Buch über Kraftwerk: Die Beatles des Elektropop

Ästhetik des Deutschtums? Der britische Autor David Buckley hat eine lesenswerte Geschichte der Düsseldorfer Band Kraftwerk geschrieben.

Musik und Medienkunst: Kraftwerk bei einem Auftritt in Montreux. Bild: dpa

Es ist bezeichnend, dass die Band Kraftwerk 2012 erst im MoMA in New York in einer Retrospektive gefeiert wurde, ehe die Konzertreihe ins heimische Düsseldorf kam und eine begleitende Ausstellung in München stattfand. Kraftwerk hatte im deutschen Pop eine Avantgardestellung inne, ist aber hierzulande zumeist missverstanden worden. In den Siebzigern und Achtzigern, vielleicht noch heute.

Über Kraftwerk, die mit ihrem elektronischen Sound eine wichtige Voraussetzung für Techno und House schufen, sind bereits einige Bücher geschrieben worden. Erwähnenswert wäre vor allem die Autobiografie ihres ehemaligen Schlagzeugers Wolfgang Flür, „Ich war ein Roboter. Meine Zeit als Drummer bei Kraftwerk“, erschienen 1999, gegen die Ralf Hütter und Florian Schneider, die Köpfe von Kraftwerk, seinerzeit gerichtlich vorgingen.

Nun hat der britische Autor David Buckley „Kraftwerk – die unautorisierte Biographie“ vorgelegt. Aber, das gleich vorweg: die Protagonisten Schneider und Hütter standen ihm nicht als Interviewpartner zur Verfügung.

Ausgehend vom bandeigenen Düsseldorfer Kling-Klang-Studio erzählt der Autor ausführlich die Geschichte von Kraftwerk bis ins Jahr 1990 – danach erfanden sie sich, so Buckley, nicht noch mal neu. Der Autor versieht die Bandgeschichte mit teils persönlich geprägten Kommentaren, teils politisch gefärbten Interpretationen. So sieht er im Anzugträger-Image klare Bezüge zur deutschen (Geistes-)Geschichte: „Eine oft geistreiche Anspielung auf das Deutschtum“ nennt er die Ästhetik der Band.

Das Banale in der Popmusik

Ihre Gründung 1970 beschreibt Buckley noch als Spätfolge der harmonisierenden deutschen Massenkultur, die auch die Konsumenten in erster Linie die Vergangenheit und den Holocaust vergessen lassen sollte. „Nirgendwo in der westlichen Welt war Popmusik so banal, so konformistisch, so peinlich und so platt wie in Deutschland“, so Buckley über die Ära vor 1968.

Als notwendiges Gegengewicht kam nach 1968 der sogenannte Krautrock – in dessen Fahrwasser sich Kraftwerk entwickelten. Die Musiker spielten mit der Vorstellungswelt von deutschen Technokraten genauso wie mit dem Uniformenkult der Nazizeit. Das Totalitäre, das Kraftwerk in Look, Design und Sound transportierten, schien der Mainstream kaum als ästhetisches Mittel zu kapieren.

In Deutschland, so Buckley, blieb die Medienpräsenz bis 1975 zurückhaltend, obwohl sie mit der Single „Autobahn“ 1974 einen Hit landeten. Weit größer war die Aufmerksamkeit in Frankreich und in England. Ähnlich den hochgeschätzten Krautrockbands Can, Faust und NEU! waren sie zu dieser Zeit keine Stars. NEU! hat sich dabei aus einer frühen Formation von Kraftwerk abgespalten: 1971 gründeten Klaus Dinger und Michael Rother, beide zuvor bei Kraftwerk aktiv, nach einem Streit mit Hütter und Schneider die neue Band – auch der legendäre Produzenten Conny Plank war beteiligt.

„Autobahn“ und Avatare

Für Buckley aber bildeten Hütter, Schneider, Bartos und Flür die Kraftwerk-Kernbesetzung – jene vier Musiker, die dann das Hauptwerk der Band zwischen 1975 und 1990 schufen. In dieser Zeit nahmen sie die Alben wie „Die Mensch-Maschine“ (1978) und „Computerwelt“ (1981) auf. Buckley spart nicht aus, wie wichtig für sie der Produzent Conny Plank war. Auch würdigt der Autor mit Rebecca Allen jene Frau, die die Kraftwerk-Avatare schuf und Videos mit der Band drehte.

Im Kraftwerk-Kosmos war sicher das Gesamtkunstwerk entscheidender als „nur“ die Musik. Musikalisch waren sie anders dadurch, dass sie eben nicht bloß angloamerikanische Poptraditionen importierten. Stattdessen wurden sie die „Beatles der elektronischen Musik“, wie die New York Times einmal über sie schrieb.

Überzeugend ist Buckley dann, wenn er erklärt, wie sehr Kraftwerk aus ihrer Zeit fielen. So stellten sie quasi einen Affront gegenüber dem Rock-Biz da: Mit ihrer „entsexualisierten Form zeitgenössischer Musik“, die sie „kühl und distanziert“ darboten, waren sie in etwa das Gegenteil von Rock ’n’ Roll – mit ihrem biederen Aussehen ebenso.

David Buckley: „Kraftwerk – Die unautorisierte Biographie“. Metrolit Berlin, 400 Seiten, 24,99 Euro.

Im Prinzip lässt sich mit Kraftwerk eine Erzählung des 20. Jahrhunderts schreiben. In Ansätzen wagt Buckley dies, und es gelingt. Die vollständige Geschichte der Elektroavantgardisten vom Rhein steht aber noch aus. Mehr wissen wir wahrscheinlich erst, wenn Ralf Hütter seine Memoiren vorlegt.

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