Gedenken: Der Zwang bleibt unsichtbar
Ein Mahnmal für jüdische NS-Opfer in Oldenburg verzeichnet auch die letzten Adressen der Deportierten. Diese Wohnorte aber waren nicht immer selbst gewählt.
OLDENBURG taz | Auf dem schwarzen Stück Wand stehen Namen und Wohnorte: Seit Anfang November vergangenen Jahres erinnert in der Oldenburger Innenstadt, gleich beim städtischen Kulturzentrum, ein Denkmal an die 167 JüdInnen aus der Region, die während des „Dritten Reichs“ verschleppt wurden. Auf einem zweiten Stein, links daneben, sind die letzten Adressen dieser Menschen auf einem historischen Stadtplan markiert.
Eine örtliche Geschichtswerkstatt kritisiert nun die Auswahl. Denn hinter manchen dieser Anschriften verbergen sich sogenannte „Judenhäuser“ – Massenunterkünfte, die Menschen unfreiwillig bezogen, nachdem sie die eigene Wohnung, das eigene Geschäft aufgeben mussten.
„Erniedrigend und beleidigend“, nennt es Farschid Ali Zahedi von der Projektgruppe „Werkstattfilm“, Massenunterkünfte wie in der Kurwickstraße 5 als letzte Wohnung aufzuführen. Allein diese Anschrift findet sich 27 Mal auf der schwarzen Tafel. In dem Haus hatten verarmte JüdInnen, an die nicht mehr vermietet werden durfte, eine notdürftige Bleibe gefunden. Zwangsweise untergebracht wurden sie dort zwar nicht – andere Möglichkeiten hatten sie aber auch nicht.
Seit über 15 Jahren erforscht die Gruppe Werkstattfilm die Geschichte der „Arisierungen jüdischen Eigentums“. Zusammen mit ehrenamtlichen HelferInnen hat Zahedi Archive durchsucht und ZeitzeugInnen befragt. Die Ergebnisse dieser Recherche sind in Filmen, Ausstellungen und einem Buch dokumentiert. Die Enteignungen, an denen viele Oldenburger Geschäftsleute und Institutionen beteiligt waren, „werden verschleiert, wenn da nur diese letzten Adressen auftauchen“, sagt er.
Die „Arisierung“ verlief zunächst schleichend: Ab April 1933 wurden Geschäfte jüdischer BürgerInnen boykottiert. SA-Posten standen zur Abschreckung möglicher Kunden vor den Türen. In Folge sinkender Einnahmen blieb den InhaberInnen vielfach keine andere Wahl, als ihren Besitz zu verkaufen – weit unter Wert – und umzuziehen. „Das weiß jeder, der es auch wissen will“, sagt Zahedi unter Hinweis auf historische Quellen. So heißt es etwa in einer Anzeige in den Oldenburger Nachrichten vom 18. Januar 1936: „Ich habe das seit 45 Jahren bestehende Herrenbekleidungs-Geschäft der Firma M. Schulmann Oldenburg i. O. erworben und werde es als deutsches Geschäft weiterführen“. Zahedi hat auch seitenlange Listen gesammelt, die solche Hausübernahmen detailliert nachzeichnen.
Ausgearbeitet hat das nun kritisierte Denkmal der Oldenburger „Arbeitskreis Erinnerung gestalten“. Zu ihm gehört unter anderem der langjährige Kulturdezernent Ekkehard Seeber. Die Enteignungsgeschichte sei ihm bekannt, sagt Seeber. Er weist aber auf ein methodisches Problem hin: Jüdische BürgerInnen aus Oldenburg und dem Umland hätten infolge der Diskriminierung sehr häufig umziehen müssen und „willkürlich eine der häufig mehreren Wohnadressen“ anzugeben, sei keine Alternative. Alle bekannten Adressen aufzuführen, habe der Arbeitskreis ebenfalls für „nicht sinnvoll“ gehalten.
Solche Probleme stellen sich Historikern nicht nur in Oldenburg: Der Künstler Gunter Demning hat in mehr als 500 Orten „Stolpersteine“ vor Wohnungen von NS-Opfern verlegt, um im Alltag immer wieder an die Verbrechen des Regimes zu erinnern. Er versuche, die letzten freiwillig gewählten Wohnungen zu markieren, sagt er – aber das sei nicht immer möglich. Bevor so ein Stein in einem heutigen Industriegebiet verlegt werde, komme er stattdessen vor das jeweilige Rathaus. „Jedem Fall gerecht zu werden und die Probleme sichtbar zu machen“, sagt er, „ist Teil unseres Projekts.“
Auch Jehuda Wältermann, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Oldenburgs, hält es für unangemessen, Sammelunterkünfte als Wohnungen zu begreifen. Ein Besucher habe ihn beim Betrachten der Tafel gefragt, „ob da etwa ein Hochhaus stand“. Grundsätzlich, sagt Wältermann, sei er mit dem Oldenburger Denkmal aber zufrieden. Es freue ihn sehr, dass hier ein „Denkmal von Bürgern für Bürger“ entstanden sei und kein Projekt einer ausschließlich jüdischen Institution.
Auf den Internetseiten der Stadt, die das Mahnmal mit rund 50.000 Euro finanziert hat, sollen in Zukunft die einzelnen Stationen der Deportation ausführlich dargestellt werden. Gerade das Unfreiwillige der Umzüge werde so dokumentiert. Auch Erinnerungstafeln an den einstigen „Judenhäusern“ sollen folgen.
Zahedi hingegen spricht von „verpassten Möglichkeiten“: Die Stadt habe jahrzehntelang kein Interesse gezeigt, diese Aufarbeitung zu leisten und private Projekte – wie das Archiv von Werkstattfilm – zu fördern. Während der dreijährigen Vorarbeiten zur Gedenkwand habe sich niemand für seinen Forschungsstand interessiert. „Es hat in Oldenburg System, solche Fragen in geschlossener Gesellschaft zu diskutieren“, sagt er. Regionale Projekte und vor allem Schulen und die Universität müssten stärker in die Erinnerungsarbeit einbezogen werden. Unfreiwillige Wohnorte in den Mittelpunkt eines Denkmals zu stellen und die entscheidenden Zusammenhänge „irgendwo im Internet“ nachzureichen, nennt er absurd.
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