das Lügengebäude >Mindestlohn

  • FA
    für alle!

    auf welchen daten basieren diese zahlen??? kaum zu glauben! so viele verarmte selbständige? Dann doch erst recht midestlohn für alle!

    • M
      Max
      @für alle!:

      Scheinselbstständige bitte, denn "selbstständig" sind diese Personen keineswegs.

  • Den Zusammenhang dessen, dass wenn Arbeitnehmer Geld in der Tasche haben, dass sie auch einkaufen können, verstehen die “Kritiker” also nicht.

     

    Da wird aber auch der Mindestlohn nicht helfen können, beim Denken. Deshalb sollte man trotzdem nicht auf ihn verzichten.

    • M
      Max
      @Volker Birk:

      Das man sich genötigt fühlt, überhaupt darüber zu sprechen… offenbart doch schon den Bruch mit der sozialen Marktwirtschaft.

       

      Außerdem ist "Wohlstand" in den unteren sozialen Gruppen nicht erwünscht… weder von CDU, SPD noch Grünen oder den Linken.