Buch „Apokalypse jetzt!“: Der individuelle Konsumstreik

Ein Jahr lang hat unsere Autorin nichts eingekauft und alles selbst hergestellt. Was dabei herauskommt, wenn man die Dinge wieder selbst in die Hände nimmt.

Darf beim Selbstversuch nicht fehlen: Werkzeug. Bild: dpa

Ich trage einen Deckel auf dem Herzen. Seit einiger Zeit baumelt ein alter goldener Aluminiumdeckel um meinen Hals. Früher hat er ein Glas Apfelmus verschlossen. „Ist das eine Medaille?“, fragte mich einmal ein Sportler und nahm das Ding prüfend in die Hände. „Ist das ein Instrument?“, fragte ein Kind und drückte auf die Deckelmitte, bis es ploppte. „Ist das eine Schnupftabakdose?“, fragte mich ein Raucher. Und ich schüttelte immer den Kopf und antwortete: Nein, das ist einfach nur ein Deckel.

Als ich das Teil aus dem Abfall fischte, zwei Löcher durchdrückte und eine Kette durchfummelte, hatte ich gerade meinen Konsumstreik begonnen. Im vergangenen Jahr wollte ich versuchen, nichts mehr zu kaufen: keine Klamotten, keine Möbel, kein Geschirr, keine Technik, keinen Schmuck. Theoretisch war es mir schon lange klar. Die Postwachstumsmahner und Schrumpfökonomen hatten ja recht: Wir können nicht immer mehr Schätze und Erträge aus unserer Welt herausholen. Aber was hatte das mit mir zu tun? Hatte ich eine Wahl? Konnte sich eine Einzelne aus den Konsumstrukturen herauslösen? Es kam auf einen Versuch an.

Ein Jahr lang lernte ich, wie ein Leben im Weniger funktioniert. Auf einem autarken Hof, in einer Bauwagenkommune, im Wald. Ich schloss mich Gärtnern, Jägern und Sammlern an, lernte Holz hacken, von drei Litern Wasser am Tag zu leben – und mir Sachen ohne Geld zu beschaffen. Dabei wollte ich nicht nur tauschen, teilen und geschenkt bekommen, sondern auch Sachen selbst herstellen. Und sei es nur ein Deckel, der ein bisschen Glanz in den Verzicht bringen sollte.

Do it yourself – das war doch groß im Kommen. Allerdings gab es ein nicht zu unterschätzendes Problem: Ich kann nichts. Probleme kann ich vielleicht mit dem geisteswissenschaftlich studierten Kopf, nicht aber mit meinen zwei linken Händen lösen. Ich habe keinerlei handwerkliches Vermögen, kein technisches Verständnis, kein Werkzeug.

Kleider umschneidern?

Da saß ich in meiner Altbauwohnung in einer deutschen Großstadt. Warum hatte ich mir nicht von meiner Mutter zeigen lassen, wie man Kleidung umschneidert? Warum hatte mir mein Vater nicht gezeigt, wie man Möbel baut? Sie konnten das. Als Ostdeutsche waren sie in der Mangelwirtschaft der DDR dazu gezwungen, mit dem wenigen Verfügbaren umzugehen. Aber nach Dekaden des erzwungenen Verzichts wollten wir damals alle nur das eine: haben, haben, haben. So bin ich aufgewachsen – wie ein Indianerkind, das sich von den Männern aus dem Westen die Bude voller Glasperlen hat schütten lassen.

Greta Taubert: „Apokalypse jetzt! Wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite“. Eichborn-Verlag, 285 Seiten, 16,99 Euro

25 Jahre später sitze ich zwischen all dem Schund und bemerke, dass er die Sucht nach Neuem nicht stillen konnte. Im Gegenteil: Wie bei einer billigen Droge garantierte er zwar ein paar geile Trips, aber der große Kater war vorprogrammiert. Bei mir setzte er ein, als sich die Bankenkrise zur Finanzkrise zur Eurokrise hin zur Sinnkrise des westlichen Wohlstandsverständnisses steigerte. Diese Gier nach mehr, von der damals die Rede war, ließ sich nicht nur auf Banker und Broker reduzieren. Sie war ein Stück weit auch in mir. Und so beschloss ich, auszusteigen, kalten Entzug zu machen.

Bei dem Versuch, mich im Weniger einzurichten, lernte ich viel. Nicht nur über Handwerkstechniken. Zuerst stellte sich die Frage, woher ich überhaupt die Ausgangsmaterialien bekommen konnte, wenn ich sie nicht kaufte. Mülltaucher zeigten mir, die Reste der Wegwerfgesellschaft zu bergen. Ich verbrachte Stunden auf Sperrmüllhöfen, auf Verschenkmärkten, im Netz. Alles, was woanders überflüssig geworden war, wurde für mich zum Rohstoff. Konservengläser. Sie taugten als Teelichter, Blumenvasen oder Baumaterial, ihr Deckel wurde zum Körperschmuck.

Das hat meinen Blick grundlegend verändert: Mein Zeug und das von anderen Menschen betrachte ich heute als wertvoll. Müll existiert im Grunde nicht mehr – außer vielleicht bei benutzten Tampons oder abgebrannten Streichhölzern. Für den Rest gilt: Alles, was entsteht, ist wert, dass es wiederaufersteht.

Pappkartons, Paletten, Altpapier

Diese neue Lust an der Reinkarnation der Dinge brachte mich in Kontakt mit der Szene von Designern, Bastlern und Künstlern, die sich dem sogenannten Upcycling verschrieben hat. Im Netz postet sie Baupläne und Bastelanleitungen, wie sich aus Altem etwas Neues machen lässt. Die Crowd antwortet mit Bildern, Verbesserungsvorschlägen und Ergänzungen. Ich baute aus Pappkartons Hocker, aus Paletten Möbel, aus Altpapier Lampen. Was ich als Kind versäumt hatte, mir von meinen Eltern erklären zu lassen, hole ich mir jetzt aus dem Netz. Zugegeben: Was bislang dabei herauskam, sieht ziemlich dilettantisch aus. Aber ich lerne weiter, werde allmählich besser.

Beim Do-it-yourself geht es für mich mittlerweile auch nicht nur darum, die eigenen Hände zu benutzen, sondern zuerst den eigenen Kopf. Selbst zu definieren, was Design, Mode oder eben Schmuck sein kann, ist schon der erste Schritt bei der Emanzipation von der Konsumindustrie. Der Deckel um meinen Hals erinnert mich daran, dass ich es bin, die entscheidet, was wertvoll ist – nicht das Markenlogo oder das Preisschild.

Mit jedem Teil, das ich mir selbst anfertigte, rückte ich näher an die Dinge heran. Um an Material zu kommen, musste ich mich in Mülleimer fallen lassen, mit den Händen die Qualität prüfen, auf fremde Menschen zugehen und um Hilfe bitten, meine Nachbarn um ihr Werkzeug anhauen, herumprobieren, scheitern, neu ansetzen. Das war nicht immer lustig. Meistens bedeutete das Stress. Ohne Geld war ich gezwungen, mich mit den Dingen auseinanderzusetzen und zu überprüfen, was ich wirklich brauchte.

„Das kalte harte Cash entfernt uns von den Dingen und den traurigen zerstörerischen Umständen ihrer Produktion“, schreibt der britische „Moneyless Man“ Mark Boyle in seinem Manifesto. Je weiter wir von den Produktionsketten entfernt seien, umso eher neigen wir zur Verschwendung. Nach einem Jahr habe ich das begriffen, bin heute aber trotzdem froh, keine Moneyless Woman mehr sein zu müssen. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht wiederverwerten oder teilen – zum Beispiel Klebstoff, Grundmaterial des DIY. Den kann man nur schnorren oder klauen.

Ausflug in die Geschäfte

Außerdem muss ich manchmal etwas dazukaufen, damit ich Reste in etwas Neues, Schöneres verwandeln kann. Das bedeutet: Ich muss wieder rein. Ich mache gerade wieder erste Ausflüge in Geschäfte. Ich bin von den Möglichkeiten überfordert und vom Werbegelaber aus den Lautsprechern genervt. Wie der Ossi-Indianer stehe ich dann wieder da, fasziniert und fassungslos.

Aber es waren nicht nur Dinge, an die ich näher heranrückte, sondern auch Menschen. Gerade als blutiger Anfänger war ich auf die Hilfe anderer angewiesen. Ich entdeckte offene Werkstätten, Repaircafés und urbane Gärten, in denen konsummüde Großstädter zusammenkommen und sich dabei helfen, wieder fähig zu sein.

Diese Labore des Selbermachens sind nicht effizient. Sie sind nicht konkurrenzfähig. Da wird ziemlich viel rumgesessen, Tee getrunken, eine Idee diskutiert, eine Idee verworfen, ein bisschen rumgefummelt, gelacht, sich herzlich verabschiedet. Aber sie zeigen, dass ein Leben außerhalb von Konsumstrukturen auch ein Mehr bedeutet. Mehr Unabhängigkeit, mehr Verbundenheit, mehr Gemeinschaft.

Wenn heute jemand auf meine Kette zeigt und sagt: „Ach, das ist ja nur ein Deckel!“, dann schüttele ich den Kopf. Das war er mal. Für mich ist er jetzt viel mehr.

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