Kolumne Zumutung: Ist das ein Überfall?
Eine gewisse Grundbrutalität scheint bei Berliner Fahrkartenkontrolleuren verpflichtend zu sein. Muss das denn sein?
Wann immer es geht, bemühe ich mich um ein ausgeglichenes Auftreten meinen Mitmenschen gegenüber. Ich will höflich sein und respektvoll. Und wenn mich jemand nervt, dann greife ich in mein argumentatives Deeskalationskästlein, in dem ich folgende Sätze finde: „Der darf das“ oder „Die hat’s bestimmt auch nicht leicht“ oder „Ist gleich vorbei.“
Diese passive Gutfindmacke habe ich von meinen Eltern geerbt, die bemüht waren, ihren Kindern Respekt gegenüber Erwachsenen beizubringen. So kommt es, dass ich bis heute selbst in der herablassendsten Verkäuferin, dem frechsten Kellner noch einen Menschen zu erkennen versuche, den persönliche Probleme zu jener Zumutung geformt haben, als die er mir entgegentritt.
Es gibt aber eine Berufsgruppe, bei deren Erscheinen ich das Deeskalationskästlein sofort zuklappe: den Fahrkartenkontrolleure der Berliner S-Bahn. Ich weiß nicht, wie andere Verkehrsbetriebe das handhaben, aber in Berlin scheint eine gewisse Grundbrutalität Einstellungsvoraussetzung zu sein, um Fahrgäste Kontrollen unterziehen zu dürfen.
Zudem scheinen die Herren – und wenigen Damen – versichern zu müssen, sich vor Schichtbeginn weder zu waschen noch gewaschene Klamotten überzustreifen. Eine weitere Bedingung: die eigene Kleidung durch Kettenrauchen zu versotten – und zwar so sehr, dass die Fahrgäste die Kontrolleure schon riechen, bevor sie ihrer ansichtig werden.
Bullige Schränke im Abteil
Während ich das schreibe, melden sich bereits meine Eltern im Hinterkopf. „Das sind sicher ganz ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, in die das kapitalistische System diese Leute zwingt“, rufen sie. Ja, vielleicht habt ihr recht. Aber muss das sein? Ginge das nicht ein wenig freundlicher? Und wäre es nicht großartig, wenn in einer Touristenstadt wie Berlin Fahrkartenkontrolleure nicht aussähen, als würden verirrte Spanierinnen und angetrunkene Dänen ohne ABC-Ticket abgeführt und eingesperrt?
Hinzu kommt mein Groll darüber, dass diese Berliner S-Bahn mir zwar bullige Schränke ins Abteil stellt, denen gegenüber ich mich als berechtigt erweisen muss, dass jedoch andererseits die S-Bahn selbst nur sehr mäßig ihrem Transportauftrag nachkommt. Vergessen wir mal die Minus-20-Grad-Winter – so eine Weiche friert auch mal ein. Aber dass die Bahn auch bei gutem Wetter immer wieder einfach gar nicht fährt und ich nicht erfahre, warum das so ist, das beleidigt mich. Und diese Kränkung übertrage ich umstandslos auf die einzigen Personen, die die S-Bahn vertreten: die müffelnden Schrankmänner.
„Kann ich mal Ihren Dienstausweis sehen?“, nerve ich sie bei jedem Kontrollversuch. Und wenn sie mal wieder eine Gruppe Touristen dingfest gemacht haben, die die Einreise in die C-Zone ohne C-Ticket gewagt haben, dann werde ich bei dem Ausweis schon ein bisschen genauer. „Sind Sie das überhaupt?“, frage ich mit Blick aufs Passfoto und verwirre den Schrankmann. Was soll er sagen? „Ja, aber da war ich noch jünger und schlanker“ etwa? Mir egal, Mama und Papa. Ich darf das.
Leser*innenkommentare
Ano Nym
Immer eine Frage des eigenen Auftretens. Als regelmäßiger Schwarzfahrer habe ich meine 40€ immer dabei. Auf die unfreundliche Frage "Fahrausweis!" lächle ich, sage ihm/ihr, dass ich keinen habe. Bin trotzdem normal weiter behandelt worden, hab meinen 40er abgedrückt und den Leuten noch einen schönen Tag gewünscht und höre regelmäßig "schöne Weiterfahrt". In der tat, wie es in den Wald hineinschreit.
PS: andere in der Bahn stinken auch, auch ich manchmal
Frost
Würde die S-Bahn nicht profitieren - trotz Schwarzfaher - dann hätte man längst wieder Schaffner eingestellt . Ein paar Schwarzfahrer sind billiger , als einige Schaffner . Also was soll der ganze Zirkus ?
taz-Genosse 08/15
Also, ich bin taz-Genossenschaftler und regelmäßiger S-Bahn-Fahrer und kann mich nur wundern. Dieses Unterschichten-Bashing (Geruch und Aussehen der Kontrolleure) hätte ich eher im Boulevard erwartet. Das ist nicht witzig - das ist beleidigend. Vielleicht doch mal eher auf die eigenen Eltern hören?
JohnReed
Der Artikel ist nicht beleidigend, sondern treffend und in der Beschreibung der Protagonisten noch durchaus dezent. Und ich finde ihn auch witzig.
Dass Sie "taz-Genossenschaftler" sind, ist für Ihre Meinungsäußerung hier irrelevant.
Lowandorder
Liebe Anja Maier
seien Sie versichert -
andere können auch nicht anders;
vom gig drei des morgens
via Verbotener Stadt -> nochMeisnertown -
das rheinländische SieDuzen
- tachzusammen - entfällt so früh sogar,
zugunsten Aha-Überfall auf Pärchen mit
Schönes-Wochenendticket - ha!!…
wie? wußten Sie nicht? - hätten Sie aber …ff
kurz - auch hier - niemand weiß irgendwas
und Sprotzfleckenstinken - Ehrensache.
( …parents? nö - auch großkalibrige
vordrängelnde Hausfrauen wurden schon
in kurzen Hosen abgebürstet;
auch wennse - klar&immer -
grad was auf
der Platte hatten;
hermit
der artikel ist maßlos übertrieben. typisch berlinerisches rumgejammer. habe wenn überhaupt immer nur sehr freundliche kontrolleure und kontrolleurinnen kennengelernt. wie man in den wald ruft.... riecht hätte ich beinahe geschrieben, hab ich ja nun doch....
Erwin Wolfram
Naj wenn man das Serviceniveau der Institutionen und die Masse und Feiheit der Gehirnwaesche die noetig ist so einen job anzunehmen in Ihre kurzen Ueberlegungen miteinbezieht haben Sie noch Schriften fuer bis zum St. Nimmerleinstag und da jede Schrift noch mehr Opfer fordert, da sie zu kurz greift duerfen Sie das wirklich?
D.J.
Gast
Naja, der Berliner Amtsträger ist ja noch weniger als der Berliner an sich für sonderliche Freundlichkeit bekannt (wobei sich die Dinge in den letzten Jahren eher verbessert haben). Ob man allerdings herablassende Kommentare wie etwa zum angeblichen Geruch der Kontolleurinnen und Kontrolleure angesichts der zunehmenden körperlichen Angriffe auf diese besonders witzig findet, muss jede/r für sich selbst entscheiden. Würden Sie den Job machen wollen - sagen wir Samstagnacht 2 Uhr, verehrte Autorin?