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Pro & Contra Mindestlohn für PraktikantenUnbezahlbar, unbezahlt

Kommentar von Lan-Na Grosse und Fumiko Lipp

Mindestlohn für Praktikanten nur in Ausnahmefällen: Eine Farce? Oder die richtige Entscheidung? Zwei taz- Praktikantinnen debattieren.

Praktikantenaufgabe Kaffeekochen? Bild: dpa

P ro:

Der Mindestlohn bleibt eine Utopie. Wir sind die Generation Praktikum, für unsere Eintrittskarte in die Arbeitswelt sammeln wir Berufserfahrung vor dem Beruf. Für wenig und manchmal auch gar kein Geld. Daran haben wir uns gewöhnt, der Spruch von den Lehr- und den Herrenjahren klingelt in unseren Ohren.

Lange war der Mindestlohn deshalb wie der Heilige Gral, eine Verheißung, an der „Nur gucken, nicht anfassen“ geschrieben stand. Unerreichbar für uns. In der Debatte über den Mindestlohn wurden wir immer wieder übergangen, früh war klar, dass Praktikanten die Ausnahme sein sollen.

Jetzt heißt es, er sei auch für uns zum Greifen nah – eine Farce. Denn nur Praktikanten, die nach Ausbildungs- oder Studienabschluss länger als vier Wochen in einem Unternehmen hospitieren, sollen Anspruch auf 8,50 Euro pro Stunde haben. Die Mehrheit bliebe die Ausnahme.

Dabei ist das Hauptargument ziemlich simpel: Praktikanten seien keine Arbeitnehmer und müssten dementsprechend auch nicht wie Arbeitnehmer bezahlt werden. Genauso wenig wie Ehrenamtliche und Auszubildende – eine sehr freie Interpretation der Realität, um nicht zu sagen: eine Verarschung.

Denn Ehrenamtliche machen ihre Arbeit freiwillig, sie haben sich bewusst dafür entschieden, einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Unentgeltlich. Das ist wirklich nett. Aber kein Praktikant will einfach nur nett zu seinem Unternehmen sein – und kaum einer macht sein Praktikum freiwillig.

Die meisten machen ihr Praktikum, weil sie es müssen. Weil es Ausbildung und Studium vorsehen (Praxis), weil es der Arbeitgeber verlangt (Kennenlernen), weil der Arbeitsmarkt nichts anderes hergibt (Prekariat). Oder weil uns erzählt wird, ein Praktikum bringe unbezahlbare Einblicke und Erfahrungen in die Berufswelt (der perfekte Lebenslauf). Ja genau, unbezahlbar und unbezahlt.

Wer ein Praktikum macht, muss es sich leisten können. Wochenlang, monatelang. Wer es nicht kann, soll sich mit Mitte, Ende zwanzig eben noch mal von den unterhaltszwangsverpflichteten Eltern aushalten lassen. Oder hat Pech gehabt. Daran wird sich nichts ändern: Herzlich willkommen in der Zweiklassengesellschaft des Prekariats.

Die Zeiten, in denen Praktikanten nur zum Kaffeekochen eingestellt wurden, sind lange vorbei. Tausende sitzen auf „echten“ Arbeitsstellen, machen die gleiche Arbeit wie ihre besser bezahlten Kollegen. Trotzdem sagt ihnen der Kontoauszug am Ende des Monats, dass sie nur zum Lernen da sind, noch in der Ausbildung stecken.

Zukünftig sollen wenigstens längere Praktika nach Abschluss der Ausbildung mit dem Mindestlohn bezahlt werden. Doch der Ausbildungsbegriff ist dehnbar: In Praktikumsausschreibungen werden schon heute junge Leute am Ende ihrer Ausbildung gesucht, im Haupt- oder Masterstudium, mit Zusatzqualifikationen und Vorerfahrungen. Mit Berufserfahrung für die Berufserfahrung. Auch daran wird sich nichts ändern.

Oft wurde uns erzählt, wir bekämen den Lohn für geleistete Arbeit in einem späteren Job zurück. Schließlich seien wir dann gut ausgebildet und verdienten dementsprechend. Doch mittlerweile sollte sich rumgesprochen haben, dass gerade in typischen Praktikumsbranchen die Jobs rar, unsicher und schlecht bezahlt sind. Der Journalismus ist eine solche Branche. Hier gibt es keine Perspektive auf eine gut bezahlte Festanstellung, keinen Lohn mit Verspätung.

Natürlich haben Praktika ihre Berechtigung, für viele sind sie sinnvolle Praxiserfahrung, für manche tatsächlich ein Berufseinstieg. Trotzdem sind wir erst mal nur billige Arbeitskräfte, denen jetzt das Recht anderer Billigkräfte verwehrt werden soll. Das Recht auf Mindestlohn, ein egalitäres Gut. (Lan-Na Grosse)

Contra:

Der Mindestlohn ist eine Dystopie. Angenommen, heute wäre Mindestlohn, müssten Sie wahrscheinlich auf einen der Texte hier verzichten. Zwei Praktikanten könnte sich dieses taz-Ressort nämlich nicht mehr leisten. Die taz müsste, wie viele Unternehmen unterschiedlicher Branchen, ihre Stellen für Praktikanten immens kürzen. Wir wären schlicht zu teuer. Unser Versuch, einen Platz zu ergattern, würde damit zum erbitterten Kampf. Ein Mindestlohn für alle Praktikanten mag gerecht klingen, doch er würde unsere Situation nur noch verschlimmern. Denn er zementiert das "System Praktikum".

Angenommen, heute wäre Mindestlohn, ginge es vor allem in Kultur und Medien blutig zu, denn schon jetzt bewerben sich zu viele auf die schlecht bezahlten Stellen. Die beliebten Praktikumsbranchen leiden an chronischer Unterfinanzierung, ständig wachsenden Sparvorgaben, aber auch an der fehlenden Zahlungsbereitschaft ihrer Konsumenten. Sie brauchen Billigkräfte wie uns und wir die Berufserfahrung. Ohne einen mit Praktika prall gefüllten Lebenslauf haben wir keine Chancen auf den Berufseinstieg. Es ist eine scheinbar perfekte Symbiose: Praktikanten tauschen Arbeitskraft gegen Erfahrung, Unternehmen sichern ihre Existenz in der Branche. Der Mindestlohn wäre der Tod für beide Partner.

Um das Gemetzel zu verhindern, plant die Politik Ausnahmen: Praktika im Rahmen der Ausbildung. Sie sollen auch weiterhin ohne Lohnuntergrenze auskommen. Machen müssen wir sie trotzdem, oft sind sie Pflicht, sonst eine nachdrückliche Empfehlung. Wir Studenten und Auszubildende sind im "System Praktikum" gefangen und werden weiterhin als Billiglöhner auf den Markt geschwemmt.

Angenommen, heute wäre Mindestlohn, Absolventen gingen wohl leer aus, schließlich kosten sie dann 8,50 Euro die Stunde, ähnlich wie ein Angestellter - Jobs ohne vorheriges Praktikum im Hause blieben für Absolventen dennoch unerreichbar. Also könnten wir die Ausbildung künstlich verlängern, uns an Universitäten einschreiben und hundert plus x Euro Verwaltungsgebühr zahlen, falls es mit dem Mindestlohn-vergoldeten Praktikumsplatz nach Abschluss nicht klappt.

Und da bliebe noch ein Schlupfloch, das niemand infrage stellt: ehrenamtliche Arbeit, die, wie gehabt, unvergütet bleiben soll. Schließlich ist ein Praktikum doch auch ein freiwilliges Amt auf Zeit, das nicht auf Entgelt ausgerichtet ist. Stellen gäbe es damit wieder genug, schließlich verursachen wir dann keine Kosten mehr. Außer die, auf denen wir selbst sitzenblieben.

Bisher überweisen manche Unternehmen wenigstens eine monatliche "Unterstützung", bei der taz sind es 200 Euro. Sie sollen uns beim möglichen Umzug in eine andere Stadt unterstützen, bei den Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel, und in der Kantine Mittagessen sollten wir auch. Diese Almosen fielen dann dem Ehrenamt zum Opfer - Mindestlohn sei Dank - uns Praktikanten bliebe die Ehre.

Angenommen, heute wäre … es wäre nichts besser. Unser Problem liegt im System. Der Mindestlohn hätte lediglich den Effekt einer Schmerztablette: Er überdeckt zwar die Symptome, nicht aber die Ursachen. (Fumiko Lipp)

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9 Kommentare

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  • Nach einem Masterabschluss und diversen unbezahlten Praktika stecke ich nun - wie tausende andere HochschulabsolventInnen auch - in einem (wissenschaftlichen) Volontariat. Bruttostundenlohn: Ca. 5.50€ - und damit bin ich noch verhältnismäßig gut dran, verglichen mit anderen Volostellen.

    VolontärInnen tauchen in der aktuellen Diskussion um einen Mindestlohn leider kaum auf, wir scheinen auch für die Gewerkschaften nicht zu existieren (zumindest hier in NRW fühlt sich Ver.di nicht zuständig).

  • Nach einem Masterabschluss und diversen unbezahlten Praktika stecke ich nun - wie tausende andere HochschulabsolventInnen auch - in einem (wissenschaftlichen) Volontariat. Bruttostundenlohn: Ca. 5.50€ - und damit bin ich noch verhältnismäßig gut dran, verglichen mit anderen Volostellen.

    VolontärInnen tauchen in der aktuellen Diskussion um einen Mindestlohn leider kaum auf, wir scheinen auch für die Gewerkschaften nicht zu existieren (zumindest hier in NRW fühlt sich Ver.di nicht zuständig).

  • @Andreas Kiener: So ganz von der Hand zu weisen sind die Argumente von Frau Lipp eigentlich nicht: Das härteste Argument gegen den Mindestlohn allgemein ist ja, dass sich die Lohnschere am besten noch weiter spreizen müsse, um es für Arbeitgeber attraktiv zu machen, Arbeitsplätze zu schaffen und sie nicht in Billiglohnländer zu verlagern. Nur ist es die gespreizte Schere, die sauer aufstößt! Wessen Arbeit ist wieviel wert? Warum hat für einige vor 20 Jahren ein Volontariat direkt nach dem Abi gereicht, um Starjournalist zu werden, während andere niemals genug Wissen und "Erfahrungen" sammeln können,

    um "fertig ausgelernt" zu sein? Lernt man nicht sowieso ein Leben lang? On the Job? Lanna Grosse hat Recht, ein mit schlecht entlohnten Praktika vollgestopfter Lebenslauf führt nicht zwangsläufig dazu, dass man irgendwann einen Traumjob am oberen Rand der Einkommensskala hat. Auch weil "Praktikum" oft mit "hat nicht für 'was Richtiges gereicht" übersetzt wird. Und es gibt ja immer noch genug, die nach der Promotion in Germanistik oder Vor- und Frühgeschichte, irgendwann mit Ende 30 abgeschlossen, die Abkürzung nehmen und direkt Kurator, Unternehmensberater oder Salon-Intellektueller werden. Da ärgert man sich schon, wen man ein Leben lang "Erfahrungen" gesammelt und sich zur "eierlegenden Wollmilchsau" weitergebildet hat, um dann im Endeffekt für 1 Euro 50 die Stunde die Kulturlandschaft einer Stadt zu bereichern oder schlicht Klos zu putzen...

  • Die Bundestagsfraktionen gehen mit schlechtem Vorbild voran: Sie nehmen nur Prädikatsabsolventen als Praktikanten und in der letzten Legislaturperiode hat nur eine der Fraktionen ihre Praktikanten überhaupt bezahlt - die FDP (lächerliche 500 EUR/Monat). Argument: Der Vorteil im Lebenslauf ist genug Entlohnung!

  • "Angenommen, heute wäre Mindestlohn, Absolventen gingen wohl leer aus, schließlich kosten sie dann 8,50 Euro die Stunde, ähnlich wie ein Angestellter - Jobs ohne vorheriges Praktikum im Hause blieben für Absolventen dennoch unerreichbar. "

     

    Das ist ganz großer Quatsch! Würde denn wirklich die zeitung einfach keinen mehr einstellen, nur wqeil er kein (unbezahltes) Praktikum gemacht hat? Könnte es sich IRGENDEINE Zeitung erlauben, darauf zu verzichten Personal einzustellen? Macht sich die Arbeit dann von alleine? Nein! Würde die Zeitung dann unausgebildete einstellen anstatt von Absolventen? Sicher auch nicht! Nur wäre niemand mehr gezwungen sich u.U. jahrelang von den Eltern aushalten zu lassen bevor er endlich einen bezahlten Job bekommt.

  • Andreas Kiener , Autor*in ,

    Ich halte der Argumentation von Fumiko Lipp folgendes entgegen:

     

    Wenn es weniger Praktikumsplätze gibt, weil sie zu teuer sind, dann wird es über kurz oder lang einfach nicht mehr so wichtig sein, viele Praktika gemacht zu haben. Weniger Praktikumsplätze heißt ja auch, dass das "Wettrüsten" abnimmt - dann ist es eben nicht mehr Standard, fünf Praktika gemacht zu haben, sondern dann reichen vielleicht zwei. Insgesamt wird es nicht schwieriger, einen Job zu bekomme. Man muss nur nicht mehr ewig für einen Hungerlohn arbeiten, um irgendwann einmal auch richtig bezahlt zu werden.

    • @Andreas Kiener:

      Ich denke, dies muss von Beruf zu Beruf differenziert betrachtet werden.

       

      In meinem Tätigkeitsbereich (Bereich Pflegemanagement; Studium Rechtswissenschaften und Gerontologie) würde es schwierig.

       

      Nicht erst seit dem Umstieg auf das Bachelor-/Mastersystem sondern auch wegen der "Wissenschaftsfreiheit" der Universitäten kommt ein Jurist bestenfalls mit Halbwissen aus dem Studium. Er ist gerade einmal leidlich berufsfähig, auf gar keinem Fall jedoch berufsfertig. Dies liegt an der Leidenschaft der deutschen Professoren für theoretische (und damit praktisch unwesentliche) Probleme. Jeder Student könnte staatsrechtlich den Bundespräsidenten bei einer Klage gegen den Bundeskanzler beraten - sozialrechtliche Grundkenntnisse, Ordnungswidrigkeiten, Verkehrsrecht, schlicht das Gros der anwaltlichen Tätigkeit kommt im Studium praktisch nicht vor. Ohne mehrere Praktika wäre ich nach dem Studium verloren gewesen, denn eine Kanzlei, die viel Geld, Zeit und Arbeitskraft investiert, um innerhalb von ca. einem Jahr die Berufsausbildung zu komplementieren finden nur ca. 1/3. Bei Gerontologie sieht es etwas besser, aber nicht gut aus. Auch hier ist man nach dem Studium mit Theorie vollgestopft, die in der Praxis keine Anwendung findet, schon allein, weil das Studium viel zu allgemein gehalten ist, um für die Berufspraxis auszureichen und die Lehre der (sich derzeit mit Siebenmeilenstiefeln bewegenden) Praxis um Jahre hinterher hechelt. Nach dem Studium – da muss man schon selbstkritisch und ehrlich sein – sind viele Absolventen keine 8,50 €/h wert, sie kosten ein Vielfaches. Erst durch die Kombination des angeeigneten Wissens und (im Praktikum auch unter Schutzbedingungen gemachten) ersten Erfahrungen entsteht ein Arbeitnehmer. Dies bereits vor Beginn des Studiums zu akzeptieren ist notwendig. Ansonsten muss man halt ein Studium wählen, das einen als „berufsfertig“ entlässt. Vielleicht ist das ja bei Journalisten der Fall.

      • C
        cosmopol
        @Cerberus:

        Ohje, also ich dachte ja immer ein*e "Arbeitnehmer*in"(1) entstünde ganz kategorisch wenn er*sie für jemand anderes arbeitet. Und deine komplette Kritik bezieht sich im Kern auf die Praxisnähe von Studiengängen (darüber ließe sich in der Tat gut reden), nicht auf die Sinnhaftigkeit eines Mindestlohnes.

         

        (1)den Begriff finde ich ja eh verdreht, wer die Arbeit(skraft) nimmt ist immer noch die Person, die irrigerweise als "Arbeitsgeber" tituliert wird...

    • @Andreas Kiener:

      Ganz genau. Man bekommt dann einfach schneller einen gut bezahlten _richtigen_ Job. Ist kein Problem, muss halt nur der Staat ordentlich Subventionen zuschiessen. Auch die taz wird dann irgendwann verstaatlicht, denn wer zahlt schafft an.

      Den Mindestlohn in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf!