Ausstellung in Berlin: Folter auf Porzellantellern

Die Ausstellung „The Ukrainians“ in der DAAD-Galerie zeigt, dass die Putin-Invasion in der Ukraine eine lange Vorgeschichte hat.

Protest auf dem Maidan: Oleksandr Melnyk hat alles im Blick. Bild: DAAD-Galerie

BERLIN taz | Patsch. Mit sattem Klatschen landet eine Qualle auf dem Sand eines sonnigen Strandes. Und, patsch, patsch, noch eine und noch eine. Untermalt werden die Bauchlandungen der gallertartigen Nesseltiere, die da ins Bild plumpsen, von Flugzeuggeräuschen. Im Hintergrund sind zwei Fischer zu sehen.

Der Sinn der Videoarbeit des ukrainischen Künstlers Mykola Ridnyis ist schnell dekodiert, wenn man weiß, dass sich der Strand, über den dieses Quallengewitter hereinbricht, in der Krim befindet: eine visuelle Metapher der russischen Annexion der Halbinsel, kein Zweifel. Doch dann erfährt man, dass das Video von 2008 stammt.

Aus Anlass der dreisten russischen Invasion der Krim haben sich viele deutsche Intellektuelle Vorwürfe gemacht, dass man die russischen Befindlichkeiten und die geistige Lage in diesem Land zu lange vernachlässigt habe.

Vielleicht hätte aber auch die genauere Kenntnis der Weltsicht der Ukrainer dabei geholfen, die gewaltsame Übernahme der Krim vorherzusehen, die den Westen nun so kalt erwischt hat. Offenbar gab es dort bereits vor sechs Jahren Befürchtungen über eine militärische Invasion der Russen, wie sie die beschriebene Videoarbeit kaum verschlüsselt formuliert.

"The Ukrainians“ bis zum 21. Juni in der DAAD-Galerie, Diskussionsveranstaltungen am 14. Juni und am 18. Juni, jeweils um 18.30 Uhr.

Neue Einsichten

Zu sehen ist die Arbeit in einer Gruppenausstellung der Berliner DAAD-Galerie, die zeitgemäßer kaum sein könnte: „The Ukrainians“ zeigt zeitgenössische Kunst aus dem Land, in dem derzeit ein neuer, gar nicht so kalter Krieg seinen Ausgangspunkt zu nehmen scheint. Dass die Ausstellung ausgerechnet an dem Wochenende eröffnet wurde, an dem in der Ukraine die Präsidentschaftswahlen stattfanden, ist dabei eher dem Zufall geschuldet, wie Kuratorin Bettina Klein sagt.

Eine für diesen Termin ursprünglich geplante Veranstaltung musste verschoben werden. Der ukrainische Künstler Yuri Leidermann, der in Berlin lebt, hatte Pläne für eine Ausstellung aus gegebenen Anlass. In kurzer Zeit entstand nun eine Ausstellung, die neue Einsichten in die Situation in der Ukraine liefert.

Dabei ist Ridnyis’ Video „Seacoast“ nicht die einzige Arbeit, die lange vor der gegenwärtigen Krise entstand, aber heute besonders aktuell wirkt. Schon 1994 schuf Boris Mikhailov eine Installation, die sich auf die verwaisten „roten Ecken“ in vielen öffentlichen Gebäuden in der Ukraine nach der Unabhängigkeit bezog. Hier waren einst Porträts sowjetischer Führer zu sehen, die mit Blumen geschmückt wurden.

Mikhailov versuchte, sich eine ukrainische Version dieser politischen Hausaltäre vorzustellen: dekoriert mit einer roten Nelke sind in einer Kiste, die in den ukrainischen Nationalfarben gelb und blau bemalt ist, die drei Buchstaben zu sehen, die das ukrainische vom russischen kyrillischen Alphabet unterscheiden. Deutsche Putin-Versteher, die die Existenz eines ukrainischen Nationalstaats bestreiten, sollten einen Blick in die Holzbox werfen.

Maidan-Porträts

Auch eine Arbeit von Ausstellungsinitiator Leiderman von 2007 ist eine Art privater Voodoo-Zauber gegen ukrainische Politiker, die er zu dieser Zeit als die Beton-Köpfe wahrnahm, die „den Weg der Ukraine nach Europa behinderten“. Ihre mit Wasserfarben gemalten Porträts sind auf eine ukrainische Flagge genäht – als eine Methode, sie „handlungsunfähig zu machen.“ Gewirkt hat der Bannfluch offensichtlich nicht.

Aber immerhin gibt die Arbeit einen Hinweis darauf, dass bereits vor Jahren die Stagnation der ukrainischen Politik von ihren wacheren Beobachtern wahrgenommen wurde – lange bevor sich diese Frustration in den Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew entluden.

Auch „Procedure Room“ von Nikita Kadan – Souvenir-Porzellanteller, auf denen Illustrationen der Foltermethoden der ukrainischen Polizei im Stil eines medizinischen Handbuchs aufgedruckt sind – zeigt, dass im Staate Ukraine schon lange vor den Maidan-Demonstrationen etwas sehr, sehr faul war.

Direkt vom Maidan kommen aktuelle Arbeiten: Olesia Khomenko zeichnete Porträts der Demonstranten auf Papier. Ein Stapel der Kohlepapier-Durchschläge ihrer Skizzen ist nun in Berlin zu sehen. Oleksander Melnyk, der eigentlich für seine traditionellen Ölbilder bekannt ist, stand monatelang mit einem Transparent auf dem Maidan.

Auf der Vorderseite war, altmeisterlich in Öl gemalt, ein Paar Augen zu sehen, darunter steht: „Ich sehe, was ihr tut.“ Auf der Rückseite heißt es schlicht und an die Demonstranten gerichtet: „Ihr seid wunderbar. Ich liebe euch.“ Zuletzt, als der Maidan gewaltsam geräumt wurde, wurde der Künstler durch Gummigeschosse der Polizei verletzt. Das ebenfalls von Projektilen durchlöcherte Transparent steht im der Zimmerstraße zugewandten Fenster der DAAD-Galerie.

Wann und wie wird rohe politische Gewalt zum Element eines Kunstwerks, das im sicheren Berlin kulinarisch genossen werden kann? In einer Kunstszene, in der allzu direkte Bezüge auf die Wirklichkeit durch Diskurs und Referenz entschärft werden, mag eine Arbeit wie „Negotiation Table“ von Lada Nakonechnas zu grob, zu agitatorisch wirken: Porträts von zusammengeschlagenen Demonstranten mit notdürftig zusammengeflickten Wunden, die auf einem Kaffeetisch im Kreis einander zugewandt stehen. Aber all das hat es gegeben.

Das Wichtigste an dieser Ausstellung ist wohl die Möglichkeit zum Dialog mit Menschen, die eine Binnenperspektive auf das geopolitische Geschehen liefern können, das für die nächsten Jahre das Äquivalent dessen sein werden, was 9/11 für die nuller Jahre war. Ein ausführliches Rahmenprogramm gab und gibt dazu Gelegenheit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.