Nahost-Film „Bethlehem“: Wer spricht, der lügt

Spannend und authentisch – „Bethlehem“ ist ein faszinierender Film über einen israelischen Geheimdienstler und seinen palästinensischen Informanten.

Männergespräch: Geheimdienstagent Razi und der Palästinenser Sanfur. Bild: Real Fiction

„Ein Mann zu sein heißt arbeiten, lernen, mit dem Rauchen aufhören, wenn man es will“, sagt Razi zu Sanfur. Razi hat schwarze lockige Haare. Mit seinem Bart könnte man ihn für einen gläubigen Muslim halten. Wenn er nervös ist, raucht er. Aber jetzt sitzt er ganz ruhig auf dem Sofa und sagt zu Sanfur: „Man ist wie die Leute, mit denen man zusammen ist. Warum gibst du dich mit Halbstarken aus Beit Sahur ab?“ Sanfur ist 17, und die Jungs aus Beit Sahur hänseln ihn, er sei ein Feigling. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Ibrahim.

Sanfur kommt aus einer muslimischen Familie in den Palästinensergebieten, Razi ist jüdisch und arbeitet beim israelischen Inlandsgeheimdienst Schabak. Sanfurs großer Bruder Ibrahim ist Chef der Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden von Bethlehem. Ein Blick und drei Sätze zeigen, dass Razi sich um Sanfur sorgt, aber auch genau weiß, was er von Sanfur will und wie er es bekommt. Sanfur wiederum erfährt von Razi die Anerkennung, die ihm zu Hause keiner gibt.

„Bethlehem“ heißt Yuval Adlers außergewöhnlicher Spielfilm, der laut Verleih „einen beispiellosen Einblick in die düstere und faszinierende Welt der Geheimdienste gewährt“. Das ist nur zur Hälfte richtig, weil Regisseur Adler und sein Kodrehbuchautor Ali Waked gerade zeigen, dass die Welt der Geheimdienste nicht düsterer oder faszinierender ist als jede x-beliebige Familie oder Bürogemeinschaft. Überall erscheinen persönliche Beziehungen beständiger als Loyalitäten, die auf gemeinsamen Zielen basieren. Und es wird überall gelogen.

„Nichts kann unsere Beziehung verändern“, sagt Razi, nachdem er herausfindet, dass Sanfur ihn betrogen hat. „Du bist ein Lügner“, antwortet Sanfur, weil er weiß, dass er von Razi manipuliert wird. Weil Razi Sanfur aber auch liebt, will er ihn nicht opfern. Also lügt Razi seinem Chef ins Gesicht. Das Gespräch mit einem anderen Informanten beginnt Razi so: „Abu Yunes, warum hat der Mensch die Sprache erfunden?“ Die Antwort: „Damit er lügen kann!“

Keine Profischauspieler

„Bethlehem“ ist ein so spannender wie intelligenter, ein so emotionaler wie erhellender Film. Regisseur Yuval Adler, promovierter Philosoph, hat das Drehbuch mit dem Journalisten Ali Waked geschrieben. Waked und Adler haben jahrelang über die Methoden des Schabak recherchiert, sich mit Al-Aksa-Kämpfern und Hamas-Leuten getroffen. Waked hat einige Jahre in Ramallah und Gaza gelebt. Wegen seiner „Nähe“ zum bewaffneten Arm der Fatah haben ihm die israelischen Behörden einmal den Presseausweis konfisziert. Von dieser Nähe profitiert „Bethlehem“ in prägnanten Skizzen über die Korruption in der Palästinenserbehörde und die Konkurrenz zwischen Fatah und Hamas.

Dass „Bethlehem“ einen authentischen Blick vermittelt, liegt auch an den drei Hauptdarstellern, die keine Profischauspieler sind. Der charismatische Palästinenser Haitham Omari etwa, der selbst beide Intifadas mitgemacht hat, spielt den Chef der Al-Aksa-Brigaden. Gesprochen wird vor allem Arabisch und ein bisschen Hebräisch, der Film ist untertitelt.

Die linke Filmkritik in Israel hat „Bethlehem“ vorgeworfen, zu wenig über den Konflikt zu sagen, was Unsinn ist. Denn erstens erzählt „Bethlehem“ ständig, wenn auch lapidar, wie wenig Routine es geben kann in einem Gebiet, das weit von staatlicher Souveränität entfernt ist und in dem die israelische Armee willkürlich Häuser demoliert. „Welches Taxi fährt nach Bethlehem?“, fragt Sanfur. „Keines“, antwortet ein Fahrer. „Der Checkpoint ist geschlossen.“

Zweitens begibt sich „Bethlehem“ an den neuralgischen Punkt der Beziehungen zwischen Menschen und Kollektiven, die gute Gründe haben, solche Beziehungen nicht haben zu wollen, aber gar nicht anders können, als welche zu haben. „Eine Nutte darf sich nicht in ihre Freier verlieben“, sagt Razis Chef. Aber was passiert, fragt „Bethlehem“, wenn der Freier attraktiv ist? Was, wenn die Verliebten sich hinter der Behauptung verstecken, dass ihre Gefühle nur Teil eines Deals sind, weil sie sich mit ihrem wahren Verhältnis zueinander nicht beschäftigen wollen?

„Bethlehem“ handelt nicht von den Ursachen des Konflikts, er klagt niemanden an. Er zeigt die Verwicklungen in einer Nachbarschaft, deren Gassen so eng sind, dass man einiges an Verdrängung leisten muss, um den anderen im Haus gegenüber erfolgreich auszublenden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.