Machtkampf in der Ukraine: Straßenschlachten in Kiew

Die Annäherungsversuche von Präsident Janukowitsch reichen den Ukrainern nicht. Wieder brennen Barrikaden. Ein weiterer Demonstrant ist gestorben.

Bürgerkriegsähnliche Zustände in der ukrainischen Hauptstadt. Bild: dpa

KIEW ap/rtr/afp | In der ukrainischen Hauptstadt ist ein weiterer Demonstrant gestorben, der bei schweren Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Polizisten verletzt worden war. Die ersten Zugeständnisse der Regierung im Machtkampf um die Ukraine haben keine Entspannung gebracht. Erneut ist es in Kiew zu schweren Zusammenstößen zwischen Protestlern und Polizisten gekommen.

Wie die Freiheitspartei am Samstag berichtete, handelt es sich bei dem Toten um einen 45-Jährigen, der am Mittwoch in der ukrainischen Hauptstadt Schüsse in die Brust erlitten hatte. Mit mehreren Operationen sei vergeblich versucht worden, den Mann zu retten, teilten die Gesundheitsbehörden mit.

Damit steigt die Zahl der Todesopfer bei den Unruhen der vergangenen Tagen nach Angaben der Veranstalter der regierungskritischen Kundgebungen auf sechs. Die Regierung spricht dagegen von drei Toten.

Aufgebrachte Demonstranten lieferten sich am Samstag im Herzen der Hauptstadt schwere Straßenschlachten mit Bereitschaftspolizisten. Mehrere Menschen wurden verletzt, etliche weitere festgenommen.

Die Demonstranten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben nach Angaben der Regierung am Samstag versucht, das Energieministerium zu erstürmen. Energieminister Eduard Stawytsaki sagte der Nachrichtenagentur Reuters, am Morgen seien rund 100 bewaffnete Demonstranten aufgetaucht und hätten versucht, das Schlüsselministerium zu erobern.

Er habe den Demonstranten klargemacht, dass sie die Energieversorgung im ganzen Land lahmlegten, wenn sie nicht abzögen, berichtete der Minister telefonisch aus dem Gebäude. Zwar seien die Demonstranten zunächst abgezogen, doch die Gefahr sei nicht gebannt. Die Protestierenden blockierten nach Angaben der Sicherheitskräfte nun den Eingang zum Ministerium, sagte Stawytsaki. „Was sich hier abspielt, ist eine direkte Bedrohung für das gesamte Energiesystem der Ukraine“, warnte der Minister.

Unter dem Druck der Unruhen, die inzwischen fast die Hälfte der Ukraine erfasst haben, hatte Präsident Wiktor Janukowitsch nur wenige Stunden zuvor nachgegeben: Das Kabinett solle kommenden Dienstag bei einer Sondersitzung umgebildet sowie eine Amnestie für Dutzende inhaftierte Oppositionelle gewährt werden, kündigte er am Freitag bei einem Treffen mit religiösen Führern an. Auch wolle er die strengen Anti-Demonstrationsgesetze lockern.

Doch der Opposition ging das nicht weit genug. Der einzige Weg, um die Straßenproteste zu beenden, sei der Abgang Janukowitschs, betonte Oppositionsführer Vitali Klitschko. „Noch vor einem Monat wäre der Maidan nach Hause gegangen“, erklärte er in Anlehnung an den Kiewer Unabhängigkeitsplatz, der inzwischen zum Synonym für die Proteste geworden ist. „Heute fordern die Leute den Rücktritt des Präsidenten“, fügte der ehemalige WBC-Schwergewichts-Boxweltmeister hinzu.

Einsatz von Tränengas

Wenig später brannten Demonstranten am Maidan die Barrikaden ab, die sie aus alten Möbeln und Eistüten errichtet hatten. Riesige Feuerbälle erleuchteten den Nachthimmel über der Altstadt Kiews, dichte schwarze Rauchwolken stiegen aus abgefackelten Reifen auf. Demonstranten schleuderten Rauchbomben, Steine und Feuerwerkskörper auf Bereitschaftspolizisten. Die Beamten reagierten mit dem Einsatz von Tränengas. Dutzende Verletzte wurden in behelfsmäßig eingerichtete Kliniken in der Umgebung gebracht.

„Wir werden die Behörden dazu zwingen, uns zu respektieren“, sagte einer der Demonstranten, der 27-jährige Artur Kapelan. „Nicht sie, sondern wir werden die Bedingungen eines Waffenstillstands vorgeben.“

Zur aufgeheizten Stimmung bei den bis vergangenen Sonntag relativ friedlichen Protesten trug vor allem die kürzliche Verschärfung des Demonstrationsrecht bei. Neben dem Tod zweier Demonstranten bei Zusammenstößen diese Woche wurde die Wut auch durch den Bericht eines Mannes angefacht, der nach eigenen Angaben nach seiner Verhaftung an einer Barrikade von Polizisten bei klirrender Kälte nackt ausgezogen, geschlagen und gedemütigt worden war. Ein im Internet verbreitetes Video von der Misshandlung löste einen Aufschrei der Empörung aus.

Anlass der Massenproteste war zunächst Janukowitschs Abkehr von einem bereits ausgehandelten EU-Assoziierungsabkommen, doch richtete sich der Widerstand rasch allgemein gegen seine Regierung. In der Zwischenzeit erhielt Janukowitsch die Zusage für Milliardenkredite von Russland.

Brüssel setzte seine Vermittlungsbemühungen im Machtkampf um die Ukraine fort: EU-Erweiterungskommissar |tefan Füle flog am Freitag nach Kiew, um mit Janukowitsch und der Opposition eine Lösung zu finden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.